„Nordkorea sieht derzeit keine Möglichkeit für eine Aussöhnung mit dem Süden“

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Nordkoreas Diktator Kim Jong-un hat einer Wiedervereinigung mit Südkorea eine Absage erteilt. © AFP/KCNA

Gibt es noch eine Chance für ein geeintes Korea? Im Interview nennt ein Experte möglich Schritte – inklusive einer Amnestie für Nordkoreas Diktator Kim Jong-un.

Das kommunistische Nordkorea verschärft den Ton gegenüber dem demokratischen Nachbarn im Süden: Ende vergangenen Jahres sagte Diktator Kim Jong-un in einer Rede, dass er eine Wiedervereinigung mit Südkorea für unmöglich halte. Wenig später erklärte er Südkorea zum „Feindstaat Nummer eins“. In der Verfassung des Landes müssten Ausdrücke wie „Unabhängigkeit, friedliche Wiedervereinigung und große nationale Einheit“ gestrichen werden, so Kim. Ist die Vereinigung des seit dem Korea-Krieg geteilten Landes also vom Tisch? Im Interview skizziert Korea-Experte Ramon Pacheco Pardo, wie eine Annäherung der verfeindeten Staaten aussehen könnte.

Herr Pacheco Pardo, Kim Jong-un hat einer Wiedervereinigung mit dem Süden zuletzt mehrfach eine Absage erteilt. Hat Sie das überrascht?

Nein, nicht wirklich. Kim Jong-un ist schon länger sehr enttäuscht vom Westen. 2019 ist das Gipfeltreffen zwischen Kim und dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump in Hanoi gescheitert, und auch die südkoreanische Regierung hat – in seinen Augen – die Versprechungen, die sie gemacht hat, nicht eingehalten. Kim hat deswegen das Vertrauen in den Süden und die USA verloren.

Also meint es Kim Ernst, wenn er Südkorea jetzt zu seinem „Feind Nummer eins“ erklärt?

Ich glaube, der Norden sieht derzeit keine Möglichkeit für einen Aussöhnungsprozess mit dem Süden oder mit den USA, wie wir ihn 2018 und 2019 erlebt haben. Deswegen fühlt sich Kim tatsächlich bedroht und stärkt nun seine militärischen Fähigkeiten immer weiter. Tatsächlich ist es ja so, dass auch Südkorea aufrüstet, dass es unter dem nuklearen Schutzschirm der USA steht, und dass es sogar in Südkorea Diskussionen darüber gibt, selbst eine Atommacht zu werden.

Zur Person

Ramon Pacheco Pardo ist Professor für Internationale Beziehungen am Londoner King‘s College. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Korea. A New History of North and South“ (mit Victor Cha).

Beide Koreas wollen eine Wiedervereinigung nach ihren eigenen Bedingungen: Der Norden will ein Korea unter Herrschaft der Kim-Familie, der Süden ein demokratisches Korea. Wie kann es da jemals zu einer Verständigung kommen?

Eine Möglichkeit wäre so etwas wie „Ein Land, zwei Systeme“, also eine Wiedervereinigung, bei der jede Landeshälfte ihr politisches System beibehält. Aber auch das ist derzeit kaum möglich; außer natürlich, das Kim-Regime bricht zusammen. Danach sieht es aber nicht aus.

„Zunächst bräuchte es eine Friedenserklärung zwischen Nordkorea und Südkorea“

Für Kim Jong-un würde eine Wiedervereinigung nach den Bedingungen des Südens nicht nur das Ende seiner Herrschaft bedeuten, sondern möglicherweise auch sein eigenes Ende.

Nicht zwangsläufig. Wir haben in Vietnam und China gesehen, dass sich ein Land wirtschaftlich öffnen kann, ohne dass sich sein Regime verändert. Wenn also beide Koreas den wirtschaftlichen Austausch intensivieren und generell besser miteinander klarkommen würden, dann könne man sich eines Tages auf ein gemeinsames politisches System einigen – und auf eine Amnestie für die Führungselite des Nordens, inklusive der Kim-Familie.

Glauben Sie nicht, dass viele Koreaner Vergeltung für die Verbrechen des Kim-Clans fordern würden?

Das ist möglich. Aber das Beispiel Vietnam hat auch gezeigt, wie viele Menschen selbst nach einem Krieg in der Lage sind zu sagen: Ja, was geschehen ist, ist schlimm, aber wir müssen jetzt nach vorne blicken und weitermachen, statt uns auf Rache und Vergeltung zu konzentrieren. Ich glaube, dass das auch in Korea möglich wäre, trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen, die die Kim-Familie begangen hat. Als sich Südkorea in den 80er-Jahren von der Diktatur zur Demokratie gewandelt hat, gab es auch keinen plötzlichen Bruch mit der Vergangenheit, sondern eine überraschende Kontinuität: Erster demokratisch gewählter Präsident des Landes wurde Roh Tae-woo, der einige Jahre zuvor noch am Militärputsch von Diktator Chun Doo-hwan beteiligt war.

Vor einer möglichen Vereinigung stünde eine Versöhnung der beiden Koreas. Wie könnte diese aussehen?

Zunächst bräuchte es eine Friedenserklärung zwischen den beiden Ländern. Schließlich befinden sie sich noch immer im Kriegszustand. Auch wirtschaftlicher Austausch wäre ein Schritt: dass südkoreanische Unternehmen wieder im Norden investieren, dass Tourismus wieder ermöglicht wird, dass der Süden dem Norden hilft, seine Infrastruktur zu verbessern. Und es bräuchte regelmäßige Treffen zwischen den politischen Führern der beiden Koreas.

„Es wäre extrem teuer, Nordkorea wiederaufzubauen“

Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol scheint an einer Aussöhnung mit dem Norden allerdings nicht interessiert.

Ja, diesen Eindruck habe ich auch. Von allen Präsidenten seit der Demokratisierung Südkoreas ist er derjenige, der sich am wenigsten für die Wiedervereinigung mit dem Norden einsetzt. Schließlich macht sich auch der Süden keine Illusionen mehr über Nordkorea. Andererseits: Sollten sich die Beziehungen zwischen Nordkorea und den USA verbessern, dann würden wir wahrscheinlich auch wieder eine Annäherung von Nord- und Südkorea sehen. Dass die Beziehungen zwischen den beiden Koreas derzeit keine Fortschritte machen, liegt auch an den USA. Die Regierung von Joe Biden hat kein Interesse daran, viel politisches Kapital auf Nordkorea zu verwenden.

Kim Jong-un hat kürzlich gesagt: „Die Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea sind nicht mehr die Beziehungen zwischen Menschen derselben Nation.“ Tatsächlich haben sich beide Länder in den vergangenen Jahrzehnten in völlig entgegengesetzte Richtungen entwickelt.

Ja, aber wenn man sich die Geschichte des Landes ansieht, dann stellt man fest, dass Korea rund 1000 Jahre ein geeintes Reich war. Dagegen wirken die Jahrzehnte der Trennung nicht mehr ganz so lang. Außerdem leben in beiden Koreas noch immer Menschen, die in einem geeinten Korea aufgewachsen sind, auch wenn das Land damals unter japanischer Kolonialherrschaft stand. Wenn der Moment der Wiedervereinigung käme, wären die Menschen meiner Meinung nach sehr wohl bereit, sie zu vollziehen.

Die deutsche Wiedervereinigung hat viele Menschen in Südkorea abgeschreckt, vor allem, weil sie als zu teuer angesehen wurde und zu sozialen Problemen geführt hat.

Es wäre natürlich extrem teuer, Nordkorea wiederaufzubauen und auf das Niveau des Südens zu heben. Andererseits müsste ein wiedervereintes Korea deutlich weniger Geld für das Militär ausgeben. Und auch sonst brächte eine Wiedervereinigung viele Vorteile mit sich, die die Kosten aufwiegen könnten.

Und zwar?

Die Wehrpflicht könnte verkürzt werden, was vor allem junge Menschen begrüßen dürften. Zudem würde für den Süden die ständige Bedrohung durch den Norden wegfallen. Ein vereintes Korea hätte zudem ein größeres Gewicht auf der internationalen Bühne, schlicht und einfach, weil es ein größeres Land mit einer größeren Bevölkerung wäre. Ja, eine Wiedervereinigung wäre schwierig, und vor allem im Norden würden einige Menschen in einem modernen Korea kaum zurechtkommen. Aber den Koreanern ist bewusst, dass die Vorteile die Schwierigkeiten überwiegen würden.

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