Iran-Kenner: Mullahs haben Angst vor Trump, werden aber brutal antworten
FOCUS online: Herr Epkenhans, seit den Angriffen Israels auf den Iran steht plötzlich ein Regime-Wechsel im Raum, so sind zumindest Aussagen von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu oder Bundeskanzler Friedrich Merz zu verstehen. Wäre jetzt ein optimales Zeitfenster für einen solchen Wechsel, wie manche glauben?
Tim Epkenhans: Zunächst würde ich präzisieren, dass Netanjahu keinen Regime-Wechsel meint, sondern eigentlich eine Regime-Zerstörung. Der Wechsel ist eine sehr komplexe Angelegenheit und wenig erfolgversprechend, wie sich zum Beispiel im Irak gezeigt hat. Ich kann nicht erkennen, dass es dafür zielführende Pläne gibt in Israel oder den USA. Abgesehen davon sehe ich auch mehrere Faktoren, die gegen ein optimales Zeitfenster sprechen.
Welche wären das?
Epkenhans: Das Regime sitzt seit mehr als 40 Jahren fest im Sattel, auch die Tötung führender Köpfe hat dessen Handlungsfähigkeit nicht grundsätzlich ins Wanken gebracht. Ein Regime-Wechsel würde nur mit Bodentruppen gelingen; die Bereitschaft, diese einzusetzen, sehe ich aber weder bei Israel noch den USA. Und schließlich müsste es Kräfte im Land selbst geben, die das bestehende Regime ablösen und ein neues etablieren können.
Israels Vorgehen könnte Iraner hinter Mullah-Regime vereinen
Wie steht denn die iranische Zivilbevölkerung zur Regierung beziehungsweise zu einem möglichen Regime Change?
Epkenhans: Entsprechende Umfragen gibt es nicht, sie sind in einem autoritären System nicht möglich. Ein iranischer Historiker und Soziologe hat vor ein paar Jahren die These aufgestellt, dass rund 20 Prozent der Bevölkerung hinter dem Regime stehen.
Dann gibt es eine Gruppe, die ungefähr ähnlich groß ist und klar in Opposition zum Regime steht. Und schließlich gibt es eine große Mitte, die zwar enttäuscht ist von der Politik, sich aber angesichts der Repressionen schwer gegen das Regime mobilisieren lässt.
Gibt es Anzeichen, dass sich diese Mehrheitsverhältnisse jetzt verschieben könnten?
Epkenhans: Die militärischen Aktionen Israels haben viele zivile Opfer gefordert. Das könnte Teile der Gesellschaft vereinen und den iranischen Nationalismus bestärken. Das könnte mittelfristig dazu führen, dass sich angesichts eines externen Aggressors die Gesellschaft stärker hinter das Regime stellt. Außerdem gibt es so etwas wie eine Revolutionsmüdigkeit im Iran.
Iraner hoffen auf Evolution statt Revolution
Warum das?
Epkenhans: Man kann die Geschichte des Irans als Pendelbewegung beschreiben. Zunächst gab es konservative Kräfte in den 80er-Jahren, die das Land durch den Krieg geführt haben und eine auf dem Islam basierende Gesellschaft errichten wollten.
Nach dem Tod von Ajatollah Chomeini 1989 gab es einen Schwenk in Richtung der Reformer und Ende der 1990er-Jahre eine vorsichtige Öffnung, insbesondere für die Zivilgesellschaft im Iran. Danach ist das Pendel wieder in die andere Richtung umgeschlagen. Die Iraner hoffen angesichts der Erfahrungen immer noch auf Evolution statt Revolution, also auf eine graduelle Öffnung des Systems.
Tim Epkenhans ist Professor am Orientalischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dort forscht er unter anderem zur Geschichte des Irans und politischer Transformation in der Region. Epkenhans war selbst lange im Iran.
Wie stehen die anderen Staaten in der Region zu einem möglichen Regime-Wechsel?
Epkenhans: Die Golf-Anrainer wie Saudi-Arabien, Kuwait und Bahrain haben nach meinem Eindruck kein Interesse an einem Regime-Wechsel und den unvorhersehbaren geopolitischen Folgen.
Mit Chameneis Tod wäre noch lange kein Regime Change vollzogen
Die Machtstrukturen im Iran sind nicht mit denen in westlichen Demokratien zu vergleichen. Wann wäre ein Regime Change denn überhaupt erfüllt? Reicht es, Ali Chamenei zu töten?
Epkenhans: Chamenei als Staatsoberhaupt spielt sicher eine zentrale Rolle. Aber der Iran wird von diesem Regime seit 46 Jahren beherrscht. In dieser Zeit haben sich Strukturen ausgebildet, die weit in die Gesellschaft hinein reichen. Die Revolutionsgarde wirkt zum Beispiel sehr stark in die Wirtschaft hinein. Es gibt Schätzungen, dass sie rund 60 Prozent aller wirtschaftlichen Aktivitäten im Iran kontrollieren.
Zudem beherrschen sie die Sicherheitsstruktur des Landes. Nachdem Israel führende Offiziere getötet hat, konnte der Iran sie relativ schnell ersetzen. Zudem legitimiert sich das Regime durch das Martyrium seiner Vertreter, das religiös überhöht wird und zeigt, dass sie für das Fortbestehen des Systems auch das eigene Leben zu opfern bereit sind. Man sollte also nicht unterschätzen, wie hartnäckig sich diese Strukturen halten können.
Iran hat Angst vor US-Angriff, kann aber asymmetrisch reagieren
US-Präsident Donald Trump hat vom iranischen Regime eine bedingungslose Kapitulation gefordert und ein mögliches militärisches Vorgehen angedeutet. Wie würde die iranische Regierung reagieren, wenn die USA sich tatsächlich einmischen würden?
Epkenhans: Ich glaube, das Regime hat tatsächlich Angst vor diesem Szenario, weil dann der Feind plötzlich viel größere Möglichkeiten hätte, neuralgische Punkte wie die unterirdische Atom-Anlage zu zerstören.
Und wie würde die Antwort des Regimes auf eine amerikanische Kriegsbeteiligung ausfallen?
Epkenhans: Der Iran würde vermutlich versuchen, asymmetrisch zu antworten. Das Regime könnte versuchen, die Straße von Hormus zu blockieren. Das könnte einen Schock für die Weltwirtschaft auslösen, da rund 20 Prozent des weltweit gehandelten Erdöls nicht mehr auf den Markt gelangen würden.
Nach Regime-Wechsel könnte Bürgerkrieg den Iran zerreißen
Angenommen, es würde Israel und den USA gelingen, die Machthaber in Teheran zu stürzen. Was würde nach den Mullahs kommen?
Epkenhans: Ein Szenario wäre Bürgerkrieg. Der Iran mit seinen mehr als 80 Millionen Einwohnern ist ein ethnisch sehr diverses Land mit großen Minderheiten: zum Beispiel die aserbaidschanischen Iraner, Armenier, Kurden, Belutschen oder arabische Iraner.
Ich kann mir schwer vorstellen, dass etwa die Kurden – die als Bevölkerungsgruppe schon seit mehr als 100 Jahren marginalisiert werden – ein Interesse an einem neuen iranischen Nationalstaat hätten. Ich glaube eher, dass der Iran in seinen heutigen Grenzen dann nicht mehr existieren würde.
Der Sohn des letzten Schahs, Reza Pahlavi, ruft zum Umsturz auf. Manche glauben, dass er sich damit auch in Stellung bringt für die Zeit nach einem Regime-Sturz. Was halten Sie davon?
Epkenhans: Es ist auch ein Stück weit amerikanisches Wunschdenken, dass man eine Person der iranischen Auslandsopposition wie Reza Pahlavi einspannen kann. Auch hier gibt es Parallelen zum Irak.
Das ist aber wenig erfolgversprechend: Im Iran gibt es nur noch vereinzelt Anhänger der Monarchie. Reza Pahlavi hat in der Gesellschaft keinen Rückhalt. Das liegt auch daran, dass seine Familie zu Schah-Zeiten ebenfalls Menschenrechte missachtet hat und für Korruption bekannt ist.
Iranischer Opposition fehlt eine charismatische Figur
Wohinter könnte sich die Opposition stattdessen vereinen?
Epkenhans: Es fehlt die eine charismatische Figur. Die Opposition ist extrem fragmentiert, es gibt Nationalisten, Kommunisten, Konservative, sogar Links-Islamisten. Ich sehe nicht, wie sie sich auf eine Person einigen könnten, die den Iran nach einem Regime-Wechsel wieder aufbaut.
Das klingt alles nicht so, als wäre ein Regime-Wechsel der Freifahrtschein hin zu eine, offeneren Iran. Gibt es im Nahen Osten überhaupt Beispiele für erfolgreiche Regime Changes?
Epkenhans: Nein. Im Irak hat der Bürgerkrieg zu Zehntausenden Toten geführt. In Syrien gab es den Wechseln von innen heraus, aber auch dort ist abzuwarten, wie sich die Situation entwickelt. Ich hoffe, dass es irgendwann, auch durch eine jüngere Generation, im Iran zu einem Ende der autoritären Politik kommt.
Allerdings befürchte ich, dass diese Hoffnung durch den aktuellen Konflikt zurückgeworfen wird, weil Israel und die USA offenbar keinen Plan haben, was nach der militärischen Operation kommen soll.