Continental-Werk wird "ausgelöscht": 185 Arbeiter verlieren ihre Jobs

Noch ist der Tod nicht eingetreten, doch Hoffnung gibt es keine mehr. 

An der Zufahrtsstraße zum Werksgelände haben sie schon ein hölzernes Kreuz eingepflockt: „1870 – 2025“. Direkt dahinter ein großes Banner, schwarze Schrift auf weißem Grund: „155 Jahre Stadtgeschichte und mit ihr die Zukunft von 185 Familien löscht Continental einfach so aus!“ 

Der improvisierte Friedhof wurde vor einiger Zeit im ostthüringischen Bad Blankenburg angelegt, direkt an der Bundesstraße 88. Zehntausende Menschen haben ihn seither im Vorbeifahren gesehen. Viele mögen sich gedacht haben: Schon wieder eine Firma in unserer Region weg! Schon wieder zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet!

Groß war der Schock in der 6000-Einwohner-Stadt, als Anfang des Jahres eine Mitteilung des Autozulieferers Continental die Runde machte. Der Konzern verkündete „schmerzhafte Schritte“, mit denen man „auf eine veränderte Marktsituation“ reagiere. Konkret wolle man deutschlandweit fünf Standorte dichtmachen. Insgesamt würden 580 Jobs wegfallen, hieß es.

Autozulieferer Continental schließt mehrere Werke

Ganz oben auf der Abschussliste: Bad Blankenburg. Zum Jahresende soll „die Produktion eingestellt und das Werk geschlossen werden“, hieß es.

Auch wenn es hart klingt: In einem weltweit tätigen, börsennotierten Konzern wie Continental (rund 190.000 Mitarbeiter, knapp 40 Milliarden Euro Jahresumsatz) spielt ein kleines Werk am Nordrand des Thüringer Waldes vermutlich kaum eine Rolle. Ob es existiert oder nicht – für die Geschäftsbilanz eher unerheblich.

Für die Stadt, die Region, die Arbeiter und deren Familien bedeutet die Schließung hingegen ein Drama. Man merkt, dass vielen die Worte fehlen für das, was sie gerade durchmachen. 

Sie haben zum Teil jahrzehntelang fleißig und hart gearbeitet, haben gute Produkte gebaut, haben sich mit ihrem Arbeitgeber identifiziert, haben vom Lohn ihre Familien ernährt und in der Stadt eingekauft – und nun werden sie eiskalt „entsorgt“, wie es auf einem anderen Protestbanner nahe der Firma heißt.

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Fast alle Räder stehen still: Continental-Werk in Bad Blankenburg (Thüringen) Göran Schattauer

Als der FOCUS-online-Reporter das Werk besuchen will, trifft er auf Stillstand und frostige Stimmung. Geisteratmosphäre. Die Produktion liegt schon jetzt, sieben Monate vor der angekündigten Schließung, fast komplett brach. Bis auf einen Gabelstapler keine Bewegung auf dem Gelände. Vereinzelt laufen Mitarbeiter herum, die nichts sagen wollen oder dürfen. Sie sind verunsichert. 

185 Jobs fallen in Bad Blankenburg (Thüringen) weg

Über den Zaun kommt doch noch eine Art von Gespräch zustande. Drei Männer haben sich am Verwaltungsgebäude getroffen, in der Raucherecke. Sie gehören zu den wenigen Continental-Mitarbeitern, die überhaupt noch vor Ort sind. Die allermeisten der 185 Beschäftigten wurden freigestellt und müssen zu Hause bleiben. Immerhin werden sie weiterbezahlt.

Haben Sie Hoffnung, dass es doch noch weitergeht? „Nö.“

Wie lange arbeiten Sie schon hier? „25 Jahre“, sagt ein Vorarbeiter, dunkler Bart, Hoodie, kurze Hose.

Wären Sie bereit, woanders hinzugehen? „Ja.“

Haben Sie schon was in Aussicht? „Nö. Wir lassen das auf uns zukommen.“

Ein Kollege, der sich gerade eine Pall Mall aus der Schachtel geklopft hat, schaltet sich ein: 

„Aber ich hab‘ schon was in Aussicht. Die Rente!“ 

Allgemeines Kichern. Galgenhumor. Der Anlagenfahrer arbeitet seit 42 Jahren im Betrieb. Er hat alle Höhen und Tiefen mitgemacht, die sozialistische Planwirtschaft und die kapitalistische Marktwirtschaft. Bald gehen hier die Lichter aus. 

Was sagen die Familien, die Kinder? „Alle geschockt.“

Wer hat Schuld? „Die Conti-Chefs. Die Großen. Die, die das viele Geld haben.“ 

Die Zukunft? „Was aus uns wird, weiß keiner. Das wird alles verhandelt gerade.“ 

Etwa zur selben Zeit, in der die Continental-Leute blaugraue Rauchkringel in die Luft blasen, wird rund anderthalb Kilometer entfernt über das weitere Schicksal der Belegschaft entschieden. 

In der Landessportschule Bad Blankenburg, gelegen im wildromantischen Schwarzatal, finden Gespräche zu Details der Conti-Abwicklung statt. In dem Komplex waren schon Fußball-Ikonen wie Manuel Neuer, Jerome Boateng, Toni Kroos, Lukas Podolski oder Mats Hummels zu Gast. 

Geheime Verhandlungen: Lachs- und Käsesemmeln

Die Verhandler, darunter Führungskräfte, Anwälte, Gewerkschaftsleute und Betriebsräte, haben sich in den dritten Stock zurückgezogen, in die Tagungsräume „Schwarzatal 1 und 2“. Die Jalousien sind zu zwei Dritteln geschlossen. Eigentlich gilt der Termin als geheim. FOCUS online ist dennoch vor Ort und kann sich ein Bild von der angespannten Atmosphäre machen.

Mit ernsten Gesichtern sitzen die Teilnehmer vor ihren aufgeschlagenen Laptops und Wasserflaschen. Auf einem großen Bildschirm an der Stirnseite der Tischreihe ist ein Verantwortlicher von Continental zugeschaltet. In den Pausen stärken sich die Beteiligten mit Lachs-, Schinken- und Käsesemmeln.

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Geheimgespräche zur Zukunft der Continental-Mitarbeiter in der Landessportschule Bad Blankenburg Göran Schattauer

Was genau die hochkarätige Runde bespricht und entscheidet, dringt nicht nach außen. Vermutlich geht es um Details der Abwicklung. Philip Nelles, Mitglied des Continental-Vorstands, hatte Anfang des Jahres vollmundig erklärt, man wolle die Werksschließung „so sozialverantwortlich wie möglich gestalten“. Wie das am Ende genau aussieht, wird sich zeigen.

Einige Beschäftigte aus Bad Blankenburg, die jung genug und mobil sind, kommen möglicherweise nahtlos bei anderen Firmen unter. Andere werden sich mit Schulungen, Seminaren und Trainings weiterqualifizieren müssen. Für viele dürfte das Arbeitsleben jedoch abrupt enden. 

Bürgermeister Schubert (CDU): "Da hängt viel mehr dran"

Seine Stadt werde das Continental-Aus wirtschaftlich zu spüren bekommen, sagt Bürgermeister Thomas Schubert (CDU). „Mit dem Wegfall der Jobs sinkt automatisch die Kaufkraft“, erklärt der zwei Meter große Mann mit dem hellblauen Hemd und der leichten Metallbrille. 

Er rede hier nicht über geringfügig Beschäftigte, stellt Schubert klar. „Das sind hochbezahlte Jobs. Sowohl im Management als auch in der Produktion. Die haben im Schichtbetrieb gearbeitet. Die haben gutes Geld verdient.“ Wie tief die Traditionsfirma in dem thüringischen Ort verwurzelt ist, zeigt sich im Vorzimmer des Bürgermeisters. Der Kalender an der Wand ist von Continental.

Aktuell weist die Statistik für Bad Blankenburg 270 Arbeitslose aus. Nach der endgültigen Schließung des Conti-Werks dürfte die Zahl sprunghaft steigen. Doch das sei nicht das einzige Problem, erklärt der 59-jährige Schubert, der seit Juni 2024 im Amt ist: 

„Es geht ja nicht nur der Betrieb kaputt. Da hängt noch viel mehr dran, zum Beispiel die ganzen Zulieferer. Ob das der Fleischer ist, der Essen bringt. Der Schmied, der Stahlprodukte für Conti herstellt. Oder der Zimmerer, der Holzgestelle baut. Die verlieren jetzt alle ihre Aufträge.“

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"Das tut weh": Bad Blankenburgs Bürgermeister Thomas Schubert (CDU) Göran Schattauer

Seit der Hiobsbotschaft aus der Conti-Zentrale in Hannover sei die Stimmung im Ort gedrückt. „Wir sind alle traurig. Es bricht was weg. Und das tut weh“, sagt Schubert. „Wenn in München die Allianz pleitegehen würde, wäre der Bürgermeister auch geschockt.“

Man merkt Thomas Schubert an, wie ihn das Thema aufwühlt und wie sehr er die Entwicklung bedauert. „Conti hat im Blankenburger Werk bis zuletzt schwarze Zahlen geschrieben.“ Dass sich das Unternehmen jetzt vom Standort trennt, sei eine „rein strategische Entscheidung“, sagt Schubert. „Die wollen die Sparte künftig nicht mehr bedienen. Aus. Ende.“

Förderbänder werden künftig in Brasilien hergestellt

In Bad Blankenburg wurden spezielle, qualitativ hochwertige Förderbänder zur Gewinnung von Kohle, Salzen und Erzen hergestellt, die nach China, Russland oder Brasilien exportiert wurden. Damit passte das Werk hervorragend ins Portfolio von Continental, das viele Menschen in erster Linie als Automobilzulieferer kennen, der sowohl Fahrzeugsysteme als auch Reifen produziert.

Dabei ist das börsennotierte Technologieunternehmen, das seit 1988 mit Unterbrechungen im Deutschen Aktien Index Dax gelistet ist, auch in vielen anderen Bereichen tätig. So liefert es Produkte für die Energie-, Land- und Bauwirtschaft sowie für den Bergbau. 

Gerade im Bereich Bergbau und Energiegewinnung hat sich die Lage zuletzt massiv verändert, etwa durch den Braunkohleausstieg in Europa. In Südamerika hingegen bleibt die Rohstoffgewinnung im Tagebau ein lukratives Geschäftsfeld. Förderbänder aus Bad Blankenburg braucht es dafür nicht mehr. Continental stellt sie künftig an seinem Standort in Ponta Grossa (Brasilien) her.

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Protestplakat am Firmeneingang: Continental wolle "die Zukunft von 185 Familien entsorgen" Göran Schattauer

Eigentlich passiert in Bad Blankenburg das, was immer passiert, wenn große Unternehmen Stellen streichen. 

Die Beschäftigten tragen mit Trillerpfeifen, Warnwesten und Plakaten ihren Protest vor. Gewerkschafter geißeln das Vorgehen der Chefetage als „Manchester-Kapitalismus pur“ und kündigen „erbittertsten Widerstand“ an. Und Politiker versichern öffentlichkeitswirksam ihre Solidarität mit den Betroffenen.

Arbeitsministerin: "Stehe fest an der Seite der Kollegen"

So erklärte Thüringens Arbeitsministerin Katharina Schenk (SPD), sie stehe fest „an der Seite der Kolleginnen und Kollegen, der Gewerkschaften und des Betriebsrats“. Und Landrat Marko Wolfram, ebenfalls ein Sozialdemokrat, tönte: „Wir werden nicht zulassen, dass sich Unternehmen ihrer Verantwortung entziehen.“ 

Aber was will er gegen die Werksschließung machen? Mit welchen konkreten Schritten will er den Betrieb und damit 185 Jobs retten? Oder handelt es sich um populistisches Geschwafel?

Fakt ist: Die deutschen Autobauer stecken in einer tiefen Krise. Ob Volkswagen, BMW, Audi, Mercedes oder Porsche – sie alle verzeichneten zuletzt starke Gewinneinbrüche. Die Folge: radikale Sparmaßnahmen, Fabrikschließungen, Streichung Zehntausender Jobs. 

Der Negativ-Strudel hat längst auch die Zulieferbranche mit ihren deutschlandweit mehr als 600 Betrieben und rund 273.000 Beschäftigten erfasst.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ - das Kreuz steht schon

So kündigte Continental im Februar an, dass bis Ende 2026 weltweit noch einmal 3000 Jobs in Forschung und Entwicklung wegfallen sollen, davon 1450 in Deutschland. Betroffen sind vor allem Hessen und Bayern. Der Standort Nürnberg soll ganz plattgemacht werden. Schon 2024 hatte Continental den Rotstift angesetzt und 7150 Stellen gestrichen.

Dass sie nicht die einzigen Aussortierten sind, dürfte für die Frauen und Männer in Bad Blankenburg kein Trost sein. Sie müssen zusehen, wie sie künftig zurechtkommen. Einige von ihnen glauben noch immer an ein Wunder. Sie klammern sich an den Gedanken, dass alles wieder gut wird.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, hört man sie sagen. Das Kreuz mit dem aufgepinselten Todesjahr ihres Unternehmens haben sie trotzdem an die Straße gestellt. 

Nach Hoffnung sieht das nicht aus.

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