Hochwasserschutz Kempten: Starke Emotionen und konkrete Handlungsvorschläge

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Großes Interesse gab es am Thema Hochwasserschutz bei der Ortsteilversammlung in Hinterbach. © Lajos Fischer

Die Stadt Kempten hat die Einwohner der Stadtteile Hinterbach und Hirschdorf zu einer Ortsteilversammlung geladen, um gemeinsam über die Folgen des Hochwassers zu sprechen. Die Plätze im Feuerwehrhaus waren vollständig besetzt. Trotz hoher Temperaturen im Raum gestaltete sich die Diskussion nur stellenweise hitzig.

Kempten – „Die Stadt hat gehofft, beim Hochwasser noch einmal ‚mit einem blauen Auge‘ davonzukommen“, sagte Oberbürgermeister Thomas Kiechle in seiner Einführung, „aber am Schluss wurde sie massiv getroffen.“ Man habe es nicht mehr mit dem früheren klassischen Landregen zu tun. Den Wassermassen, die das Stadtgebiet in kurzer Zeit unterschiedlich und heftig treffen, sei man nicht gewachsen. „Da solche Ereignisse nicht singulär bleiben, müssen wir uns dem Thema neu widmen.

Kiechle formulierte das Ziel der Veranstaltung: Er, seine Verwaltung und die Stadträte möchten hören, wo aus der Sicht der Betroffenen Bedarfe, Eingriffsmöglichkeiten und Sofortmaßnahmen erforderlich sind. Als Einführung zeigte Tiefbauamtsleiter Markus Wiedemann eine Präsentation mit den wichtigsten Fakten, mit für manche schwer ertragbaren Fotos und den wichtigsten Lösungsansätzen. (s. Kreisbote 25/2024).

Hochwasserschutz Kollerbach: Komplexe Strategie erforderlich

Er schilderte die drei Phasen des Hochwasserereignisses und stellte fest, dass langfristig nur eine komplexe, auf die ganze Länge des Kollerbaches bezogene Strategie helfen könne. In der ersten Phase müsse man Abflussberechnungen erstellen, dann ein integratives Hochwasserschutz- und Rückhaltekonzept erstellen, anschließend könne man mit der Projektplanung beginnen. Die notwendigen Flächen seien in privater Hand, deswegen brauche man die Kooperationsbereitschaft der Eigentümer, um nach wasser- und naturschutzrechtlichen Klärungen mit der baulichen Umsetzung beginnen zu können. Einen Zeithorizont könne er jetzt noch nicht nennen. Die Stadt habe zwischen dem Tobel und dem Ortseingang erste Maßnahmen durchgeführt, berichtete Wiedemann. Er war sowohl beim Hochwasser Anfang Juni als auch am letzten Freitag, als die beiden Ortsteile wieder mit den Wassermassen zu kämpfen hatten, vor Ort.

An der Stelle, wo die Bachwand durchbrochen wurde, gab es nur eine provisorisch errichtete Schutzwand, berichtete der Tiefbauamtsleiter. Der Eigentümer des dortigen Hauses meldete sich zu Wort: Die Stelle sei auf der Jahrhunderthochwasserkarte als Gefahrenstelle eingezeichnet, deswegen finde er das „Eintreffen der Katastrophenerwartung“ nicht überraschend, eher deprimierend. Der Voreigentümer des Grundstückes habe an der Stelle eine Betonmauer errichten wollen, die jedoch wegen eines Biotops abgelehnt worden sei. Schließlich hätte die Betonmauer aber auch nicht geholfen, weil das Wasser unter der Brücke nicht mehr durchgepasst hätte. „Eine gute Verbauung vor den Brücken wäre zielführend“, fügte er hinzu.

Bürgerstimmen zum Hochwasserereignis: Selbsthilfe und Notruf

Einer der Anwesenden schlug vor, Sandsäcke und geeigneten Sand vor Ort zu lagern, damit die Anwohner schnell Selbsthilfe leisten können. Wiedemann versprach, in Abstimmung mit der Feuerwehr dafür zu sorgen. Eine Anwohnerin berichtete, dass sie beim Notruf 112 stundenlang nicht durchgekommen seien. Dann haben sie mithilfe der Freiwilligen Feuerwehr intern Hilfe angefordert. Hier funktionierten die alten, analogen Pieper, aber die neuen, digitalen nicht. Erst am Abend um halb zehn trafen die ersten Sandsäcke ein. Kiechle erklärte, dass die Überforderung der Integrierten Leitstelle ein bayernweites Problem sei. Mit dem vorhandenen Personal könne man in solchen Situationen die vielen Notrufe nicht bewältigen.

Hinterbach: Zweite Zufahrtsstraße erforderlich

Ein Anwohner sagte, dass er davon schockiert sei, dass es für den Ort keinen zweiten Zugang gebe. „Was passiert bei einem medizinischen Notfall?“, fragte er. Die Zufahrtsstraße war lange gesperrt. Vor fünf Jahren habe man dafür sogar eine Petition im Landtag eingereicht, erzählte eine Anwohnerin. „Alles wurde abgeschmettert.“ Nach der jetzigen Katastrophe bekomme diese Frage eine andere Wertigkeit und er sehe Handlungsbedarf, erwiderte der Oberbürgermeister.

Zusammenarbeit der Bürger und der betroffenen Gemenden

Nur viereinhalb Kilometer des Baches befänden sich in Kempten, der Rest im Oberallgäu, stellte ein Mitdiskutant fest. An der Stelle, wo sich der Kollerbach teilt, habe Ermengerst eine Schleuse geschlossen, um sich zu schützen, erzählte eine Frau. Der Bürgermeister in Wiggensbach habe nach dem Hochwasser sofort reagiert, beim Starkregen sei es deswegen dort zu keinen Problemen gekommen, meinte eine Teilnehmerin. Kempten als zweitgrößte Stadt Schwabens habe ganz andere Dimensionen, antwortete der OB, trotzdem müsse man schnell handeln. Baureferent Tim Koemstedt berichtete über bereits geführte Gespräche mit Wiggensbach und Buchenberg. Von den Teilnehmern der Diskussion kamen einige Vorschläge, wo Rückhalteflächen entstehen könnten, zum Beispiel an dem zurzeit leeren „Silbersee“ oder im Tobel. „Was können wir tun, wenn wir zusammenhalten?“, fragte ein Hausbesitzer und erinnerte daran, dass die Eigentümer auch eine bestimmte Mitverantwortung tragen.

Hochwasserschutz: Selbst anpacken?

Einige der Anwesenden würden gerne dringend notwendige Reparaturen und Schutzmaßnahmen in Eigenregie durchführen. Sie berichteten von freiliegenden Leitungen des AÜW und des Wasserverbandes. Viele beklagten sich wegen der Schwierigkeiten bei Genehmigungsverfahren. Für Privatinitiativen gebe es keine Fördermöglichkeiten, klärte Franz Schöllhorn vom Wasserwirtschaftsamt auf. Eine private Maßnahme könnte an anderer Stelle zu Problemen führen. Die Diskussionsteilnehmer forderten immer vehementer eine Ansprechperson ein, die ihnen zuhört und unbürokratisch hilft. Wer konkrete Bedarfe und Vorschläge habe, soll eine E-Mail an tiefbauamt@kempten.de schreiben, bot Wiedemann an. Er werde Personal dafür abstellen, mit diesen Personen in den kommenden Tagen Kontakt aufzunehmen und wo es möglich sei, unkonventionell zu helfen, versprach der OB.

Zuständigkeiten in Stadt und Freistaat

Damit das Vorhaben gelingt, brauche man jemanden, der den Hut aufhabe und die Verantwortung trage, meinte ein Diskutant. Für Gewässer dritten Grades ist die Stadt verantwortlich, stellte Koemstedt fest. Die Anwesenden Landtagsabgeordneten Joachim Konrad und Alexander Hold versprachen unbürokratische Unterstützung vom Landtag. „Das Bewusstsein für das Problem im Freistaat ist da“, sagte Konrad.

kb

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