Nach Asyl-Urteil ätzt SPD gegen Dobrindt – Schwarz-Rot hat jetzt zwei Optionen

Am Tag nach dem ersten Urteil zu den von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) angeordneten Zurückweisungen gibt es Gesprächsbedarf in der schwarz-roten Koalition. Am Montag hatte das Verwaltungsgericht Berlin es für rechtswidrig erklärt, dass drei Somalier trotz Asylgesuchs an der deutsch-polnischen Grenze abgewiesen wurden. Darüber, wie die Entscheidung zu werten ist, gibt es bei Union und SPD ganz unterschiedliche Ansichten.

SPD wirft Dobrindt nach Asyl-Urteil "Realitätsverweigerung" vor

In der SPD haben einige das Urteil fast schon mit hämischer Freude zur Kenntnis genommen. Es sei keine Überraschung, dass die Migrationswende von Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Innenminister Dobrindt ausgebremst werde. Schließlich sei die rechtliche Problematik schon immer klar gewesen – nur habe die Union das im Wahlkampf nicht eingestehen wollen. 

"Wenn man Realitätsverweigerung begeht, muss man später eben feststellen, dass Gerichte das Bild wieder zurechtrücken", sagt ein einflussreiches SPD-Fraktionsmitglied zu FOCUS online. Ralf Stegner ätzte im "Spiegel" gegen Dobrindt: "So was kommt von so was." Gerne wird in diesem Zusammenhang auch darauf verwiesen, dass Dobrindt vor einigen Jahren, damals als Verkehrsminister, schon einmal eine Klatsche vor Gericht kassiert hat.

Ärger über Zeitpunkt des Zurückweisungs-Urteils 

In der Union will man von solchen Vorwürfen nichts wissen. Ohnehin stelle das Urteil nur eine Einzelfall- und keine Grundsatzentscheidung über alle Zurückweisungen dar – mit dieser Linie versammelt sich die Fraktion hinter Dobrindt, der das schon am Montag betont hatte

Tatsächlich gibt es aber auch in der CDU Stimmen, für die das Urteil nicht ganz überraschend kommt. Schließlich hantiere man mit einer komplexen Rechtsmaterie – da könne es schon passieren, dass mal ein Verwaltungsgericht gegen die Zurückweisungen der Bundespolizei urteile. Und noch ist in der Hauptsache keine Entscheidung gefallen, das ist den Politikern der Union wichtig zu betonen.

Manche in der Union ärgert allerdings der Zeitpunkt: Dass schon so früh ein Urteil gegen Zurückweisungen gefallen ist, passt nicht zum Plan von Merz und Dobrindt. Deren Kalkül war es offenbar, die neue Grenzpolitik erst einmal laufen zu lassen – die Gerichte würden bis zu einer endgültigen Entscheidung ohnehin sehr viel Zeit brauchen. Dann aber hätte sich die politische Realität schon längst verändert, weil zum Beispiel auch andere Staaten ihrerseits zurückweisen würden.

SPD hofft auf Umdenken bei Innenminister Dobrindt

So weit ist es aber noch nicht und stattdessen ist nun das Kalkül der SPD aufgegangen: Sie hatte die Zurückweisungen im Koalitionsvertrag akzeptiert, weil sie mit einem juristischen Stopp des Plans rechnete. 

Auch jetzt, nach dem ersten Urteil, sehen manche Sozialdemokraten deshalb keinen Anlass, Dobrindt unter Druck zu setzen. Man hofft, dass weitere Urteile einen Umdenken bei ihm auslösen – oder ihm immer mehr schaden, ganz ohne dass die SPD dafür Krach in der Koalition riskieren muss.

Parteilinke machen Druck auf SPD-Führung

Allerdings ist das Urteil auch für die SPD heikel. Denn als Koalitionspartner der Union trägt sie den Kurs von Dobrindt mit. Sollte sich das Bild verfestigen, dass der Minister Rechtsbruch begeht, könnte das auch auf die Sozialdemokraten zurückfallen. Parteilinke wie Aziz Bozkurt, Sprecher AG Migration und Vielfalt, fordern die Parteiführung deshalb dazu, auf die Union einzuwirken, die Zurückweisungen schnell zu beenden.

Außerdem gibt es in der SPD Abgeordnete, die Dobrindts Grenzpolitik und das Urteil für ein fatales Signal an die EU-Partner halten. Sie fragen sich: Wie will man beispielsweise glaubhaft gegen Ungarns Europarechtsverstöße vorgehen, wenn die eigene Regierung sich offenbar selbst nicht an die Regeln hält?

Gespräch zwischen Union und SPD zum Urteil geplant

Zu all diesen Punkten soll es nach Informationen von FOCUS online noch in dieser Woche Gespräche zwischen Vertretern der Unions- und SPD-Fraktion geben. Wahrscheinlich werden dann auch zwei Ansätze diskutiert, wie die Koalition mit dem Urteil umgehen will.

Zum einen könnte die Union ihre Argumente nachschärfen, warum die Zurückweisungen an den Grenzen notwendig sind. Das könnte womöglich die Chance erhöhen, dass künftige Urteile anders ausfallen. Ein anderer Ansatz könnte darin bestehen, einen Ausweg zu nehmen, den das Berliner Verwaltungsgericht in seinem Urteil aufgezeigt hat: Nämlich direkt an der Grenze das sogenannte Dublin-Verfahren durchzuführen. 

Dann müsste man die Asylsuchenden nicht ins Land lassen, bis das Verfahren abgeschlossen ist, man würde aber auch nicht weitere Klatschen vor Gericht riskieren. Weder Union noch SPD verschließen sich der Idee grundsätzlich. Politiker beider Fraktionen melden aber Bedenken an, ob ein solches Schnellverfahren an den Grenzen praktisch umsetzbar wäre. Dafür bräuchte es wahrscheinlich sowohl mehr Personal als auch geeignete Örtlichkeiten.

Grüne und Linke wollen Regierung im Bundestag vorführen

Solange aber keine Lösung gefunden ist und andere Gerichte nichts Gegenteiliges entschieden haben, wird sich die Koalition noch viel Kritik aus der Opposition ausgesetzt sehen. Sowohl Grüne als auch Linke wollen das Thema im Bundestag diskutieren: Sie haben Anträge zur sofortigen Beendigung der Zurückweisungen eingereicht, die am Donnerstagmittag diskutiert werden.