Sexstreik und Weltuntergang: Theater in Kempten plant für die Spielzeit 2024/25 sechs Eigenproduktionen
„Delphine tanzen lassen“ – Diese Zeile aus Rose Ausländers Gedicht „Nicht fertig werden“ ist das Motto der kommenden Spielzeit 2024/25 des Theater in Kempten.
Kempten – „Es ist ganz einfach so: Krieg und Kunst sind Gegensätze, so wie Krieg und Frieden Gegensätze sind. Kunst ist Frieden“, zitiert Theaterdirektorin Silvia Armbruster nach ihrem Vorwort im Theaterbuch für die Spielzeit 2024/2025 den letztjährigen Literaturnobelpreisträger Jon Fosse.
Um die Frieden stiftende Kraft des Theaters aufzuzeigen, nimmt sie die erste pazifistische Komödie, die vor 2.500 Jahren verschriftlicht wurde, Aristophanes‘ „Lysistrata“ als Eigenproduktion in den Spielplan auf. Der zweite rote Faden der Saison, die besondere gesellschaftliche Rolle von Frauen, ist in diesem Stück, das die Theaterdirektorin auch als die „erste feministische Komödie“ der Menschheit bezeichnet, genauso präsent.
Die besondere gesellschaftliche Rolle der Frauen
Frauen aus Athen und Sparta treten in Sexstreik, nehmen ihren Männern die Familie und das Geld, um sie zum Frieden zu zwingen. Tanztheater-Regisseurin Christina Comtesse (Co-Regie bei „Tanz der Wut“) plant eine freche Inszenierung, die Bezüge zur Gegenwart herstellt. Die Antike habe einen anderen Liebesbegriff gehabt, ohne christlichen oder sonstigen Moralkodex und ohne Psychoanalyse, betont Armbruster. „Sex war eine Verhandlungssache, über die man offen sprechen konnte.“ Neben vier Darstellerinnen und einem Darsteller wird ein extra dafür zu gründender „Bewegungschor“ (d. h. sie bewegen sich in Formation) auf der Bühne im Theater Oben zu sehen sein.
Der Einfluss der rigiden, durch die katholische Kirche geprägten Sexualmoral sorgt dafür, dass das Private politisch wird. „Bluthochzeit“, eine Tragödie von Federico García Lorca, stellt dar, wie Rache auf dieser Basis das menschliche Zusammenleben so durchtränkt, dass aus diesem Kreislauf kein Entrinnen möglich ist. „Wenn man über den Dialog keinen Ausweg findet, erzeugt sich wieder Krieg“, sagt Armbruster und stellt die Frage: „Wie lange kann es so weitergehen?“
Die dritte Eigenproduktion, Brechts und Weills Dreigroschenoper, sage uns, was Krieg mit Geld zu tun habe, betont Regisseurin Armbruster. Komik, Dramatik, Ironie, Musik, Songs, Kapitalismuskritik: Alle wichtigen Elemente eines Welterfolgs sind in dieser „Oper“ enthalten.
Motto der Spielzeit 2024/25 im Theater in Kempten
Die Theaterdirektorin wählte eine Zeile aus Rose Ausländers Gedicht „Nicht fertig werden“ zum Motto der Spielzeit. In einer Zeit, in der wir von Krise zur Krise gehen, könne das Gedicht einer Dichterin, die es im Leben auch nicht leicht gehabt habe, uns dazu motivieren, offen zu bleiben, mit Hingabe, Neugier und Freude das Leben anzugehen, also „Delphine tanzen lassen“, betonte sie.
Die Spielzeit wird am 3. Oktober mit dem Monolog „All das Schöne“ von Duncan Macmillan in der Theaterwerkstatt eröffnet, gespielt von Antonia Welke, Armbruster führt die Regie. Sie spricht von einem der komischsten Stücke überhaupt, das einen „irrwitzigen Witz“ habe und erinnert an Worte ihrer eigenen Tochter: „Mir schmecken auch die Tränen süß.“
Es geht um den Suizid der Mutter und darum, was dieser mit der Tochter und den Hinterbliebenen macht, wie diese den Schmerz akzeptieren, ihr Leben weiterführen, ihre Scham überwinden und Trost finden können. In einer Art Mitmachtheater lässt man auch hier die Delphine tanzen, indem man alle schönen Dinge des Lebens aufzählt, für die es sich zu leben lohnt.
„Räuberleiter“ zeigt einen Schicksalsschlag
In dem in Koproduktion mit dem Sensemble Theater in Augsburg erstellten Stück „Räuberleiter“ gibt es auch einen Schicksalsschlag, der den Weg zum künstlerischen Schaffen ebnet. Michael Schönmetzer und Rainer Hartmann erzählen die Geschichte einer Männerfreundschaft, die in der Kindheit beginnt und in der Band Rainer von Vielen eine Heimat findet. Mit eigens für diese Aufführung geschriebenen Liedern zeigen sie auf, wie sie den Dreh gefunden haben, Profimusiker zu werden. Lustige und absurde Seiten des Musikbetriebs werden genauso dargestellt wie persönliche Erfahrungen, die jedoch nie unangenehm privat werden.
Das Thema des diesjährigen Bürgertheater-Projekts ist sogar „Der Weltuntergang“, allerdings von Jura Soyfer, dem österreichischen Meister des Agitprop-Theaters auf k.u.k.-typische Weise mit viel Romantik und Sprachwitz erzählt. In einer Planetenkonferenz wird unter dem Vorsitz der Sonne beschlossen, die Ungeziefer auf der Erde, das heißt die Menschen, zu vernichten.
Der kleine Komet Konrad bekommt den Auftrag, sich auf die Erde fallen zu lassen, um den blauen Planeten zu zerstören. Die Reaktion der Menschheit auf ihr drohendes Ende beinhaltet Elemente des jüdischen Cabarets und fällt nicht unbedingt todernst aus. Das Stück wird im Künstlerhaus unter der Regie von Hans Piesbergen aufgeführt. Das „Brettl“ dort passt eher zu Soyfers Stil als die Bühne im Stadttheater, betont Armbruster.
Wiederaufnahmen
Natürlich werden auch in dieser Saison einige der bereits bekannten Stücke in den Spielplan wieder aufgenommen: „David Bowie“, „Heinrich von Kempten“, „Heimat.Mythos.Frau“, „Angst“, „Nicht Maria Stuart“, „Der Sturm“, „Simpel“, „Malala“, „Traumjobs“, „Dschihad One-Way“ und „Ewig jung“. Die kleine Schusselhexe wird erst wieder in der Saison 2025/26 gespielt. Einige der im Programmheft angekündigten Wiederaufnahmen werden jedoch aus organisatorischen und finanziellen Gründen auf die nächste Spielzeit verschoben: „No Planet B“, „Die Wanze, das Klassenzimmerstück „Chica Chica“.
Gastspiele
Unter den Gastspielen tauchen einige Namen auf, die bereits in der letzten Saison für ausverkaufte Vorstellungen sorgten: Familie Flöz und Gardi Hutter. Die Theaterdirektorin ist von dem Musiktheaterstück „Tango de amor“ – „einer verrückten Liebesgeschichte mit Annette Wunsch“ – begeistert, das auf der Grundlage einer Novelle von Esther Vilar entstanden ist. Im Anschluss bietet DJane Alice Pollak jeweils einen Milongaabend an.
Das Tanzforum München spielt im Februar das Ballett „Dracula“. Mit Nick Hornbys „Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst“ ist das Theater an der Effinger Straße in Bern im November in Kempten zu Gast. Bei dem Gastspiel „Das Rote vom Ei“ des Theaterkollektivs „dieheroldfliri.at“ geht es in satirischen Dialogen um den Schwangerschaftsabbruch. Das Weihnachts-Familientheater ist in diesem Jahr das Stück „Ox und Esel“ mit Sebastian Strehler und Christian Kaiser.
Abo-Buchungen sind ab sofort möglich, auch der Vorverkauf für die Aufführungen und Konzerte, die nicht in den Abos enthalten sind, läuft. Genauere Informationen auf www.theaterinkempten.de .
Zahlen
Das Theater in Kempten hatte in der Spielzeit 2023/24 eine Auslastung von 93,4 Prozent. Die Gesamtbesucherzahl betrug 46.614, rund 30.000 in den regulären Vorstellungen, 5.000 in den Gastspielen, 11.500 beim Märchensommer und 3.200 beim „Fantastik“. Die Gesamteinnahmen aus dem Ticketverkauf betrugen 716.000 Euro.
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