Migrations-Papst Knaus: „Die Bundesregierung wird alle Fälle vor Gericht verlieren“
Dienstag, 3. Juni, 06.03 Uhr: Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält das Konzept der Zurückweisungen für gescheitert. „Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will“, sagte Knaus im stern-Podcast „5-Minuten-Talk“.
Das Berliner Verwaltungsgericht hatte am Montag die Zurückweisung von drei Somaliern durch die Bundespolizei für rechtswidrig erklärt. Knaus zeigte sich irritiert über die Ankündigung von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), trotzdem an dem umstrittenen Konzept festzuhalten: „Irgendwann muss ja auch die SPD – sie stellt ja die Justizministerin – die Frage stellen, wie kann man eigentlich die Bundespolizei losschicken, was zu tun, was offensichtlich rechtswidrig ist.“
Knaus weiter: „Ich kenne niemanden in der Praxis, der glaubt, dass das funktionieren wird. Also warum setzt die Regierung nicht auf Konzepte, die schon einmal die Zahlen reduziert haben, die sie selbst im Wahlkampf als gut präsentiert hat und wo sie die anderen Länder als Partner hat“ – sichere Drittstaatenabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals. Die EU-Kommission habe vor zwei Wochen Vorschläge präsentiert, mit deren Hilfe das rechtlich möglich würde. „Jetzt müssten SPD, CDU und CSU im Europaparlament dafür sorgen, dass es möglichst schnell durchkommt. Die meisten in der EU wollen das“, so Knaus. „Dann könnte man parallel dazu jetzt schon mit Verhandlungen und Angeboten beginnen. So schnell es geht.“
SPD-Innenpolitiker Castellucci plädierte für grenznahe, beschleunigte Dublin-Verfahren
20.20 Uhr: Auch in den Reihen des Koalitionspartners SPD gibt es Zweifel an Dobrindts Vorgehen. "Das Bundesinnenministerium ist offensichtlich weder ausreichend in die Abstimmung mit unseren Partnerländern gegangen, noch hat es einen klar rechtssicheren Weg für Zurückweisungen eingeschlagen", sagte SPD-Innenpolitiker Lars Castellucci den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Er plädierte für grenznahe, beschleunigte Dublin-Verfahren. "Das scheint mir, zumindest bis zur Einführung des neuen europäischen Asylsystems, der geeignetere Weg", sagte Castellucci.
Dobrindt: "Müssen prüfen, wer zuständig ist für das Asylverfahren"
19.33 Uhr: Der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) sagte weiter, er wolle nun das Hauptsache-Verfahren anstreben. Man glaube, dass man dort "deutlich Recht bekommen" werde. "Das Gericht hat in diesem Beschluss ausgeführt, dass die Begründung für unsere Maßnahmen dezidierter hätte sein sollen." Diese dezidiertere Begründung wolle man nun nachliefern.
"Man sieht an genau so einem Beispiel auch, wie schwierig die Situation inzwischen ist, wie komplex sie ist und wie, ich würde mal sagen, auch dysfunktional die Situation des ganzen Asylsystems inzwischen geworden ist", sagte Dobrindt.
Dobrindt hält auch nach Urteil an Zurückweisung von Asylsuchenden fest
18.58 Uhr: Dobrindt betont zudem, dass Deutschland an den Zurückweisungen festhalten will. "Wir halten an unserer Rechtsauffassung weiterhin fest“, so Dobrindt weiter.
18.57 Uhr: Jetzt stellt sich Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) vor die Presse und gibt ein Statement ab. Dobrindt geht zu Beginn noch einmal auf den Fall der drei Somalier ein, bei dem heute vor dem Berliner Verwaltungsgerichts geurteilt wurde. Er bezeichnet den Fall als eine "Einzelfallentscheidung". Dobrindt weiter: "Das Urteil heute sagt aus, dass eine Dublin-Prüfung erforderlich ist. Und wir müssen prüfen, wer für das Asylverfahren verantwortlich ist."
Innenminister Dobrindt äußert sich nach Gerichtsurteil
18.05 Uhr: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) nimmt um 18.45 Uhr im Bundesinnenministerium Stellung zur Gerichtsentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin.
Grüne sehen sich durch den Gerichtsentscheid bestätigt
18.00 Uhr: Kritiker der neuen Grenzkontrollen fühlen sich durch die Entscheidung des Gerichts bestätigt. Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Marcel Emmerich, sagte: "Der Beschluss entlarvt Dobrindts Symbolpolitik als das, was es ist: ein offener Rechtsbruch." Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) müsse die rechtswidrigen Zurückweisungen umgehend stoppen. Die SPD dürfe nicht mehr länger schweigend zusehen.
Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) mahnt: "Das ist ein Urteil, das die Bundesregierung beachten muss." Die Entscheidung des Gerichts dürfte niemanden überraschen.
CDU-Innenexperte: Zurückweisungen fortsetzen
17.50 Uhr: Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, sieht nach der Gerichtsentscheidung vorerst keine Notwendigkeit, das derzeitige Vorgehen zu ändern. "Wir werden die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin natürlich genau prüfen", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Er betonte gleichzeitig: "Die Zurückweisungen müssen fortgesetzt werden."
Die Erstmeldung
Die Zurückweisung von Asylsuchenden bei Grenzkontrollen auf deutschem Gebiet ist nach einer Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts rechtswidrig. Ohne Durchführung des sogenannten Dublin-Verfahrens dürfen sie nicht abgewiesen werden, entschied das Gericht. Im konkreten Fall ging es um drei Somalier - zwei Männer und eine Frau - die nach der neuen Regelung am 9. Mai von Frankfurt (Oder) aus nach Polen zurückgeschickt wurden.
Gericht: Abweisung Asylsuchender hinter Grenze rechtswidrig
Nach Angaben einer Gerichtssprecherin handelt es sich um die erste gerichtliche Entscheidung zu der Neuregelung von Innenminister Alexander Dobrindt. Der CSU-Politiker hatte wenige Stunden nach seinem Amtsantritt Anfang Mai eine Intensivierung der Grenzkontrollen verfügt. Gleichzeitig ordnete er an, dass auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können.
Drei Menschen aus Somalia in Frankfurt (Oder) nach Polen zurückgewiesen
Im vorliegenden Fall ging es um zwei Männer und eine Frau aus Somalia, die mit dem Zug aus Polen nach Deutschland reisten. Am 9. Mai wurden sie am Bahnhof Frankfurt (Oder) durch die Bundespolizei kontrolliert. Nachdem sie ein Asylgesuch geäußert hatten, wurden sie noch am selben Tag nach Polen zurückgewiesen. Die Bundespolizei begründete die Zurückweisung laut Gericht mit der Einreise aus einem sicheren Drittstaat.
Dagegen wehrten sich die Betroffenen per Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht. Die Beschlüsse sind nach Gerichtsangaben unanfechtbar.
Gericht: Nicht auf Ausnahmezustand berufen
Nach den EU-Bestimmungen der Dublin-Verordnung darf die Bundespolizei Asylbewerber nicht einfach an der Grenze zurückweisen. Vielmehr müssen die deutschen Behörden ein kompliziertes und in der Praxis oft schlecht funktionierendes Verfahren in Gang setzen, um sie an den zuständigen EU-Staat zu überstellen – also dorthin, wo sie in die EU eingereist sind.
Aus Sicht des Gerichts kann sich die Bundesrepublik nicht darauf berufen, dass die Dublin-Verordnung angesichts einer Notlage unangewendet bleiben dürfe. Insbesondere könne sich die Regierung nicht auf eine "nationale Notlage" – also eine Art Ausnahmezustand - berufen, hieß es. Dies habe die Regierung im Verfahren getan, sagte eine Gerichtssprecherin auf Nachfrage. Das Gericht erklärte, es fehle dafür "an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung".
Die Bundesrepublik sei nach der Verordnung verpflichtet, bei Asylgesuchen, die auf deutschem Staatsgebiet gestellt werden, in jedem Fall das vorgesehene Verfahren durchzuführen.
Die Antragsteller können nach Darlegung des Gerichts allerdings nicht verlangen, über den Grenzübertritt hinaus in das Bundesgebiet einzureisen. Denn nach der Dublin-Verordnung sei es möglich, das Dublin-Verfahren an der Grenze oder im grenznahen Bereich durchzuführen, ohne dass damit zwangsläufig eine Einreisegestattung verbunden sein müsse, hieß es vom Gericht.