„Meine Lebensader, die man mir rausziehen will“: Stückl will auch 2030 Spielleiter der Passion sein
Ist der Ehrenbürger unbequem? Versucht der Oberammergauer Gemeinderat deshalb gerade alles, um Christian Stückl ein fünftes Passionsspiel zu verleiden? So zumindest empfindet es der 62-Jährige. Er will das Gelübdespiel 2030 noch einmal inszenieren.
Oberammergau – Viermal hat er das Passionsspiel schon inszeniert. Und das überaus erfolgreich – aus künstlerischer, aber auch aus finanzieller Sicht. Allein vom Gelübdespiel 2022, das 70 Millionen Euro Umsatz gemacht hat, sind für die Gemeinde stolze 48 Millionen Euro geblieben. Christian Stückl hat die Passion zudem in die Moderne geführt. Maßgeblich dazu beigetragen, dass endlich verheiratete Frauen auf der Bühne stehen dürfen. Dass der zweite Teil am Abend stattfindet – wertvoll für die Dramaturgie, genau wie für die Darsteller, die so Arbeit und Spiel viel besser unter einen Hut bringen können. Außerdem hat er das Ganze geöffnet. Dank ihm findet der überfällige Dialog mit den Juden auf Augenhöhe statt und der Antisemitismus ist aus Text sowie Bühnenbild verschwunden. Und nicht nur Angehörige der katholischen und evangelischen Kirche dürfen mitwirken, sondern alle Interessenten aus dem Dorf. Seine Verdienste sind herausragend. Das ist unbestritten. Allein dafür hat Oberammergau ihm die Ehrenbürgerwürde verliehen.
Gemeinderat sucht Bewerber für Passions-Spielleitung: Auch Stückls Ziehsohn interessiert
Im Gemeinderat scheint Stückl allerdings nicht mehr gut gelitten. Nur so lässt sich der jüngste Beschluss erklären, Bewerber für die Spielleitung zu suchen. „In den Vordergrund wird gestellt, dass man Nachwuchs suchen muss“, sagt Stückl, der Intendant am Münchner Volkstheater ist. „Diese Arbeit mache ich seit ewigen Zeiten. Beim letzten Passionsspiel hatte ich die jüngste Mannschaft überhaupt.“ Einen davon, Abdullah Karaca, hat er mitgebracht – als seine rechte Hand und Nikodemus-Darsteller. Der 62-Jährige hätte sich vorstellen können, diesen auch künftig mitzunehmen. Einzuarbeiten in die Rolle als Spielleiter der Zukunft, schließlich ist Karaca ebenfalls vom Fach. Offenbar will sein künstlerischer Ziehsohn aber gleich das Ruder übernehmen. Er und ein anderer junger Mann saßen im Sitzungssaal, als es im Gemeinderat um das Vorgehen in Sachen Spielleiter ging. Dem Vernehmen nach gab es im Vorfeld schon Gespräche mit ihm, bei denen ihm dieser Posten angedient wurde. „Mich hat geschockt, dass er mit mir nicht darüber geredet hat“, betont Stückl. Weiter will er sich gar nicht über Karaca äußern.
Klar ist, dass Stückl auch nach vier erfolgreichen Inszenierungen noch für die Passion brennt. „Für mich ist das eine Herzensangelegenheit, meine Lebensader, die man mir rausziehen will“, sagt er. „Von daher nervt mich der Vorgang schon ein bisschen.“ Zumal hier auch Altersgründe vorgeschoben werden, was er nicht nachvollziehen kann: „Ich fühle mich fit.“
Spielleitung: Stückl will sich nicht extra bewerben - „Habe klar gesagt, dass ich‘s machen möchte“
Dass er für 2030 zur Verfügung steht, will er noch einmal kundtun. Obwohl das „vor einem Jahr in nicht-öffentlicher Sitzung schon passiert ist“, erinnert er sich. Deshalb wird er sich auch nicht bewerben und kein Konzept einreichen. „Ich habe mich beworben. Ich habe dem Gemeinderat ganz klar gesagt, dass ich’s machen möchte.“ Das wisse jeder im Gemeinderat. „Damals hat einer gesagt: Du wirst’s aber nicht mehr.“ Der einzige Grund, den er sich dafür vorstellen kann, ist der fehlende Rückhalt – in seinen Augen rein aus persönlichen Gründen. Stückls Sturheit ist bekannt. Genau die braucht’s seiner Meinung nach aber manchmal, um beispielsweise die Dinge durchzusetzen, die das Gelübdespiel seit 1990 auf Erfolgskurs gebracht und vor allem modernisiert haben.
Klar ist ihm bei dieser ganzen Debatte auch, dass die Kommunalpolitiker insbesondere mehr Mitspracherecht wollen. „Aber nicht der Gemeinderat kann bestimmen, wer welche Hauptrolle spielt“, sagt Stückl. „Ich lauf’ das ganze Jahr mit Castingblick durchs Dorf.“ Auch die Überlegungen, das Budget schon jetzt festzulegen und auf eine Neuinszenierung zu verzichten, bucht er unter der Rubrik „das soll’s mir verleiden“ ab.
Stückl zu Mitspracherecht der Gemeinde: „Ich will die gleichen Bedingungen wie die Male vorher“
„Ich will die gleichen Bedingungen wie die Male vorher“, betont er. Von den 70 Millionen Euro dienten nur zehn Prozent der Inszenierung, 21 Millionen Euro wurden für Gagen ausgegeben, der Rest landete in der Gemeindekasse. „Ich weiß nicht, was damit passiert.“ Das Passionsspiel sei aber keine Geldmaschine, da gehöre viel Herzblut dazu. Der Einsatz von besagten zehn Prozent „ist unbedingt notwendig“, findet Stückl. „Investiert man nichts hinein, kann man auch nichts rausholen.“ Für ihn war stets wichtig, die Geschichte vom Leiden Jesu immer wieder neu zu sehen, das aktuelle Geschehen einfließen zu lassen. „Trotzdem kann auch einiges beibehalten werden“, sagt er. „Die Idee mit dem Chor etwa, aus der Bevölkerung heraus. Trotzdem braucht’s für jeden neue G’wander, die sind nach 100-mal verschlissen.“
Meine news
Für den Theater-Fachmann steht fest, dass es der Mehrheit im Gemeinderat eigentlich „um ganz andere Dinge, als um die Zukunft des Passionsspiels geht. Da geht’s um Persönliches, und das ist schade“. Es ist eine ungute Entwicklung, auf die Oberammergau knapp sechs Jahre vor dem nächsten Gelübdespiel hinsteuert. „Ich weiß nicht, was dabei rauskommen soll“, bedauert Stückl. „Passions-Spielleiter wachsen halt nicht auf den Bäumen.“