Wirtschaftsweise alarmiert über deutschen Mittelstand: „Das muss uns als Land Sorgen machen“
Die deutsche Wirtschaft schwächelt, der Mittelstand schrumpft. Experten sind alarmiert und die Auswirkungen reichen weit über die betroffenen Betriebe hinaus.
München – Dem deutschen Mittelstand geht es zunehmend schlechter, das zeigt sich auch im Wirtschaftswachstum. Inzwischen entwickelt sich Deutschland zum „Sorgenkind“ mit einem erwarteten Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent. Eine Entwicklung, die gleich mehrfach beunruhigend ist. Denn der Mittelstand gilt als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, mehr als die Hälfte der Angestellten in Deutschland arbeiten in einem Mittelstandsunternehmen. Wie in einem Beitrag der ARD deutlich wird, drohen Millionen Arbeitsplätze zu verschwinden, denn in den nächsten Jahren könnten 190.000 Mittelstandsunternehmen verschwinden.
Experten des Mittelstands sind besorgt: „Was wir momentan erleben, ist vor allem eine Vertrauenskrise“
So kommt Veronika Grimm zu Wort, die eine der fünf Wirtschaftsweisen in Deutschland ist. Das ist ein Gremium, das die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland begutachtet. Die deutsche Wirtschaft ist seit vier Jahren im Krisenmodus, derzeit wirkt sich der Krieg mit Milliardenverlusten auf die Wirtschaft aus. Doch auch ambitionierte Vorgaben in Sachen Klima und Umwelt stellt zahlreiche Unternehmen vor Herausforderungen. „Da ist der Mittelstand sehr gefordert und muss sich umstellen“, erklärte Grimm. Insbesondere, wenn energieintensiv produziert wird.
Laut einiger Verbände stößt Olaf Scholz die deutsche Wirtschaft aber eher vor den Kopf. „Was wir momentan erleben, ist vor allem eine Vertrauenskrise. Unternehmen aus dem deutschen Mittelstand brauchen eine gewisse Planungssicherheit“, findet Matthias Bianchi vom Deutschen Mittelstandsbund DMB. Um zu planen, sei es wichtig zu wissen, mit welchen Strompreisen und welcher Steuerlast auch in Zukunft zu rechnen ist.

Deutscher Mittelstand
Mittelstandsunternehmen haben zwischen 1 und 50 Millionen Euro Jahresumsatz und 10 bis 499 Beschäftigte. Insgesamt gibt es 3,8 Millionen Unternehmen in Deutschland. Über die Hälfte der Menschen und 70 Prozent der Auszubildenden arbeiten in einem Mittelstandsunternehmen. Dazu gehören etwa Landwirte und Handwerker.
Schwache Wirtschaft auch außerhalb der Betriebe: „Verteilungskämpfe um die öffentlichen Ausgaben“
Der schwächelnde Mittelstand ist nicht nur für die deutsche Wirtschaft wichtig. Ausbleibendes Wirtschaftswachstum „bedeutet auch, dass wir kein Wachstum mehr bei den Steuereinnahmen haben und dass wir auch in der Politik deutlich härtere Verteilungskämpfe um die öffentlichen Ausgaben sehen werden“, erklärte Grimm. So müssten künftig unter Umständen Gelder für geplante Projekte an anderer Stelle gestrichen werden.
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Doch die Wirtschaft in Deutschland hat mit einigen Problemen zu kämpfen. „Deutschland ist ein Hochsteuer-Land. Das ganze Geld, das in Abgaben an den Staat geht, fehlt im Betrieb“, gibt Bianchi zu bedenken. „Es geht nicht darum, dass sich ein Unternehmer in die Tasche wirtschaftet, sondern darum, dass der Betrieb mit weniger Steuerlast mehr investieren kann.“ Damit ließen sich auch Projekte wie die Digitalisierung besser umsetzen. Auch Grimm sieht die vielen sozialen Ausgaben als finanzielle Last, die wenig Spielraum lässt. Von Steuersenkungen oder öffentlichen Investitionen, wie etwa für die Infrastruktur, könnte der Mittelstand profitieren.

„Das muss uns als Land Sorgen machen“: Mittelstandsunternehmen gehen ins Ausland
Der Fachkräftemangel führt außerdem dazu, dass viele Unternehmen erwägen, ins Ausland zu gehen. Laut Grimm vergleichen die Unternehmen den Wettbewerb im Ausland. Sollten dort bessere Konditionen herrschen, werden Teile der Produktion oft dorthin verlagert. Schon jetzt verlassen Traditionsunternehmer in Scharen das Land. „Das muss uns als Land Sorgen machen“, da herrsche ein hoher politischer Druck, denn mit der ins Ausland verlagerten Produktion geht auch ein Verlust von Arbeitsplätzen einher.
Deutlich ausgesprochen bedeutet das: „Der Mittelstand geht nicht kaputt, der Mittelstand geht weg“ fasst Dominic Possoch – Moderator des Beitrags – die Lage zusammen. Inzwischen ist es für viele Unternehmen nicht nur schwer, Personal zu finden, sondern auch die Nachfolge bleibt immer häufiger ungeklärt. So sollen innerhalb der kommenden Jahre rund 190.000 Betriebe schließen und damit Millionen Arbeitsplätze verloren gehen. Hinzu kommt ein Ladensterben, den der Handelsverband als „dramatischen Niederging“ sieht.
Um den Mittelstand in Deutschland zu stärken, muss man laut Grimm „konsequenter vorgehen und die Rahmenbedingungen für Unternehmen attraktiv machen“, dafür gebe es zahlreiche Maßnahmen. Neben Steuersenkungen wären Arbeitsanreize für Fachkräfte hilfreich, „da gibt es viel zu tun“, sonst droht dem Industriestandort Deutschland – der größten Volkswirtschaft Europas – Gefahr.
Auf die Entwicklung auf dem Markt hätten „sowohl die Politik als auch die Wirtschaft frühzeitiger reagieren können“
Auf die derzeitige Entwicklung hätte man sich jedoch schon seit Jahren vorbereiten können, sagt Torsten M. Kühlmann, Präsident des betriebswirtschaftlichen Forschungszentrums. Die drohende Gefahr des demografischen Wandels sei lange bekannt. „Auf dieser Grundlage hätte sowohl die Politik als auch die Wirtschaft frühzeitiger reagieren können.“ Laut Grimm werden wir in Zukunft nicht mehr einfach so gut dastehen, wie in der Vergangenheit. „Wir müssen ein Mindset entwickeln, dass wir um unseren Wohlstand wirklich kämpfen müssen“, mahnt die Wirtschaftsweise.
Die Politik reagiert unterschiedlich auf den Rückgang des Wirtschaftswachstums, so stellte die FDP etwa einen 12-Punkte-Plan vor. Zudem wurde ein Wachstumschancengesetz mit Steuerentlastungen beschlossen, das laut Bianchi jedoch noch verbesserungsfähig ist. „Wir hätten uns da einen größeren Wurf gewünscht und wir finden es unverständlich, warum der Bereich digitale Transformation dort vollständig ausgeklammert worden ist.“ (kiba)