Am 6. Mai 2025 jährte sich zum 500. Mal ein Ereignis, das in die Geschichtsbücher der Stadt Kempten als sogenannter „Großer Kauf“ Eingang gefunden hat.
Kempten – Am Samstag, dem 6. Mai des Jahres 1525, konnte der damalige Kemptener Bürgermeister Gordian Seuter dem seinerzeitigen Fürstabt Sebastian von Breitenstein, der sich wegen des Bauernkrieges in einer Notlage befand und in die Stadt Kempten geflüchtet war, gegen eine Summe von fast 30.000 Gulden alle noch bestehenden Rechte und die meisten Besitztümer abkaufen, die der Fürstabt in der Stadt besaß.
Die Ablösung dieser grundherrlichen Rechte beendete einen jahrhundertelangen und oft konfliktreichen Freiheitskampf der Bürgerschaft Kemptens mit den Fürstäbten. Dabei nahmen die Kemptener Bürger im Laufe der Zeit immer mehr Rechte für sich in Anspruch, stießen aber meist auf den erbitterten Widerstand der Fürstäbte. Die tiefere Ursache dieser Auseinandersetzungen dürfte in den Lehensverhältnissen bei der Klostergründung im 8. Jahrhundert gelegen haben.
Die Anfänge Kemptens
Gegen 740 gründeten die St. Galler Benediktinermönche Magnus und Theodorus um die heutige Residenz eine kleine Klosterzelle. Das Kloster stand schon gegen 752 unter der Leitung eines Abtes und zog aus verschiedenen Gründen immer mehr Menschen mit unterschiedlichen Rechtsständen und Berufen an. Da sie alle auf klösterlichem Grund siedelten, verfügte der Abt als kirchlicher Grundherr über eine Fülle von Rechten über sie. Diese Menschen waren je nach Rechtsstellung abgaben- und dienstleistungspflichtig.
Das kleine Kloster konnte im Laufe der Zeit sein Gebiet durch verschiedene Stiftungen erheblich erweitern. So sollen Königin Hildegard und ihr Ehemann Karl der Große seit 773 dem Kloster erhebliche Ländereien gestiftet haben. Ebenso hat ihr Sohn, Ludwig der Fromme, dem Kloster seit 814 größere Gebiete vermacht. Durch diese und andere Stiftungen konnte sich das Kloster Kempten zu einer der größten Grundherrschaften in Schwaben entfalten.
Kloster Kempten als Adelsgemeinschaft
Voraussetzung für die Aufnahme als Fürstabt oder in den Konvent des Klosters galt die sog. „Ahnenprobe“, d.h. bis zur Urgroßmutter mussten die Mitglieder ihre Adelszugehörigkeit nachweisen. Wegen der Größe der kirchlichen Grundherrschaft und der adligen Abstammung der Äbte ist durch Verleihung von Kaiser Friedrich II. im Jahr 1213 von der Grafschaft Kempten die Rede. So dass sich später der Titel Fürst und Abt, also Fürstabt durchsetzte. Daher musste sich zwangsläufig die Kluft zwischen den nun adligen Kirchenherren und der einfachen Bevölkerung vertiefen. Weil die Fürstäbte im Laufe der Zeit die Standesrechte ihrer Untertanen verschlechterten und ihre Belastungen erhöhten, führte dies 1525 zum Bauernkrieg im Allgäu.
Kirche und Geistlichkeit durften seit der Karolingerzeit nicht vor einem weltlichen Gericht auftreten. Deswegen benötigten sie einen weltlichen Rechtsvertreter, einen sog. Vogt. Zur Rechtsvertretung kam seit dem 11. Jahrhundert noch die Hochgerichtsbarkeit.
Der lange Weg zur städtischen Freiheit und zum Großen Kauf in Kempten
Mit verschiedenen Aktionen verfolgte die Bürgerschaft konsequent ihr Ziel nach Unabhängigkeit. Dazu zählten unter anderem:
Bau der Stadtmauer
Schon 1239 soll Abt Theothun II. Birkh von Felsberg an der Mauer gebaut haben. 1336 erlaubte Abt Burkhard III. Bürck von Hasenweiler den Bürgern, die Mauer um die Stadt herumzubauen. Da das Kloster außerhalb der Stadtbefestigung blieb, kann man den Mauerbau als weiteren Schritt auf dem Weg zur Freiheit sehen.
Stadterhebung
Aufgrund eines Privilegs Rudolf von Habsburgs erlangte Kempten am 17. Juni 1289 die ersten selbstherrlichen Rechte. In diesem sog. Freiheitsbrief von 1289 wurde der Stadt bestätigt, dass sie durch keine Maßregel des Abtes oder der Geistlichkeit in Kempten beeinträchtigt, versetzt oder in irgendetwas gedrückt werden dürfe. Seit dieser Zeit ist von der Reichsstadt Kempten die Rede, ein erster wichtiger Schritt auf dem Wege zur Unabhängigkeit. Von Freiheit der Stadt konnte aber noch nicht gesprochen werden, da die Äbte noch eine Reihe wichtiger Rechte und Besitztümer in der Stadt besaßen, auf die sie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht verzichten wollten.
Wahl des ersten Bürgermeisters
Um ihre Selbstständigkeit zu demonstrieren und ihre Rechte weiter auszubauen, wählten die Bürger 1362 eigenmächtig „Heinrich Schultheiß“ auch „Heinrich Spickel der Alte“ genannt, zu ihrem Bürgermeister.
Kampf um die Burghalde
Anfang des 14. Jahrhunderts gehörte die Burghalde noch dem Fürstabt. Auf der Burg saß als dessen Vertreter der stiftische Vogt mit seinen Knechten, der in Kempten im Namen des Fürstabtes die Regierungsgewalt und die Gerichtsbarkeit ausübte. Der Vogt besaß auch die Schlüssel zu den Stadttoren. Damit sind die Knechte des Vogts des Öfteren während des Abends und in der Nacht in die Stadt eingedrungen, um Bürgersfrauen und -töchter zu belästigen. Daher stürmten erboste Kemptener am 12. November 1363 die stiftische Burghalde, zerstörten die Burg größtenteils und warfen den stiftischen Vogt mit samt seinen Knechten aus den Gemäuern.
Danach errichteten die Bürger zwischen Stadt und Burg auf stiftischem Gebiet eine Mauer. Der Fürstabt klagte gegen diese widerrechtliche Aktion vor Gericht. Der kaiserliche Friedensrichter verurteilte diese Tat als Landfriedensbruch und forderte die Stadtobrigkeit auf, die Burg wieder aufzubauen. Da sie dies ablehnte, kam es am 23. Juli 1364 zu einem Vergleich. Darin verpflichtete sich die Stadt, dem Abt 5.000 Pfund Heller zu zahlen und Steine für den Wiederaufbau der Burg zu liefern. Daraufhin verzichtete der Abt „um des lieben Friedens willen“ auf die Burghalde und veräußerte sie samt der widerrechtlich errichteten Mauer am 17. März 1379 um 1.600 Pfund Heller an die Reichsstädter.
Mit dem Verkauf der Burghalde kam am 21. März 1379 ein Schutzbündnis zwischen Stift und Stadt zustande. Als Vertragspartner des Stifts wurden ausdrücklich Bürgermeister, Rat und Bürger der Stadt anerkannt und man sicherte sich ewigen gegenseitigen Schutz und Anerkennung der jeweiligen Rechte zu. Dies war die Basis für eine über 30 Jahre dauernde friedliche Periode zwischen Stadt und Stift. Von „Ewig“ konnte aber keine Rede sein, da der Unmut der Kemptener Bürgerschaft wegen der fürstäbtlichen Rechte in der Stadt zunahm. Die Streitigkeiten eskalierten, als Fürstabt Johann von Wernau 1472 versuchte, die Stadt wieder unter seinen Einfluss zu bekommen.
Die Zünfte
Ein weiterer Vorgang, um die städtische Unabhängigkeit zu demonstrieren, war die Einführung der Zunftverfassung ab den 1380er Jahren. Danach entstanden in Kempten neun Handwerkszünfte, die von großer Bedeutung für die Handwerker waren, da ohne Zunftmitgliedschaft kein Handwerker in der Stadt arbeiten durfte.
Das Recht der Gerichtsherrschaft
1488 bekam die Stadt von Kaiser Friedrich III. zugestanden, dass sie alle bedeutenden Ämter nach ihren Wünschen besetzten durfte und er verlieh ihr zudem das Recht der Gerichtsherrschaft. Obwohl der Fürstabt versuchte, den Kaiserlichen Entscheid durch einen päpstlichen Spruch zu entkräften, blieb es dabei, denn der Papst akzeptierte die kaiserliche Richtung. Erst 1494 wurden im sog. Kölner Spruch die rechtlichen Beziehungen zwischen Stift und Stadt geregelt. Aus dem sog. „Kölner Spruch“ ist erkennbar, dass der Fürstabt nach wie vor wesentliche Rechte in der Stadt besaß und nicht gewillt war, diese Positionen aufzugeben.
Das Jahr 1525 bringt die Änderung
Die Lage für die Stadtbürgerschaft in ihrem Kampf nach Freiheit änderte sich erst im 16. Jahrhundert im Zuge des Bauernkriegs. Schon um 1500 gab es im Stiftsgebiet Unruhen und Bauernaufstände. Ihre Unzufriedenheit richtete sich ab 1523 besonders gegen den damaligen Fürstabt Sebastian von Breitenstein. Deutlich rigoroser als seine Vorgänger, versuchte er die Standespositionen seiner Untertanen zu verschlechtern und scheute auch vor Gewalt nicht zurück, um die stiftischen Bauern stärker an das Gotteshaus, also an das Kloster zu binden.
Stadtfreiheit im Zuge des Bauernkriegs
Am 3. April des Jahres 1525 plünderten aufständische Bauern das Kloster Kempten. Dazu schreibt Karrer: „Die Bauern … vernichteten im Kloster und in der Kirche alles, selbst die Heiligthümer blieben nicht verschont: Das Vieh wurde niedergeschlagen, und das Korn verkauft.“ Der damalige Fürstabt Sebastian von Breitenstein musste fliehen und suchte zunächst in seiner Burg Liebenthann bei Obergünzburg Schutz vor den wütenden Bauern, die ihn dort am 8. April belagerten. Angesichts seiner hoffnungslosen Lage kapitulierte er nur wenige Tage später mit seinen Konventsherren gegen Zusicherung freien Geleits.
Die Stadt Kempten bot dem Fürstabt und seinem Gefolge Schutz in ihren Mauern. Dabei nutzte der damalige Bürgermeister Gordian Seuter die Hilflosigkeit des Kirchenmannes, der ohne Vermögen und Einnahmen war, zum Vorteil für Stadt und Bürgerschaft aus. Er konnte den Fürstabt mit „diplomatischem Geschick“ überreden, gegen die Summe von „Sechs und Zwanzig Tausend und Ainhundert guldin Reinischen“, auf alle Rechte und Besitztümer in der Stadt zu verzichten – der „Große Kauf“.
Der Fürstabt versucht zu fliehen
Nach Abschluss des Geschäfts dauerte es aber noch einige Zeit, bis der Kaufbrief ausgestellt wurde. Da der Fürstabt glaubte, dass sich im Bauernaufstand eine Wende zu seinen Gunsten abzeichnet, bereute er den Handel und er versuchte heimlich – in einem Narrenkleid vermummt – wie Haggenmüller schreibt, die Stadt zu verlassen. Dabei wurde er aber vom Bürger Narziß Pfister bemerkt, der die Fluchtabsicht der Obrigkeit meldete. Seuter ließ nun den Fürstabt bewachen, beschleunigte die Abfassung des Kaufbriefs und legte ihn dem Fürstabt zur Unterschrift vor. Doch dieser verlangte nun, dass manche Vertragsklausel zu seinem Vorteil geändert werden sollte. Wie Karrer schreibt, bestand Bürgermeister Seuter mit den Worten: „Pfaff, du mußt halten, was du versprochen hast!“, auf die Einhaltung der Vereinbarungen.
Daraufhin wurde die Kaufurkunde auch „Kauff Titul“ oder „Kauff-Brieff“ genannt, am Samstag, dem 6. Mai des Jahres 1525 unterzeichnet. Im Original lautet das Datum: „am Sambstag vor dem Sontag Jubilate/ der do was der Sechst tag des Monats Mayenn/ Nach Christi gepurt Fünffzechenhundert unnd Im Fünff und zwainzigsten Jarn“. Seit diesem Zeitpunkt nannte sich die Stadt Kempten eine „Freie Reichsstadt“, da sie nun keinen direkten Stadtherrn wie den Fürstabt über sich hatte. Damit war das kleine Kempten mit knapp 3.000 Einwohnern eine weitgehend unabhängige und sich selbstverwaltende Gebietskörperschaft mit allen nötigen Einrichtungen.
Jubelfeiern in der Stadt
Kein Wunder also, dass nach Vertragsabschluss am 7. Mai 1525 große Freude herrschte. In den Zunftstuben der Kemptener Handwerkszünfte gab es fröhliche und ausgelassene Jubelfeste, bei denen über 1.500 Personen mitgefeiert haben. Die Kemptener Obrigkeit hatte dazu in die Stadtkasse gegriffen und zwei Fuder (ein Fuder entsprach knapp 1.000 Litern) und neuneinhalb Eimer Wein (ein Kemptener Eimer hatte ca. 38 Liter), sowie Fleisch, Brot, Käse und sogar Kuchen beigesteuert.
Rechtlich gesehen bestätigten zwei obrigkeitliche Bestätigungen, eine kaiserliche aus dem Jahre 1526 und eine päpstliche von 1529, diesen „Großen Kauf“ endgültig.
Wie wurde die Kaufsumme bezahlt?
Die Entrichtung des Betrages schien für die Stadt kein allzu großes Problem gewesen zu sein. Denn die goldenen und silbernen Kirchenschätze in der St.-Mang-Kirche sind wegen der Reformation überflüssig geworden. Daher ließ der protestantische Rat die Kirchenschätze kurzerhand einschmelzen und teilweise ausprägen, um damit, neben anderen Geldquellen, den Ablösebetrag zu bezahlen.
Historisches Fest
Lagerleben, Mitmachaktionen, Vorträge, Lesung, Theater, Heilkräuter, Festbier und und und: Am Samstag, 27. September, erinnert die Stadt Kempten mit einem historischen Fest an den Großen Kauf. Im Altstadtpark mit dem Reglerhaus an der Webergasse und auf der Burghalde wartet von 10 bis 19 Uhr ein kostenfreies Programm auf Groß und Klein.
Mehr Infos: auf der Homepage der Stadt Kempten
„Der große Kauf“ – auch bei YouTube
Wer den Ausführungen des Wirtschafts- und Sozialhistorikers Dr. Willi Vachenauer zum „Großen Kauf“ vertieft folgen möchte, der findet bei You Tube ein Video aus der Reihe „Kempten – eine Zeitreise durch die Geschichte der Stadt“: https://youtu.be/jkyplTBZLLk
Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.
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