Vorzeigekonzern kämpft gegen Krise: Bosch-Chef: „2025 bringt nicht den Befreiungsschlag, den wir uns alle wünschen“

Die Zukunft von Bosch ähnelt gigantischen Legosteinen aus Glas, Stahl und Holz, die ein Riese am Stadtrand von Renningen bei Stuttgart gestapelt hat. „Zentrum für Forschung und Vorausentwicklung“ heißt der Komplex, in dem der schwäbische Konzern nach den Ideen von übermorgen sucht. Die Gegenwart sieht eher trist aus. Bosch-Chef Stefan Hartung, 59, muss sogar Jobs streichen. Die Transformation seiner wichtigen Kundschaft im Automobilsektor hin zur Elektromobilität ist ins Stocken geraden. Und jetzt?

FOCUS: Herr Hartung, fragen Sie sich manchmal, was Ihr Gründer Robert Bosch zu dieser oder jener Weltlage empfohlen hätte?

Stefan Hartung: Unser Gründer hat Prinzipien und Denkanstöße hinterlassen, die uns bis heute leiten. Unser Motto „Technik fürs Leben“ geht auf ihn zurück. Das ist schon etwas Besonderes. Und er war ein Unternehmer im besten Sinne.

Das heißt?

Er hätte uns immer geraten – davon sind wir fest überzeugt – auch und vor allem unternehmerisch zu handeln.

Selbst wenn’s mal wehtut?

Dann erst recht! Robert Bosch hat zwei Weltkriege erlebt, echte Existenzkrisen überstanden und sein Unternehmen immer entschlossen geführt. Schon in der Frühzeit des Unternehmens musste er Rückschläge hinnehmen und stark abbauen, um neu Anlauf nehmen zu können. Das Risiko des Scheiterns war ihm stets bewusst und er hat alles getan, um es zu vermeiden.

Heute ist Bosch ein Weltkonzern mit über 400.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund 90 Milliarden Euro. Aber auch Riesen können wanken. Sie selbst mussten zuletzt Umsatzverluste und Gewinneinbrüche verkünden. Wie schlimm wird’s dieses Jahr?

Die Gesamtlage ist nicht nur für Bosch herausfordernd, sondern für fast die gesamte Weltwirtschaft.

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Dieses Interview stammt aus der FOCUS-Ausgabe 13/2025 vom 21. März 2025. 

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Das heißt, Sie kommen um weiteren Stellenabbau nicht herum?

Eines ist klar: 2025 bringt uns nicht den Befreiungsschlag, den wir uns alle wünschen. Wir müssen weiter an Kosten und Strukturen arbeiten.

„Außer in den USA sind die Kunden sehr verunsichert“

 

Was konkret kriselt?

Es fehlt an Wachstum nicht nur in Europa, sondern auch in China. Das trifft die Bauwirtschaft ebenso wie den Maschinenbau, aber eben auch die Autoindustrie und generell den Konsum. Außer in den USA sind Geschäfts- wie Privatkunden sehr verunsichert oder zeigen zumindest wenig Kaufbereitschaft.

In Hildesheim steht ein komplettes Bosch-Werk zur Disposition, wo 1600 Menschen bislang Elektromotoren bauen. Wann fällt da eine Entscheidung?

Wir verhandeln mit unseren Sozialpartnern gerade an diversen Standorten über eine Vielzahl von Maßnahmen, mit denen wir sozialverträglich gegensteuern können. Dabei geht es aber nicht nur um Stellenabbau. Im Gegenteil.

Es geht auch um Frühverrentungen?

Zum Beispiel. Auch Umschulungen spielen eine wichtige Rolle. Daneben müssen wir immer neu beurteilen, wie sich die laufenden Transformationen auswirken – egal ob durch Elektromobilität oder künstliche Intelligenz.  Grundsätzlich haben wir es hier mit sinkenden Personalbedarf zu tun. Wachstum würde helfen, aber das können wir nicht herbeizaubern, vor allem wenn die Konjunktur schwächelt. Also ja: Es ist und bleibt herausfordernd.

Bosch CES 2025
Messestand von Bosch auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vegas Bosch Pressebild

Alle beklagen den Mangel an Fachkräften, und Bosch hat zu viele davon?

Wir müssen uns bei den Jobprofilen angesichts der technologischen Umwälzungen neu justieren. Zugleich zeigt es: Unsere Fachkräfte haben auf dem Arbeitsmarkt sehr gute Chancen. 

„Wir wollen nicht, dass Bosch ein Rüstungsunternehmen wird“

 

Ökonomen meinen, die freiwerdenden Fachkräfte bei Unternehmen wie Ihrem könnten ja in die nun boomende Rüstungsindustrie. Kann das klappen?

Zwei Antworten darauf: Es gibt Produkte von Bosch, die im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben in militärischen Produkten und wehrtechnischen Gütern zum Einsatz kommen. Wir haben auch Geschäftskunden, die für die Rüstungsindustrie arbeiten. Wir tun aber gut daran, den Sektor nicht als strategisches Geschäftsfeld zu betrachten. Wir wollen nicht, dass Bosch ein Rüstungsunternehmen wird. Natürlich können unsere Fachkräfte für die Rüstungsindustrie interessant sein: Wo wir umstrukturieren müssen, unterstützen wir Mitarbeiter, die sich für den Wechsel in diese Branche interessieren. 

Die Elektromobilität entwickelt sich längst nicht so schnell, wie die Industrie einst hoffte. Sie sehen das mittlerweile sogar als Vorteil, weil man so wenigstens die Verbrenner-Technologie länger nutzen kann?

Die noch vorhandenen Kapazitäten in der Verbrennertechnik können so besser ausgelastet werden. Wirtschaftlich ist das in der Übergangssituation hilfreich. Zugleich sind wir aber auch einer der führenden Hersteller von vielen Produkten, die für Elektromobilität gebraucht werden. Dafür haben wir sehr viel Geld in hochmoderne Anlagen investiert, die jetzt nicht ausgelastet sind. Wir sehen daher positive und negative Effekte. Zurzeit sind die Belastungen in dem Korridor zwischen der alten und der neuen Welt erheblich.

Donald Trump setzt voll auf fossile Energie, dealt mit Putin, entfremdet sich von Europa – wie erleben Sie ihn?

Die USA fokussieren sich sehr deutlich wieder auf sich selbst und ihre Interessen. So ganz überraschend kam das ja nicht, auch wenn der neue Politikstil im Weißen Haus in seiner Dynamik manche Europäer nun irritiert.

Wie viele Boschler arbeiten in den USA?

Rund 20.000. Wir sind also auch ein amerikanisches Unternehmen. 

Was bedeutet Trump für Bosch, die Republik und Europa?

Das ist viel zu komplex, um hier jetzt schon urteilen zu können. Es ändert sich ja nicht nur die amerikanische Position, sondern damit auch wieder die der EU, Chinas und anderer Regionen ständig. Deshalb spreche ich auch nicht so gern von Krise, sondern lieber von Dynamik, wenn der Wind mal wieder kräftig weht. Denn es geht ja auch voran.

Sie klingen wie ein Surfer, der jede Menge Wellen vor sich hat …

… und möglichst auf der Welle bleibt.

„Ich sehe die Vereinigten Staaten überhaupt nicht negativ“

 

Was bedeuten die momentanen US-Zölle?
Zölle sind generell eine Gefahr, weil sie Märke verkleinern können. Das ist für das Exportland Deutschland nie gut.

Mit Zöllen arbeitet auch die EU – etwa wenn es um die Einfuhr chinesischer Elektroautos geht. Sind das dann „gute“ Strafzölle?

Eins ist klar: Staaten müssen darauf achten, dass Wettbewerb auf Augenhöhe stattfindet. Wenn eine Region mit hohen Summen ihre Autoindustrie fördert, dann werden die anderen Regionen der Welt reagieren. Es muss fair zugehen. Aktuell müssen wir aber zwischen Ankündigungen, ersten Maßnahmen und langfristigen Wirkungen unterscheiden. Da ist die Lage noch eher unübersichtlich. Wir können als Unternehmen auch nicht auf alles ad hoc reagieren. Anpassungen etwa bei Produktionsstandorten dauern. Zölle haben jedenfalls immer noch andere Konsequenzen als jene, die man sich wünscht.

Haben Sie ein Beispiel?

Die aktuellen Strafgebühren der EU auf E-Autos aus China treffen vor allem auch die Importe von deutschen Firmen, die in der Volksrepublik Autos bauen. Das war sicher so nicht gedacht.

Ist China der einfachere Handelspartner als die USA?

Ich sehe die Vereinigten Staaten überhaupt nicht negativ. Der Markt dort ist wettbewerbsintensiv, bietet hohes Wachstumspotenzial und wird getragen von großem Optimismus. Ein bisschen was davon täte uns auch gut. Wussten Sie, dass nur ein einziger US-Bundesstaat ein geringeres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat als die Bundesrepublik? 

Wirklich? Welcher denn?

Mississippi! Nicht nur deshalb sind die USA ein unglaublich wichtiger Markt. Wie China übrigens auch.

„ Ein Europa mit 27 Einzelinteressen hätte einen schweren Stand“

 

Täuscht der Eindruck, oder ändert die EU gerade ihren Kurs – nicht nur was Energiewende und ESG-Bürokratismus angeht?

Aufgrund des von ihr selbst bestellten Draghi-Reports hat die EU-Kommission nun erste Korrekturen und Reformen angekündigt – glücklicherweise. Die großen Antworten müssen aber noch kommen.

Zum Beispiel?

Denken Sie an all die beschlossenen Reporting-Pflichten, die wirklich Bürokratie-Exzesse befeuert haben. Da muss fundamental was verändert werden. Erste Vorschläge liegen glücklicherweise auf dem Tisch. Mit zu vielen Regeln oder gar Verboten sollten wir auch bei Technologien wieder vorsichtiger umgehen, hier warten wir allerdings noch auf konkrete Vorschläge. Überhaupt würde ich mir wünschen, dass Technologieoffenheit neu kultiviert wird.

Ein Wort, das hierzulande bisweilen schon als Schimpfwort herhalten musste.

Dabei ist eine Marktwirtschaft ohne Technologieoffenheit schlicht nicht denkbar. Nur so findet sich der beste und effizienteste Weg auch zur Erreichung von Klimazielen

Macht das für 2035 geplante Verbrenner-Aus eigentlich noch Sinn?

Man kann sich zumindest fragen, ob man nicht die Hybridtechnologie weiternutzen sollte, so wie es etwa in China geschieht. Dort wird von „New Energy Vehicles“ gesprochen, die reine Batterieantriebe und Hybrid-Fahrzeuge gleichermaßen umfassen. Auch Wasserstoff bleibt interessant. Wenn wir uns als Europa zwischen den beiden großen Akteuren USA und China behaupten wollen, müssen wir diese Offenheit, aber auch unsere Einheit stärker pflegen. Ein Europa mit 27 Einzelinteressen würde einen schweren Stand haben.

Erleben Sie Trumps Ansagen als Weckruf?
Er und seine Administration erklären jedenfalls sehr deutlich, dass Europa sich verändern muss – nicht nur bei der Zahlungsbereitschaft im Rahmen der Nato. In Brüssel wird gerade über viele neue Maßnahmen gesprochen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Und Deutschland ist gerade mit seinen beiden großen Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur einen großen Schritt vorangegangen. Angesichts einer recht niedrigen Staatsverschuldung können wir uns das leisten. Die neuen Spielräume haben wir aber nur einmal. 

Fiskalpolitisch können da schon Nachbarstaaten wie Italien oder Frankreich kaum folgen.

Die Handlungsfähigkeit Europas hat jetzt stark mit der Deutschlands zu tun. Die Zinsen zum Beispiel werden durch das deutsche Vorgehen wieder steigen. Das werden nicht alle EU-Staaten feiern.

Trotzdem unterstützen Sie die Finanzpakete?
Ja, die sind erst mal gut. Aber sie müssen dringend mit echten Strukturreformen flankiert werden. Pflegeversicherung, Gesundheitskassen, Steuersystem, Bürokratie – auch das muss schnell angegangen werden. Wenn diese Reformen nicht kommen, haben wir bald noch viel größere Probleme.

Der neue BDI-Chef Peter Leibinger wünschte sich jüngst „eine Energiewende, die sich stärker an Grundsätzen der Physik orientiert, weniger an Idealen mancher Thinktanks oder NGOs.“ Hat er recht?

Die deutsche Energiewende war bisher sehr teuer. Der Anteil der Erneuerbaren ist zwar erfreulicherweise gewachsen. Aber wir werden noch länger die Notwendigkeit haben, Kraftwerkskapazitäten quasi doppelt vorhalten zu müssen …

… für den Fall, dass eben zu wenig Sonne scheint oder Wind weht.

Genau. In der Konstruktion der bisherigen Energiewende hat das leider keine große Berücksichtigung gefunden. Wir müssen auch da die richtigen Schritte gehen, damit der Strom nicht noch teurer wird, als er ohnehin schon ist. Selbst dem Staat geht irgendwann das Geld aus, wenn er damit nur den Energiepreis drücken will. Vor allem stellt sich jetzt die Frage: Müssten wir das nicht alles europäisch lösen?

Wir nehmen an, dass Sie das für sinnvoll halten.

So ist es. Wir haben in Deutschland zum Beispiel große Erdgasreserven, die wir nur anzapfen müssten. Andere Länder wie Frankreich setzen weiter stark auf Atomkraft. Auch darüber sollten wir noch mal sprechen. Es ist nicht so, dass wir aktuell keine Kernenergie nutzen. Die Kraftwerke stehen eben an den Grenzen bei unseren Nachbarn. Neben einem wirklich geeinten und umfassenden Binnenmarkt ist aber etwas anderes besonders wichtig: dass wir als EU gemeinsam unsere Stärken mobilisieren.


Welche sind da ausschlaggebend?

Unsere Hauptstärken sind Vielfalt und Innovationskraft. Die gilt es auszuspielen.

Bosch erobert immer wieder neue Geschäftsfelder. Sie haben etwa bei sogenannten MEMS-Sensoren in Smartphones bereits einen Weltmarktanteil von 20 Prozent erobert. Kann man solche Erfolge planen?

Schwer. Aber man kann kultivieren, dass die Ideen dazu eine Chance erhalten. Man muss die Menschen auch erfinden lassen und nicht nur auf den ökonomischen Nutzen durchzurechnen. Diese MEMS, mikroelektromechanischen Systeme in Millimetergröße, sind heute überall – von Ohrhörern über Smartwatches bis Autos. Ein schönes Beispiel für unsere Innovationskraft. Und sie werden immer leistungsfähiger und günstiger zugleich.

Bosch MEMS Sensor
Die MEMS-Sensoren von Bosch sind kaum größer als ein Sandkorn - und enthalten dennoch einen integrierten Mikrocontroller Bosch Pressebild

„KI ist eine Riesenchance für Deutschland“

 

Was macht Ihnen als Bosch-Chef gerade am meisten Freude?

Deutschland war tatsächlich ein KI-Vorreiter in der Forschung. Wir machen in diesem Feld als Land nicht alles selbst, können aber führend dabei werden, KI jetzt wirklich in vielen Produkten zum Einsatz zu bringen. Das ist eine Riesenchance für Deutschland und auch für Bosch.

Liegt da unser Wohlstand der Zukunft?

Auch hier sollten wir vor allem ausbauen, was wir haben: zum Beispiel unser universitäres System. Im Bildungsbereich gibt’s inzwischen leider einige Defizite, die wir schnell angehen müssen. Als Standort sollten wir auch für die Aussicht auf gute Geschäfte stehen wollen. Das wiederum geht nur, wenn wir einerseits Kapital anlocken und andererseits top ausgebildete Leute haben. Alles andere – die Branchen und Industrien der Zukunft – findet sich von allein und lässt sich ohnehin nicht vorhersagen.