Das müssen Anleger wissen, wenn Trump in den Krieg einsteigt
Wenige Tage nach dem ersten Angriff Israels hatten die Börsen den Konflikt am Montag eigentlich schon wieder zu den Akten gelegt. Zwar beschossen sich beide Parteien am Wochenende weiterhin gegenseitig, doch die Schäden schienen überschaubar zu bleiben, eine weitere Eskalation wurde als unwahrscheinlich bewertet. Und so stiegen die Kurse wieder und der Ölpreis fiel, weil die Straße von Hormus, das wichtigste Nadelöhr für die weltweite Ölversorgung, weiterhin befahrbar war – wenn auch unter Schwierigkeiten.
Dann kam Donald Trump.
Der US-Präsident reiste am Dienstag vorzeitig vom G7-Gipfel in Kanada ab mit den Worten, es stehe „etwas Großes“ bevor. Noch aus dem Flugzeug begann Trump mit verbalen Attacken auf den Iran via Social Media. Er rief die Zivilbevölkerung auf, Teheran zu verlassen und rief den Iran schließlich zu „UNCONDITIONAL SURRENDER“ auf, einer bedingungslosen Kapitulation. Trump ging sogar noch weiter: „Wir wissen genau, wo sich der sogenannte „Oberste Führer“ (Ayatollah Chamenei, d. Red.) versteckt hält. Er ist ein leichtes Ziel, aber dort ist er sicher - wir werden ihn nicht ausschalten (töten!), zumindest nicht im Moment.“
Beobachten verweisen darauf, dass allein die USA Bunkerbomben besitzen, mit denen die unterirdischen iranischen Atomanlagen zerstört werden könnten. Diese müssten von US-Bombern mit US-Piloten abgeworfen werden. Anders wäre Israels erklärtes Ziel, das iranische Atomprogramm endgültig zu beenden, nicht zu erreichen.
Eine Option, mit der keiner gerechnet hat
Seitdem steht plötzlich eine Option im Raum, mit der niemand gerechnet hatte – erst recht nicht die Investoren an den Kapitalmärkten: Werden die USA aktiv in den Konflikt am Persischen Golf eingreifen, um Irans Atomforschungsprogramm endgültig zu zerstören? Will Trump womöglich sogar einen Regimewechsel herbeiführen?
Die Investoren schalteten sofort wieder in den Krisenmodus um: Binnen Stunden legte der Ölpreis um mehrere Prozent zu. Wer am Montag gekauft hatte, liegt nun schon mehr als neun Prozent im Plus. Gleichzeitig drehten die Aktienkurse nach unten: Der Dax verlor am Dienstag 1,1 Prozent, in den USA gaben Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq zwischen 0,7 und 0,9 Prozent ab. Der Volatilitätsindex VIX schoss in die Höhe. Allerdings notiert er immer noch deutlich unter seinen Jahreshöchstständen vom April, als der aufkommende Handelskrieg die Börsianer schreckte. Auch die Verluste an den Aktienmärkten sind bislang noch als moderat einzustufen.
Noch preist niemand das Undenkbare ein
Es scheint, als seien die Anleger noch nicht bereit, sich auf das Undenkbare einzustellen. Die derzeitigen Kursschwankungen erfolgten ohne offensichtliche konkrete neue Entwicklungen, gibt Bloomberg-Autor John Authers zu bedenken, „sie wurden weitgehend durch den Nachrichtenfluss des Präsidenten in den sozialen Medien ausgelöst.“ Und so spielt der Markt an einem Tag die große Krise, nur um beim Ausbleiben schwerer Vergeltungsschläge sofort wieder auf Erholung umzuschalten.
Am Dienstag trieben die Investoren die Ölpreise nach oben und steuerten Gold und US-Staatsanleihen als sichere Häfen an. Der Dollar stieg. Die Aktien von Fluglinien wurden dagegen wieder abverkauft, ebenso die von Chemiekonzernen wie BASF, deren Produktion vom Öl abhängt. Am Mittwochmorgen hatte Trump noch nicht reagiert – und schon fiel der Ölpreis wieder leicht, Airlines wie die Lufthansa legten zu.
Der Markt spielt „ein reines Volatilitätsspiel“
Diese „0 oder 1“-Denke sei ein Fehler, sagte Christopher Granville von TS Lombard am Dienstag der Nachrichtenagentur Bloomberg. Derzeitig spiele der Markt „ein reines Volatilitätsspiel“, mit häufigen starken Kursbewegungen, gerade beim Öl, die dann umgehend wieder rückgängig gemacht würden. Der fünfte Tag des Krieges lege jedoch nahe, „dass eine andere Sichtweise sinnvoller wäre – eine, die sich weniger auf die Ergebnisse als vielmehr auf den Prozess der Abnutzung konzentriert“.
Zieht der Iran „mit Gloria in die letzte Schlacht“ oder gibt das Regime tatsächlich auf? So einfach sei das nicht, argumentiert Granville. Für beide Seiten stehe so viel auf dem Spiel, dass „viel mehr militärische Erniedrigung und soziale Spannungen erforderlich sein werden, bevor das eine oder andere Ergebnis eintritt“. Ein „glorreicher Untergang“ für das Regime in Teheran sei selbstmörderisch. Bevor es kapituliere, müsse es „zuerst tödlich verwundet werden“. Eine Kapitulation würde zudem zu internen Kämpfen führen – mit ungewissem Ausgang. Gleichzeitig fehle es an Vertrauen in die USA als Gegenpartei. Wenn „bedingungslos“ bedeute, dass der Iran die Fähigkeit zur Urananreicherung aufgeben muss, wäre das „eine so drastische Niederlage, dass ein Regimewechsel unvermeidlich erscheint“.
Aussicht auf verbündetes Regime im Iran „wirklich gering“
Tina Fordham, Mitgründerin des Think Tanks „Fordham Global Foresight“, sieht in diesem Fall mögliche Parallelen zu den Regimewechseln in Libyen und dem Irak, die zum Teil in Chaos mündeten. Sie glaubt, dass die möglichen Folgen eines Sturzes der iranischen Regierung von den Märkten noch gar nicht eingepreist wurden. In diesem Fall müssten beispielsweise Europa und die Türkei „die fliehenden Massen aufnehmen“, wie es während des Krieges in Syrien geschah. „Die politischen Risiken sind nicht auf den Ölpreis oder den Golf beschränkt.“
Aber würde die Lage im Nahen Osten durch einen Sturz der Ayatollahs überhaupt stabiler? Es sei nicht ausgemacht, dass ein neues Regime für Israel oder die USA angenehmer sei, zitiert Bloomberg die frühere Generalin Karen Gibson vom National Security Institute. Die Aussicht auf ein „mit den USA verbündetes Regime im Iran“ sei „wirklich gering“. Die jüngeren Generationen im Land neigten eher dazu neigten, radikaler zu sein als ihre älteren. „Ich wüsste nicht, wie ein nicht-islamistisches Regime entstehen könnte“, sagt Gibson.
Was alles passieren kann
Für die Börsen bedeutet das vor allem zwei Haupt-Szenarien – die am Ende auf dasselbe hinauslaufen:
1. Eine monatelange Hängepartie, bei der sich Israel und der Iran noch wochenlang wechselseitig beschießen, würde die Kurschwankungen wohl weiter verstärken.
2. Aber auch die Hoffnung auf einen schnellen Sieg Israels mit Hilfe der USA wäre trügerisch: Selbst, wenn das Regime wirklich stürzt, würden Monate der Unsicherheit folgen. Die Straße von Hormus wäre dann trotzdem nicht sicher befahrbar.
3. Mit ihren Störaktionen in der Einfahrt zum Roten Meer haben die Huthis schon jetzt genügend Chaos angerichtet. Die weltweiten Lieferketten wurden dadurch nachhaltig gestört, weil Frachtschiffe die Passage durch den Suez-Kanal meiden und lieber den Umweg über Kap Horn nehmen.
Paradox: Aktien wie die des Schiffs-Logistikers Maersk legten in Erwartung steigender Preise für die Passage von und nach Asien bereits zu.
4. Wenn China mit Sanktionen gegen die westliche Welt reagieren und seinen Heimatmarkt komplett von ihnen abschotten würde, könnte das zu ganz neuen Verwerfungen führen. Zugleich könnte Xi Jingping einen von den USA initiierten Regimewechsel im Iran zum Anlass nehmen, sich nun seinerseits Taiwan einzuverleiben. Dann wären vor allem Chipaktien aus der Region betroffen, allen voran der Auftragsfertiger TSMC und sein Kunde Nvidia. Auch AMD lässt in Fernost fertigen. Dagegen würden die koreanischen TSMC-Konkurrenten Samsung und SK Hynix von einem Taiwan-Konflikt vermutlich profitieren.
5. Auch Saudi-Arabien, derzeit nach den USA nur noch das zweitgrößte Ölförderland der Welt, das sich zuletzt auf Annäherungskurs zum Iran begeben hatte, könnte eine entscheidende Rolle spielen und die Ölpreise mit seinen Aktionen massiv beeinflussen - in beide Richtungen.
6. Zu guter Letzt könnte auch das völlig Undenkbare eintreten: Die USA halten sich raus und Israel verliert den Krieg. Am Mittwoch machte eine Meldung des „Wall Street Journal“ die Runde, Israel würden die Abwehrraketen vom Typ „Arrow“ ausgehen. Sie sind zentraler Bestandteil der Luftabwehr „Iron Dome“ und können anfliegende Raketen in bis zu 100 Kilometern Höhe zerstören. Fiele diese Art der Luftabwehr aus, hätten Irans verbliebene Langstreckenraketen plötzlich freie Bahn. Niemand wünscht sich das, die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Aber auch dieses Szenario muss bedacht werden.
Je breiter aufgestellt, desto besser
Auf welchen Ausgang sollte man also als Börsianer setzen? Als langfristiger Anleger – auf keinen; da hilft tatsächlich nur „Augen zu und durch“. Je breiter Anleger ihre Börseninvestments streuen, umso besser sind sie auf jedwede Ausgänge vorbereitet. Ja, das heißt wieder einmal: Sein Geld in breit gestreute ETFs auf den MSCI World, den S&P 500 und den Stoxx600 anlegen, am besten als Sparplan.
Für erfahrene Daytrader brechen unterdessen riskante, aber womöglich auch goldene Zeiten an: Erhöhte Volatilität ist ihr Lebenselixier. „Die Chancen stehen gut, dass dieser Konflikt auch weiterhin genug Wendungen bietet, mit denen Händler Geld verdienen können“, schreibt Bloomberg-Autor Authers. „Das ist für die meisten von uns aber nur ein schwacher Trost.“
