„Nicht als Jurist identifiziert“: Anwalt macht Zimmerer-Lehre mit 45

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Schlüpfte aus dem Anwaltsgewand in die Zimmererkluft: Christian Spielbauer arbeitet nun auf Baustellen, nicht mehr im Büro. Dort stört ihn eigentlich nur, dass die Kollegen gerne Schlager hören. © Andrea Jaksch

Erst verteidigte er Straftäter, dann prüfte er Immobilien-Verträge. „Ich habe mich nicht wirklich als Jurist identifiziert“, sagt Christian Spielbauer. Deshalb baut er nun Dachstühle und Gartenhäuschen. Im September beginnt der Gilchinger eine Zimmerer-Lehre – mit 45 Jahren.

Der Lehrling und sein Meister sitzen an einer überdachten Holztischgarnitur im Garten von Leopold Göring. „Sowas bauen wir an einem Tag auf“, sagt der Obermeister der Zimmerer- und Holzbau-Innung Starnberg. „Wir schaffen Sachen mit den Händen.“ Mit „wir“ meint er auch Christian Spielbauer. Seinen neuen Azubi ab September, den er und sein Team schon seit Juli einarbeiten. Spielbauer ist 45 Jahre alt. Deshalb muss Göring beim Satz „Wir brauchen immer Nachwuchs“ auch kurz schmunzeln. Aber das fortgeschrittene Alter ist nicht die einzige Besonderheit, die der Gilchinger Spielbauer mitbringt. Er ist studierter Jurist, ehemaliger Strafverteidiger und Syndikusanwalt. Mit den Händen schaffte er in den vergangenen 14 Jahren eher wenig Neues, er wühlte sich mehr durch sehr viel Papier, durch Gerichtsakten und Kaufverträge im Bereich Mietrecht und Immobilien. „Ich hatte die Nase gestrichen voll, ich wollte nicht mehr den ganzen Tag im Büro sitzen“, sagt er. „Ich habe mich nicht wirklich als Jurist identifiziert. So wollte ich nicht alt werden.“

Ins Schreibtischtäter-Klischee passt der kräftig gebaute Spielbauer rein äußerlich nicht. Noch dazu in der Zunftkleidung aus schwarzem Cord. Auf die Fragen danach, wie der berufliche 180-Grad-Wandel kam, überlegt er meist etwas länger, um dann recht kurz zu antworten. Dafür bringt er manchmal Anekdoten und Witzeleien wie aus dem Nichts. Einmal sei er mit einer Kollegin essen gegangen, er habe Pizza bestellt, sie ein Carpaccio mit Trüffel und Wachteleiern. Im Menü zwei sieht Spielbauer eine Metapher für eine Welt, „in der ich nie wirklich heimisch geworden bin“. Sein Vater schon. Er sei Richter und begeistert gewesen, als sein Sohn damals mit dem Jura-Studium begonnen hatte. „Weil ich nicht wusste, was ich machen soll.“ Heute scherze sein Vater, er müsse jetzt einen Vaterschaftstest machen. Denn von ihm habe der Junge das handwerkliche Geschick sicher nicht.

Handwerkliches Talent beim Haus-Umbau erkannt

Sein Talent erkannte Spielbauer beim Umbau des eigenen Hauses in Gilching, wo er seit zehn Jahren wohnt. Die Zwillinge, mittlerweile neun Jahre alt, brauchten mehr Platz – zumal er mit seiner Frau auch noch einen zwölfjährigen Sohn hat. Und zwei Autos wegen der Kinder, wie Spielbauer sagt. Haut das finanziell hin? „Vor fünf Jahren wäre das noch nicht gegangen“, sagt der 45-Jährige. In den nächsten beiden Jahren – so lange dauert Spielbauers verkürzte Ausbildung – habe die Familie keine größeren Posten. Und seine Frau verdiene ganz gut bei der Stadt Starnberg. „Wir haben das durchgerechnet.“

Seinen Zimmerer-Meister lernte er im Herbst 2023 auf der Jobmesse in Starnberg kennen. Göring erinnert sich: „Er stand da ganz scheu rum. Ich dachte, das ist ein Lehrer.“ Die beiden kamen dann doch ins Gespräch und einigten sich auf ein Praktikum. „Das musste geheim bleiben, weil er ja noch angestellt war“, so Göring. Als Spielbauer schließlich kündigte und den alten Kollegen von seinen neuen Plänen erzählte, sei die Resonanz durchaus positiv gewesen. „Die meisten fanden es cool, manche waren fast neidisch.“

Zu seiner Arbeit als Anwalt im Bereich Miet- und Immobilienrecht sagt Spielbauer im Rückblick: „Es war halt ein Job.“ Aber auch: „Ich war oft am Freitagabend schon traurig, dass ich am Montag wieder ins Büro muss.“ Und davor, als Verteidiger von organisierten Banden oder Drogendealern, sei es oft nur um die Höhe der Strafe gegangen. „Ich hatte keinen Bock mehr, auf der falschen Seite zu stehen.“

Spielbauer war Strafverteidiger: „Keinen Bock mehr, auf der falschen Seite zu stehen“

Zurzeit steht Spielbauer täglich in einem Starnberger Privatgrundstück und baut mit einem Kollegen ein Gartenhaus. Und eine recht anstrengende Woche in Dießen hat er schon hinter sich. „Es ist toll zu sehen, wie schnell es vorangeht“, sagt der Berufsneuling. Am Montag hätten sie den alten Dachstuhl entfernt, am Freitag sei schon der neue drauf gewesen.

Den Zimmerer-Alltag kennt Spielbauer jetzt schon ganz gut. Aber die Theorie, die Fachbegriffe, die auch zum Handwerk gehören, stehen ihm noch bevor. Göring weist darauf hin, es klingt ein bisschen warnend. Allerdings traut der Meister seinem Schützling auch die Klassensprecherrolle in der Berufsschule zu, in der die meisten 30 Jahre jünger sein dürften.

Christian Spielbauer sagt über die Juristerei: „Ich kann nichts anderes.“ Trotzdem wirft er jetzt alles über den Haufen. Hatte er jemals Angst oder Momente des Zweifels? Kurz und klar: „Nein.“ Und gibt es etwas, was ihn am neuen Arbeitsklima stört? „Wenn die Kollegen auf der Baustelle das Schlagerradio anmachen“, sagt Spielbauer und schüttelt den Kopf. Hardrock, Punk, Metal – das ist sein Ding.

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