Habeck warnt, zeigt Verständnis – und gibt Union Mitschuld am Höfesterben

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Robert Habeck (Grüne) mahnt angesichts der Bauernproteste zu Zivilcourage. © Screenshot X

Robert Habeck (Grüne) warnt angesichts der Bauernproteste davor, die Demokratie für selbstverständlich zu halten. Er fordert Solidarität – doch auch die Union bekommt Kritik ab.

Berlin – Für viele Landwirte steht er im Mittelpunkt des Zorns, jetzt meldet sich Robert Habeck (Grüne) zu Wort: „Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist“, sagt der Bundeswirtschaftsminister in einem Video zu den Bauernprotesten, veröffentlicht im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter). Es sei das gute Recht der Bauern, zu protestieren. Aber selbst der Bauernverband warne inzwischen davor, dass die Proteste nicht vereinnahmt werden dürfen. Habeck zeigt sich besorgt.

„Der beste Staat, den Deutschland je hatte“: Robert Habeck warnt vor Umsturzfantasien

Es kursierten Aufrufe mit Umsturzfantasien, extremistische Gruppen formieren sich, völkisch-nationale Symbole würden offen gezeigt. „Es wird deutlich, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt, sodass nun auch zuvor Unsagbares legitimiert erscheint“, stellt Habeck zu Anfang seiner Videobotschaft fest.

„Diese Republik ist der beste Staat, den Deutschland je hatte. Wir müssen für sie einstehen. Seien wir solidarisch, als Demokratinnen und Demokraten und in diesem Sinne patriotisch. In dieser Woche und in den nächsten, in dieser Zeit“, steht im Tweet zu Habecks Video. Damit wählt Vizekanzler Robert Habeck erneut einen staatsmännischen Ton und ordnet ein, ähnlich wie er dies in seinem Video nach den Angriffen der Hamas auf Israel und der Zunahme von Antisemitismus getan hatte. Auch, wenn er nach den Angriffen auf sich als Privatperson direkt betroffen ist – eine derartige Einordnung wird auch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwartet.

Wirtschaftsminister stellt strukturelles Problem fest, das unter Merkel-Regierung größer wurde

In seiner sechsjährigen Amtszeit als Landwirtschaftsminister habe Habeck die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern kennengelernt. Er sagt: „Sie arbeiten sieben Tage die Woche, sind immer auf Abruf, und wenn andere ihren Jahresurlaub machen, haben sie Erntezeit. Ja, sie wirtschaften unter einem mächtigen ökonomischen Druck.“ Dazu zählten unter anderem der Preisdruck von Discountern und die Schwankungen des Weltmarkts.

Aber vor allem gäbe es ein strukturelles Problem, weil Bauern die Preise für ihre Produkte nicht selbst machen könnten, gestiegene Kosten nicht weitergeben könnten. Dadurch gäbe es den Druck, immer mehr zu produzieren, und das passiere auch. „Wachse oder weiche“, sei die Realität der Industrialisierung der Landwirtschaft. „Dies allerdings ist auch die bisher vom Bauernverband selbst vertretene Position. Als Indikator für den Fortschritt in der Landwirtschaft gilt der Strukturwandel, übersetzt also, das Höfesterben“, so der Vizekanzler. Dieser Strukturwandel bestehe schon seit der Regierungszeit von Angela Merkel (CDU), unterstreicht Habeck. 100.000 Betriebe hätten unter Agrarministern von CDU und CSU aufgegeben.

Habeck stärkt Bauern den Rücken: „Natürlich will man (...) an jeder einzelnen Subvention (...) festhalten“

„Natürlich will man angesichts solcher Probleme an jeder einzelnen Subvention ohne Abstriche festhalten. Nur gibt es auch andere Antworten: faire Preise, gute Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit, für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Tierwohl, direkte Vermarktung.“ Seiner Ansicht nach solle man die Debatte jetzt nutzen, „um ernsthaft und ehrlich genau darüber zu diskutieren“. Die Bundesregierung sei zudem den Bauern wegen des Kostendrucks bereits entgegengekommen. Er halte es für notwendig, dass allgemein diskutiert wird, wie man das Gemeinwesen finanzieren kann, „damit es ein Gemeinwesen bleibt“.

Bauernproteste in Leipzig Plakate und Kritik an Bundesregierung und Politik
Ein Landwirt aus Sachsen tut am 8. Januar seinem Unmut über die Bundesregierung kund. © Jan Woitas/dpa

Dann aber geht Habeck über zu dem, worum es ihm im Video eigentlich geht: „Hinter den angekündigten Protesten steht mehr als die jetzigen Regierungsentscheidungen. Wir alle erleben einen Umbruch: Kriege und Krisen, die hohe Inflation über die letzten zwei Jahre. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist die Angst vor einer schlechteren gewichen. Erschöpfung und Enttäuschung, Sorge und Wut machen sich breit. Aber, und es ist ein großes Aber“, sagt Habeck, „wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern.“

Habeck zieht Vergleich mit Weimarer Republik: „Es ist Zeit, sich klarzumachen …“

„Umsturzfantasien heißen nichts anderes, als unseren demokratischen Staat zerstören zu wollen“, sagt Habeck. Anders als in der Weimarer Republik (auf die Jahrzehnte des nationalsozialistischen Terrorregimes in Deutschland folgten, Anm. der Red), „leben wir heute in einer über Jahrzehnte gewachsenen Demokratie.“ Starke Institutionen, eine von der Mitte getragene Gesellschaft und eine Kultur der Verständigung trügen die liberale Demokratie. Verschiedene Generationen und Institutionen hätten die Demokratie errichtet, und immer auf dem Fundament des Grundgesetzes gestritten. Das sei kurz nach dem Nazi-Regime keine Selbstverständlichkeit gewesen.

„Es ist Zeit, sich klarzumachen, dass es auch jetzt nicht garantiert ist. Es gibt keine Garantie, dass auch in Deutschland die Debatte nicht immer weiter verroht, sodass am Ende das Recht und der Rechtsstaat gefährdet sind. Unsere liberale Demokratie ist ein Schatz, den wir verteidigen müssen. Unsere Republik ist eine, für die wir arbeiten müssen.“ Es gehe jetzt darum, den Ressentiments und dem Populismus etwas entgegenzusetzen: Nämlich Patriotismus im besten Sinne.

Robert Habeck (Grüne): „Wenn an Traktoren Galgen hängen....“

„Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktoren zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten“, sagt Habeck. Obwohl der Bauernverband betone, dass man gewaltfrei und friedlich demonstrieren wolle, sei das nicht bei allen angekommen. Er sagt: „Es ist ein Wesenszeichen der liberalen Demokratie, dass sie auch ihren Gegnern Platz gibt.“

Wer allerdings die „Demokratie zersetzen“ wolle, müsse dafür mit den Mitteln des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen werden.“ Kampagnen würden teilweise vom russischen Präsidenten Wladimir Putin bezahlt, es gebe Rechtsradikale, die geschützt von der Freiheit genau die Freiheit abschaffen wollten und viele, die sich selbst nur als Opfer inszenierten und „immer nur anderen die Schuld geben“ – all das dürfe man nicht dulden, Verfassungsfeinden dürfe man keinen Platz überlassen.

„Seien wir solidarisch“: Habeck will Besinnung auf Hauptgegner „Anti-Demokraten“

„Eine Zivilgesellschaft lebt davon, sich einzubringen, hinzusehen, sich einzumischen“, und von „Zivilcourage“. Zivilcourage wiederum sei der Mut, auch für andere einzustehen. Weil Radikale und Populisten Aufwand haben, sei jetzt etwas anderes nötig: „Entscheidend ist jetzt, dass die große schweigende Mehrheit sich einbringt, sprich: wählen geht.“

Entscheidend ist jetzt, dass die große schweigende Mehrheit sich einbringt, sprich: wählen geht.

Diese schweigende Mehrheit müsse sich klarmachen, dass „Demokraten Differenzen haben mögen“ – der „politische Feind, der gemeinsame Hauptgegner“ seien jedoch „die Anti-Demokraten“. Man müsse für die Menschen einstehen, die sich in Deutschland bereits bedroht fühlten. „Wehren wir die Bedrohung ab. Haken wir uns unter. Seien wir solidarisch, und in diesem Sinne patriotisch. In dieser Woche und in den nächsten. In dieser Zeit.“ (kat)

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