Interview: MdB Mechthilde Wittmann spricht über ihre politischen Erfolge, Zuwanderung und den Sozialstaat

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„Ich bin immer zuversichtlich“, sagte Mechthilde Wittmann beim Pressegespräch in ihrem Wahlkreisbüro in Kempten. © Lajos Fischer

Der Kreisbote spricht vor der Bundestagswahl mit Mechthilde Wittmann (CSU) über ihre Direktkandidatur für den Wahlkreis Kempten, Lindau, Oberallgäu.

Kempten – Mechthilde Wittmann (CSU) ist seit 2021 direkt gewählte Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises 256 und möchte ihr Mandat behalten. Die 57-jährige Juristin lebt in Kempten und hat zwei Kinder.

Frau Wittmann, Sie sind keine gebürtige Allgäuerin. Sind Sie hier richtig angekommen?

Mechthilde Wittmann: Ich bin in München geboren, dort saß ich 20 Jahre lang im Stadtrat, dann wechselte ich in den Landtag. In dieser Zeit, 2016, kam ich nach Kempten. Ich habe mich mit dem Herzen für das Allgäu entschieden. Ich lebe aus emotionaler Überzeugung hier.

Was half dabei, hier Wurzeln zu schlagen?

Meine Hobbys finden im Allgäu statt: Hier gehe ich reiten, hier fahre ich Ski. Ich habe einen wachsenden Freundeskreis und meine Familie. Und für eine Frau wichtig (mit Augenzwinkern): Hier sind auch meine Lieblingsboutiquen.

Ministerpräsident Söder erzählte beim Neujahrsempfang, dass Sie ihm regelmäßig „auf die Nerven gehen“, um Allgäuer Interessen durchzusetzen. Ist das nicht der Job von Joachim Konrad?

Markus Söder und ich kennen uns, seitdem wir 20 sind. Uns verbindet eine lange, sehr vertraute Bekanntschaft. Es ist selbstverständlich, dass ich ihn direkt ansprechen kann, wenn ich ein Anliegen erkenne.

Wem gehen Sie in Berlin „auf die Nerven“? Außer Claudia Roth gehört niemand aus Bayern zur Regierung.

In Berlin braucht man eine große Fraktion und das Vermögen, sich in der eigenen Fraktion durchzusetzen. Das ist mir bereits gelungen. Selbst Friedrich Merz hat seine Anerkennung für meine Arbeit gegenüber anderen Führungspersönlichkeiten zum Ausdruck gebracht. Das bedeutet mir mehr, als wenn er es nur mir gesagt hätte.

Die Landrätin liegt mit ihren Vorstellungen auf dem Holzweg, kommunale Themen in den Bundestag verlegen zu können. Dagegen spricht schon Art. 28 Grundgesetz. Im Übrigen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland kein Amt, in dem man selbst so viel Entscheidungsfreiheiten hat, wie das Amt des Landrats. In Bundesthemen kann man als Einzelkämpfer oder in einer kleinen Mannschaft nichts ausrichten, wie man seit Beginn der Bundesrepublik Deutschland im Bundestag nahtlos nachvollziehen kann. Aber Bundesthemen schlagen sich natürlich immer auch im Allgäu nieder. Als es beispielsweise um die Besteuerung der Sporthallennutzung ging, hat Thomas Kiechle mich darauf angesprochen. Ich habe mich für eine Lösung in Berlin eingesetzt und dadurch sogar aus der Opposition heraus durch eine Änderung der Vorschläge für die Stadt Kempten etwa 1,2 Millionen Euro gespart.

Meine bisherige Zeit im Bundestag war in der Opposition. Ohne Regierungsmehrheit kann man nur schwer etwas erreichen. Man benötigt mindestens eine „kritische“ Masse an Kollegen, etwa mit einer großen Fraktion. Aber wir haben trotzdem einiges erreicht, denn wir haben es geschafft, einen enormen Druck auf die Regierung aufzubauen. Das war möglich, weil die Gesellschaft mit unseren Positionen mitgegangen ist und uns Rückendeckung gegeben hat – wie die Umfragen zeigten.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Bundestagsabgeordneten aus der Region?

Die Zusammenarbeit mit Stephan Thomae funktioniert ausgezeichnet. Es reicht ein kurzer Zuruf und wir entscheiden, wer von uns in seiner Funktion mehr erreichen kann. Das war besonders wichtig, als die FDP noch zur Regierung gehörte. Ich bin zutiefst traurig, dass er eventuell nicht mehr im Bundestag sein wird. Er ist auch charakterlich ein sehr guter Kollege mit viel Sachverstand.

Was halten Sie davon, dass der bayerische Koalitionspartner der CSU der Union jetzt auch in der Bundespolitik Konkurrenz machen will?

Die Freien Wähler sind eine klassische kommunale Partei. In der Kommune sind sie eine wichtige Stimme, dort schätze ich sie. Bei größeren Themen wird schnell sichtbar, dass sie keine Erfahrung und oftmals undurchdachte Positionen haben. Man merkt auch bei Hubert Aiwanger, dass das Wirtschaftsministerium für ihn eine Nummer zu groß ist. Otto Wiesheu war da eine ganz andere Größe.

Die Freien Wähler entfernen sich mit ihrem jetzigen Schritt von dem, was ihre Stärken sind, und offenbaren dadurch ihre Schwächen. Bei Aiwanger geht es nicht um politische Interessen, sondern um ein gefährliches Machtspiel. Das könnte dazu führen, dass aus unserem Wahlkreis außer zwei AfD-Abgeordneten niemand mehr im Bundestag sitzt.

Wenn man Markus Söder zuhört, bekommt man das Gefühl, dass die Brandmauer Richtung Grüne größer und weniger löcherig ist als Richtung AfD.

Ihm gehen die Grünen im Landtag auf die Nerven. Es ist purer Populismus, was sie da treiben. In Berlin ist es anders. Dort geht den Grünen ihre Glaubwürdigkeit verloren, weil sie sich immer dahin bewegen, wo es zur Regierungsbildung hinläuft. Dabei sind ihnen die Probleme der Bevölkerung aus idealistischen Gründen völlig egal. Mit solchen Leuten will Söder nicht regieren. Merz sagt das Gleiche. Mit den Grünen kann man nicht regieren. Es ist originäre Aufgabe der Politik, darauf zu schauen, was die Bürgerinnen und Bürger wollen und brauchen.

Für mich ist es ausgeschlossen, dass wir mit der AfD zusammenarbeiten, und dabei bleibt es. Und das will niemand in Deutschland, weder die Union noch die anderen. Die AfD ist in meinen Augen eine in Teilen rechtsextreme Kaderpartei.

Aber wir können nicht das Richtige nicht tun, nur weil sie uns durch Mitstimmen lahmlegen wollen. Wir müssen handlungsfähig bleiben. Die Ampel hat bereits am 6. November, kurz vor dem Ampelbruch, mit der AfD zusammengearbeitet: Wir wollten das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz ins Plenum bringen. Stattdessen haben SPD, Grüne und FDP mit den Stimmen der AfD den fast wortgleichen AfD-Antrag ins Plenum gebracht. Sie dachten, wir stimmen dafür. Damit haben tatsächlich sie versucht, uns mit Hilfe der AfD eine parlamentarische Falle zu stellen. Das sind unanständige Wahlkampfmanöver, die verantwortungsvolle Politiker nicht tun.

Bedeutende Unionspolitikerinnen wie Rita Süßmuth und Angela Merkel prägten das Narrativ über Deutschland als erfolgreiches Einwanderungsland. Demgegenüber bezeichnete Horst Seehofer die Migration als „die Mutter aller Probleme“, Friedrich Merz stand von dieser Auffassung nicht weit weg, als er die „Leitkultur-Debatte“ auslöste. Bei der Abstimmung im Bundestag waren es vor allem Frauen aus der Union, die – nach Merkels Stellungnahme – Rolf Mützenichs Aufruf zur Schließung des Tores zur Hölle folgten. Auf welcher Seite sind Sie: Merz oder Merkel?

Eindeutig Merz, und schon seit 2015. Bereits 2014 habe ich dem damaligen Fraktionsvorsitzenden im Landtag geschrieben: Wir müssen handeln, sonst wächst uns das Thema über den Kopf. Diesen Kurs habe ich seitdem eingehalten. Im Übrigen sind die Abweichler aus der Fraktion aus dem alten Merkel-Kreis, die mit einer Ausnahme alle nicht wieder antreten.

Wir brauchen eine Begrenzung. Unser System, unsere Kommunen, unsere Verwaltungen, unsere Bürgerinnen und Bürger sind überfordert. Die Union hatte 2016 mit dem Türkei-Abkommen die Schengen-Grenze wieder dorthin geschoben, wo sie hingehört: an die Außengrenze der Europäischen Union. Die Zugangszahlen sind von jährlich 470.000 auf 120.000 im Jahr 2021 zurückgegangen. Dann kam die Ampel und sie haben sich wieder verdreifacht. In den letzten vier Jahren kamen drei Millionen Menschen zusätzlich ins Land. Dazu brauchen wir Wohnungen, Kindergartenplätze, ÖPNV und alles. Viele von diesen Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt nicht selbst. Es hapert auch an Sprachkenntnissen.

Der Bundeskanzler sagt, die Zahlen gehen wieder zurück. Das stimmt zwar, der Grund dafür sind aber die ausgeweiteten Grenzkontrollen ab Mitte September 2024, die ohne den massiven Druck der Union nie in diesem Maße stattfinden würden. Infolge der zusätzlichen Grenzkontrollen kam es zwischen Mitte September und Anfang Februar 2025 zu 13.786 Zurückweisungen und Zurückschiebungen, 518 Schleuser-Festnahmen, sowie sage und schreibe 3.306 vollstreckten Haftbefehlen.

Selbstverständlich sind die Straftaten mit migrantischem Hintergrund für alle eine Belastung, auch besonders für Migranten, die zunehmend pauschalisiert unter Verdacht geraten. Die Menschen sind verunsichert. „Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig“, sagte Tucholsky. Auch jetzt spüren die Menschen richtig, dass die Situation aus den Fugen geraten ist.

Aschaffenburg war zu verhindern, hätte die Bundesregierung das BAMF nicht kaputtgespart. Ich bin nicht mehr kompromissbereit: Straftäter müssen abgeschoben werden. Du darfst nicht ins gefährliche Afghanistan, aber dafür darfst du hier gefährlich sein: Das geht nicht. Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten viele Traumata und psychische Probleme mitbringen. Aber wir können es nicht bewältigen, diese Menschen, in dieser so hohen Anzahl, alle adäquat zu betreuen. Wir sind am Limit und darüber hinaus. Die begrenzten Kapazitäten, die wir haben, müssen wir für diejenigen aufbringen, die tatsächlich auf unsere Hilfe angewiesen sind. Wer diese ausgestreckte Hand mit Füßen tritt, indem er Straftaten begeht und die regelbasierte Ordnung in unserem Land missachtet, der muss gehen.

Stimmt die Zahl mit den drei Millionen? Friedrich Merz sprach im TV-Duell von zwei Millionen, Faktenchecker halten auch das für stark übertrieben.

Laut „Statista“ betrug die Nettozuwanderung nach Deutschland 2020 995.00, 2021 329.000, 2022 1.500.000 und 2023 663.000.

Die „große Erzählung“ über Deutschland als Einwanderungsland basiert darauf, dass mittlerweile 25 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben und einen wichtigen Beitrag für Deutschland leisten.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Leuten, die ihren Wohlstand hier selbst erarbeiten und denen, die Wohlstand auf Kosten anderer haben wollen. Menschen, die sich einbringen wollen, sind herzlich willkommen, und natürlich die, die wirklich unseren Schutz brauchen. Illegale Einwanderung in ein besseres Leben, in Wohlstand leben auf Kosten derer, die hier lange einzahlen: So ein Einwanderungsland sind wir nicht. Gerade die 25 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund, die in erster, zweiter oder dritter Generation hier arbeiten und einen beachtlichen Beitrag leisten, sehen das genauso, in Teilen sogar noch konsequenter. Erst recht, wenn sie sich über lange Jahre mit viel Fleiß und Mühe eingebracht haben, dann ist es besonders unfair für sie, wenn andere nach Deutschland einwandern und den Sozialstaat ausnutzen.

Was meinen Sie, wie geht es mit Trump in der Ukraine weiter?

Die Situation ist schwierig, eine Paradelösung gibt es nicht. Fakt ist, dass der Niedergang der Ukraine uns bedrohen würde, das wissen alle. Im Moment ist es schwer einschätzbar, welche Maßnahmen zur Lösung des Konflikts führen könnten. Den Weg zu finden, bleibt unglaublich schwierig, auch weil Trump wenig kalkulierbar ist. Wir wissen: Vor Putin zu kapitulieren, bedeutet unseren Frieden zu riskieren. Wir sind alle gespannt, welche Vorschläge die USA auf der Münchner Sicherheitskonferenz machen werden, an der ich teilnehmen darf.

Im jetzigen Wahlkampf wird viel darüber geredet, wogegen man ist und was man abschaffen will. Können Sie positiv formulieren, was Sie ändern wollen?

Die Stromsteuer und die Netzentgelte müssen runter, damit wir niedrigere Energiepreise bekommen. Und einige Menschen müssen wieder mehr leisten wollen, weil das unser Land braucht. Aus dem Bürgergeld müssen wir die Menschen in die Arbeit bringen. Die Wohlfühlgesellschaft mit der Absicherung des Staates geht so nicht mehr. Wir wollen die Überstunden steuerfrei machen: Wenn jemand diese auf sich nimmt, muss er belohnt werden. Von den älteren Semestern darf jeder wie vorgesehen in Rente gehen. Wir treten aber dafür ein, dass sie nach Renteneintritt bis 2.000 Euro steuerfrei dazuverdienen können, wenn sie dies möchten.

Wichtige Zukunftsthemen wie die Entwicklung des Gesundheitswesens oder der Pflege sind in diesem Wahlkampf kaum präsent.

Das liegt daran, dass einige dieser Themen Ländersache sind, wie zum Beispiel die Krankenhausstruktur. Wir wollen die Krankenhäuser so lange unterstützen, bis die Strategie für die neue Struktur stimmt. Bei der Pflege ist Bayern mit dem Pflegegeld auf einem guten Weg. Wir dürfen eines nicht übersehen: 85 Prozent der Pflege erfolgt zu Hause, und das hat Bayern im Blick.

Wenn wir die 1,7 Millionen Menschen, die jetzt Bürgergeld bekommen und arbeiten könnten, in Arbeit bringen und diese in die Rentenkasse einzahlen, entspannt sich die Situation der Sozialkassen umfassend. Steuern und Abgaben erhöhen geht nicht. Wir müssen wieder wettbewerbsfähig werden in der Produktion und beim Werben von Fachkräften.

Der Wahlkampf richtet sich stark an ältere Menschen, weil sie die Mehrheit ausmachen. Es gibt wieder lauter werdende Stimmen, die ein Wahlrecht ab Geburt fordern, damit die Interessen junger Menschen besser vertreten werden.

Das würde im Endeffekt aber nur die Stimme von Eltern von besonders kinderreichen Familien höher gewichten, welches eine Bevorteilung dieser Gruppe darstellt – fair ist das nicht, wenn dann im Zuge die Stimmen von älteren Menschen, oder jenen mit erwachsenen oder keinen Kindern weniger zählen würden. Ein Wahlrecht ab 16 würde auch nichts bringen, meine eigenen Kinder in dem Alter sagen, es bringt nichts, sogar sie fühlen sich dazu nicht ausreichend informiert. Wir müssen in den Schulen mehr in den Unterricht von Politik und Sozialkunde investieren.

Was bei den Entscheidungen für die Jugend völlig übersehen wird, ist, dass wir sie nicht mit Schulden belasten dürfen. Sie müssen Fußfreiheit haben und nicht durch Schulden geknebelt werden. Wir wissen heute nicht, welche Krisen sie zu bewältigen haben werden. Das Wort Pandemie haben vor ein paar Jahren auch nur wenige gekannt. Man darf nicht mehr ausgeben, als eingenommen wird, das ist die Aufgabe der Politik für die nachkommenden Generationen.

Wie zuversichtlich blicken Sie in die Zukunft?

Ich bin immer zuversichtlich, weil ich ein Mensch bin, der immer gerne anpackt. Und weil ich an das Können und Wollen unserer Bürgerinnen und Bürger glaube.

Vielen Dank für das Gespräch.

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