Was ist das Geheimnis einer guten Ehe? Berner Theater amüsiert in Kempten bei der Suche nach Antworten
Nick Hornbys „State of the Union“ beleuchtet humorvoll und tiefgründig die Herausforderungen einer Ehe. Das Berner Theater an der Effinger Straße zeigte sie in Kempten.
Kempten – Seitdem in der Moderne bei der Partnerwahl zunehmend romantische, sexuelle und psychologische und weniger religiöse, sozioökonomische oder moralische Kriterien eine Rolle spielen, und die Scheidung als Ausweg aus missglückten Ehen zur Normalität gehört, vernehme man bei Menschen, die nach Liebe suchen, „eine lange und laute Litanei des Jammerns und Stöhnens“, stellt die Soziologin Eva Illouz in ihrem Bestseller „Warum Liebe weh tut“ (Suhrkamp, 2011) fest.
Die schmerzlichen Erlebnisse in einer institutionalisierten Partnerschaft, deren Popularität weiterhin ungebrochen ist, bietet nicht nur ein gutes Einkommen für eine riesige Anzahl von Beratern, Therapeuten und sonstigen Experten, sondern auch reichhaltigen Stoff für Kunst und Literatur. Der Klassiker, an dem sich diese Kammerspiele auch heute noch messen lassen müssen, ist Ingmar Bergmanns „Szenen einer Ehe“ (1973), ursprünglich als eine sechsteilige Fernsehserie ausgestrahlt.
Nick Hornbys Roman „State of the Union“ (in der deutschen Ausgabe „Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst“) mit dem Untertitel „Eine Ehe in zehn Sitzungen“ wurde ebenfalls als Serie verfilmt. Im Vergleich zum schwedischen Meisterregisseur ist Hornbys Variante viel leichtfüßiger und bietet jede Menge ausgefallenen Humor. Trotzdem bekommt man in den zehn Szenen einen tiefen Einblick in die Psyche der Ehepartner. Die mit hoher Intensität dargestellten Situationen kommen allen, die je in einer Partnerschaft gelebt haben, bekannt vor.
„State of the Union“ mit dem Berner Theater an der Effinger Straße in Kempten zu sehen.
Das Theater in Kempten holte als erstes Resultat einer neuen Kooperation mit dem Berner Theater an der Effinger Straße die Schweizer Erstaufführung der Bühnenversion nach Kempten.
Das Ehepaar Louise (Gulshan Bano Shekh) und Tom (Fabian Guggisberg) hat zwei Kinder, aber der Beziehung der beiden ist irgendwie die Luft ausgegangen. Die vordergründigen Symptome kommen schnell zur Sprache: Er hat keine Lust auf Sex und sie ist fremdgegangen. Sie ist eine erfolgreiche Ärztin, er ein arbeitsloser Musikkritiker. Sie können sich weder für eine Scheidung noch für ein Weiter-so entscheiden. Da kann nur eine Paartherapeutin helfen! Vor diesen wöchentlichen Terminen treffen sie sich in einer Bar, um sich Mut anzutrinken und sich auf das Gespräch einzustellen.
Vor der Sitzung
Die Zuschauer im Theater-Oben erleben diese Sitzungen nur aus der Perspektive dieser Vortreffen: ein genialer dramaturgischer Einfall! Hier müssen sich Louise und Tom nicht verstellen. Die entspannt neutrale Kneipenatmosphäre, die Spannung vor dem Therapiegespräch sowie das voyeuristische Beobachten und scharfzüngige Kommentieren anderer Paare, die sie beim Ein- und Ausgehen in der gegenüberliegenden Beratungsstelle sehen, lösen ihre Zungen.
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Unter den Teppich gekehrte Konflikte werden auf einmal herausgekramt und ohne Umschweife ausgesprochen. „Kein Subtext mehr“, geht Tom auf Louises Wunsch ein. Sie hat feste Vorstellungen davon, wie er sich verhalten sollte und vermisst seinen „Kampfgeist“. Er fühlt sich gedemütigt und stimmt aus Widerstand heimlich für den Brexit. Sie wird von Arbeit, Kindern und seiner Mutter aufgerieben, er langweilt sich und kann mit ihren Serien, die sie zur Entspannung anschaut, nichts anfangen. Er stellt sich die Ehe als eine Art Festung vor: „Wir sind ein Paar, wir zwei gegen den Rest der Welt“; sie will mit „liebeskranken Teenagern“ à la Romeo und Julia nichts gemein haben.
Analyse im Rückblick
Früher gab es für die Partnerwahl viele Regeln und kaum Freiheiten. Aber wie funktioniert sie heute in der modernen Großstadt? Sie waren Anfang 20, erzählt er. Um besser drauf zu sein, habe er jemanden gebraucht, deshalb sei er auf eine Party gegangen. Er habe im Saal nach möglichen Partnerinnen geguckt: „Die erste, die warst du!“ Der Sex gleich im Anschluss öffnete die Türen für die weitere Entwicklung zu Ehe und Familiengründung. Was sie verbindet, darüber fangen sie erst jetzt an nachzudenken.
Tom vergleicht die Ehe mit einem Computer. „Man kann sie auseinandernehmen, um nachzuschauen, was darin steckt, aber dann hat man hinterher hunderttausend Einzelteile in der Hand.“ „Wie klingt das: Wir stecken die größeren Teile wieder rein, schmeißen die kleinen weg, schrauben die Kiste zu und machen einfach weiter?“, entgegnet Louise.
Der Schweizer Psychiater Jürg Willi beschreibt die Dynamik von Zweierbeziehungen und deren Herausforderungen
Der Schweizer Psychiater und Bestsellerautor Jürg Willi beschreibt Zweierbeziehungen als Kollusion: Die Partner finden unbewusst einen Weg, indem sie ihre Defizite gegenseitig ausgleichen, ohne diese je anzugehen. Diese wirkten sich destruktiv auf das Zusammenleben aus, was oft zur Scheidung führe. Sein Vorschlag ist: eine „Ko-Evolution“, das Finden eines ehrlichen gemeinsamen Weges. Gelingt Louise und Tom das?
Während man anfangs immer mehr Anzeichen einer Distanzierung registriert – er zieht sogar aus der gemeinsamen Wohnung aus – finden sie, aber auch die Zuschauer, immer mehr Spaß an einer neu gefundenen gemeinsamen Sprache, es gibt Anzeichen für körperliche Annäherung. Bahnt sich am Ende dieses spannenden Kammerspiels ein Happy End an? Bern und das neue Partnertheater des TIK sind immer einer Reise wert!
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