Das „Landhaus“ in Kempten als Ort der Demokratie

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Moderne Tanzkunst in historischem Raum: Wo heute die J&J-Tanzschule beheimatet ist (hier während der Kunstnacht), tagte früher die Untertanenvertretung des Fürststifts Kempten. © Fischer

Im Memminger Vertrag erkennt der Fürstabt die sogenannte stiftkemptische „Landschaft“ als Vertretung der Bauern an. Sie tagte später im Landhaus am Hildegardplatz. Daran sollte man sich erinnern, findet Markus Naumann.

Ein Gastbeitrag von Markus Naumann

Kempten – Gegen Ende der laufenden Bayernausstellung „Projekt Freiheit – Memmingen 1525“ wird der sogenannte Memminger Vertrag als Faksimile-Exponat gezeigt. Dieser Vertrag zwischen dem Fürstabt von Kempten und seinen bäuerlichen Untertanen wies ein halbes Jahr nach den Verheerungen des Bauernkriegs in die Zukunft. Daran könnte und sollte man sich in Kempten erinnern.

Nicht nur an die Versammlung der Bauern in Leubas Ende Januar 1525, die am Beginn des Oberschwäbischen Bauernkriegs stand, und wo sich die aus freieren Rechtsverhältnissen in die Leibeigenschaft gedrückten Bauern zusammenschlossen; nicht nur an den „Großen Kauf“ vom 6. Mai 1525, mit dem sich die Reichsstadt Kempten die Unabhängigkeit vom Fürststift erkaufte, das in diesem Frühjahr vor 500 Jahren von seinen rebellierenden Untertanen bedrängt wurde; und nicht nur an die „Schlacht“ bei Leubas Mitte Juli 1525, in deren Gefolge Truchsess Georg von Waldburg, der „Bauernjörg“, mit seinem Landsknechtsheer des Schwäbischen Bundes eine Spur der Verwüstung unter anderem zwischen Leubas und Sulzberg zog mit zahllosen geplünderten und niedergebrannten Dörfern und Höfen, niedergemetzelten Bewohnern und exekutierten Bauernführern.

Mit der Niederlage der Allgäuer Bauern waren die der heißen Phase des Aufstands vorangegangenen Bemühungen des Schwäbischen Bundes, des Zusammenschlusses von adeligen Landesherrn, Klöstern und Reichsstädten, um einen Ausgleich zwischen dem Fürststift Kempten und seinen Untertanen keineswegs zu Ende. Dem Bund war vielmehr daran gelegen, durch die Beseitigung wenigstens einer übermäßigen oder gar willkürlichen Ausbeutung der Untertanen und eine Fixierung der Lasten weiteren Aufständen in der Zukunft vorzubeugen.

Ein Erfolg des Bauernkrieges

So vermittelten Räte des Schwäbischen Bundes den nach seinem Unterzeichnungsort so genannten Memminger Vertrag vom 19. Januar 1526. Der führende Bauernkriegsforscher der letzten Jahrzehnte Peter ­Blickle hat ihn als „Verfassung“ des Fürststifts Kempten bis zu dessen Untergang 1802/03 bezeichnet.

In dem Vertrag erkennt der Fürstabt die stiftkemptische „Landschaft“ als Vertretung der Bauern an. Freilich waren zentrale Forderungen der Bauern im Bauernkrieg wie das Recht auf reformatorische Predigt bzw. freie Wahl der Pfarrer kein Thema, ebenso wenig wurde im Memminger Vertrag die Leibeigenschaft aufgehoben. Aber die mit ihr verbundenen Verpflichtungen wurden bereits deutlich erleichtert. Und so hat der Vertrag immerhin für die nächsten 140 Jahre den Frieden zwischen dem Stift und seinen Untertanen garantiert. Dabei geriet der Vertrag selbst aus dem Blick und auch die Landschaft als Einrichtung war offenbar zunächst einmal nicht aktiv.

In der Wirtschaftskrise nach dem Dreißigjährigen Krieg wird die „Landschaft“ wiederbelebt

Dies änderte sich erst nach dem Dreißigjährigen Krieg. In der durch die Wiederaufbaumaßnahmen – insbesondere durch den Neubau des Klosters – hervorgerufenen Wirtschaftskrise und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen um die Besteuerung entsannen sich die Bauern 1666 des Memminger Vertrags. Erstmals erscheinen sie auch wieder als Landschaft in der Überlieferung. Den Vertrag hatten sie im Übrigen gut gesichert in der Reichsstadt Kempten deponiert, damit er vor dem Zugriff des Fürstabts geschützt war.

Gegen die Übernahme eines Teils der Schuldenlast des Stifts wurde die Landschaft fortan zu einem Pfeiler des fürststiftischen Staates. Ab 1732 stand das Steuerwesen unter der Kontrolle gewählter Bauernvertreter. Es gab einen permanenten Landschaftsausschuss mit eigener Landschaftskasse samt einem vom Stift besoldeten Kassenverwalter. Im Zusammenwirken mit der stiftkemptischen Landschaft wurde ein für die damalige Zeit durchaus modernes Steuersystem etabliert. Dieses ersetzte quasi die Leibeigenschaft, an der sich der Bauernkrieg hierzulande entzündet hatte. Gerhard Immler zufolge, einem der besten Kenner der Geschichte des Fürststifts Kempten, zeigt dies, „welchen Erfolg die kemptischen Bauern trotz ihrer Niederlage im Bauernkrieg mit dem Memminger Vertrag langfristig erzielt hatten“.

Ort der bäuerlichen Vertretung

In dem Kemptener Klosterstaat, immerhin dem zweitgrößten Territorium im heutigen Bayerisch-Schwaben nach dem Fürststift Augsburg, wurden mit dem Memminger Vertrag Grundlagen gelegt, die im 18. Jahrhundert zu einer Institutionalisierung der bäuerlichen Vertretung führten. Damit besaß das Fürststift bereits zu dieser Zeit „eine Einrichtung, die auf ein parlamentarisches System vorauswies“, wie der Kemptener Historiker Wolfgang Petz auf der Schlusstafel seiner aktuellen Ausstellung zum Bauernkrieg im Kempten-Museum im Zumsteinhaus schreibt. Eine besondere Erinnerung ist in Kempten mit dem Memminger Vertrag gleichwohl nicht verbunden.

Als die „Hochfürstliche Landschaft“ 1732 zum festen Bestandteil im Staatssystem des Fürststifts Kempten wurde, erbaute man im selben Jahr für sie das Landhaus am Hildegardplatz/Residenzplatz. Im ersten Stock ist ein Versammlungssaal eingerichtet, der als Tagungsort der Untertanenvertretung des Fürststifts Kempten diente. Dieser „Landhaussaal“ existiert heute noch. Eine Tanzschule bietet dort unter feinem barockem Stuck der Erbauungszeit ihre Kurse an. Die Stuckierung wird dem gleichzeitig in der Residenz tätigen Abraham Baader zugeschrieben. An der Stirnseite des Saals befindet sich ein Stuckmarmorkamin mit Spiegelaufbau, in den die Wappen des Stifts und des Reichs eingelassen sind. Die Fassade war ursprünglich mit Architekturmalereien von Hofmaler Franz Georg Hermann geschmückt.

Die Geschichte des Lanhaussaals in Kempten

Für Tanzveranstaltungen und Feste wurde der Saal im Übrigen schon seit der Säkularisation von der im Haus bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts untergebrachten Gaststätte genutzt. Ab 1870 war der Saal an die neugebildete Altkatholische Gemeinde vermietet. Ein Nebenraum im Landhaus diente der jüdischen Gemeinde in Kempten seit 1875 als Betsaal.

Leider wird am Gebäude nirgends auf seine Geschichte hingewiesen. Dabei handelt es sich – wenn wir seine ursprüngliche Nutzung betrachten – ähnlich wie beim Kramerzunfthaus in Memmingen, wo 1525 von gewählten Bauernvertretern die berühmten „Zwölf Artikel“ beraten wurden und wo deswegen seit einiger Zeit ein einschlägiges Denkmal darauf hinweist, um einen „Ort der Demokratie“. Hier brachen sich auch im absolutistisch regierten Fürststift Kempten parlamentarische Ansätze Bahn.

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