„Keine Kaufprämien mehr”: Was dem Auto-Handel stattdessen hilft

FOCUS online: Herr Senger, viele unser Leser werden die Senger-Gruppe nicht kennen. Wie sind Sie zu einem der größten Händler in Deutschland geworden? 

Jörg Senger: Im Kern durch Übernahmen – der deutsche Markt befindet sich seit über 30 Jahren in einem fortlaufenden Konsolidierungsprozess. 

FOCUS online: Was hat diese Konsolidierung ausgelöst? 

Senger: Der PKW-Markt in Deutschland wächst seit vielen Jahren nicht mehr.  Es gibt Schwankungen, gerade erleben wir eine nach unten. Über die letzten 30 Jahre lag die Zahl der Neuzulassungen meist bei rund drei Millionen – mal etwas mehr, mal etwas weniger. Letztes Jahr waren es nur noch 2,8 Millionen Fahrzeuge. Der Markt ist im Grunde seit langem gesättigt. Und in einem gesättigten Markt findet dann eine Konsolidierung statt. 

FOCUS online: Macht es noch Spaß, in einem gesättigten Markt Autos zu verkaufen? 

Senger: Ja! (lacht). Es macht noch Spaß. Auch in einem gesättigten Markt passiert viel, oder? Wir waren wie in den letzten Jahren sehr aktiv und haben die Konsolidierung für uns genutzt.

Die Senger-Gruppe

Jörg Senger führt seit 2020 zusammen mit seiner Schwester Stefanie Senger in dritter Generation die Senger-Gruppe mit Sitz in Rheine. Mit einem Vermittlungsumsatz von 1,9 Milliarden Euro in 2024 gehört sie zu den fünf größten Autohändlern in Deutschland, nach Stückzahlen zu den Top Ten. Sengers Autohäuser verkaufen alle Marken des Volkswagen-Konzerns, Mercedes-Benz (auch AMG) sowie leichte und schwere Nutzfahrzeuge von Daimler Truck, VW Nutzfahrzeuge, Maxus und DAF. Zum Portfolio gehören mittlerweile auch chinesische Marken wie BYD und MG.

FOCUS online: Ihr Optimismus überrascht. Man hört im Moment aus der Autobranche vor allem Wehklagen und Hiobsbotschaften: Alle müssen sparen, alle sind in einer Art Rückwärtsverteidigung. 

Senger: Gerade, weil wir es geschafft haben, uns in den vergangenen 20 Jahren so zu entwickeln, sehe ich für uns sehr viele Chancen.

FOCUS online: Weil sie unabhängig sind? Sie verkaufen mehrere Marken: Alle Marken des VW-Konzerns, dazu Mercedes-Benz, Lastwagen und viele weitere. Sie haben auch chinesische Newcomer im Programm: BYD, MG, Maxus. Ist das Ihre Strategie, oder kommen die Hersteller selbst auf Sie zu? 

Senger: Aktuell wenden sich tatsächlich viele Hersteller an uns – mit Ausnahme von Tesla. Die setzen konsequent auf Direktvertrieb und verzichten auf ein klassisches Händlernetz. Bislang allerdings mit überschaubarem Erfolg.

FOCUS online: Wie meinen Sie das?

Senger: Tesla verzeichnet in diesem Jahr einen drastischen Rückgang – per April liegen die Neuzulassungen 60 Prozent unter dem Vorjahr. Das liegt zum einen an einem veralteten Modell, das nicht rechtzeitig überarbeitet wurde. Zum anderen spielt sicherlich auch Elon Musk eine Rolle. Hinzu kommt das fehlende Händlernetz: In unserer ländlichen Region muss ein Tesla-Kunde oft eine Stunde zur nächsten Werkstatt fahren – und die befindet sich dann häufig in Immobilien, die andere Hersteller längst aufgegeben haben. Für mich ist dieser reine Direktvertriebsansatz langfristig nicht tragfähig. Ohne ein starkes Händlernetz lässt sich weder eine flächendeckende Verkaufspräsenz noch ein verlässlicher Service sicherstellen. 

Tesla Supercharger
Supercharger-Ladesäulen von Tesla am Autohof Geiselwind Markus Voss

FOCUS online: Sie glauben, dass darüber keine größeren Stückzahlen mehr möglich sind? 

Senger: Ohne ein funktionierendes Händlernetz bleiben die Stückzahlen für Hersteller in Deutschland zwangsläufig begrenzt. Im Fall von Tesla kommt noch hinzu: Das Modell ist in die Jahre gekommen, und die Zahl attraktiver Alternativen mit Elektroantrieb wächst stetig. In der Anfangszeit war Tesla nahezu allein auf weiter Flur – diese Marktstellung ist längst passé.

FOCUS online: Wie ist das, wenn Sie eine Marke wie BYD ins Portfolio aufnehmen. Können Sie das einfach so? Beschwert sich dann nicht Ihr Partner VW über die Konkurrenz?

Senger: Ja, das können wir machen. Wir sind nach Marken organisiert. Es gibt für jede Marke Verantwortlichkeiten und jeder sieht zu, dass seine Marke bestmöglich performt. Bei uns leidet keine Marke unter der anderen, das ist ganz wichtig. Solange jede Marke mit uns erfolgreich ist, gibt es aus meiner Sicht für den Hersteller auch keinen Grund, sich zu beklagen. Ich sehe BYD sowieso eher als Ergänzung zu unserem Produktportfolio und nicht als Ersatz. Generell ist bei fast allen Händlergruppen eine klare Tendenz zur Integration mehrerer Marken zu erkennen. . 

FOCUS online: Spielt in Ihren Überlegungen auch die Antriebtechnologie eine Rolle? Wollen Sie den Anteil von Elektroautos im Markenportfolio gezielt erhöhen?

Senger: Das entscheidet der Kunde. Dadurch, dass die Hersteller, mit denen wir zusammenarbeiten, mittlerweile ein interessantes elektrisches Portfolio haben, bin ich optimistisch, dass sich der Anteil weiter erhöht.  Solange die Hersteller das richtige Produkt haben, haben wir das dann auch (lacht). 

FOCUS online: Gibt es eine Marke, die Sie sich unbedingt noch dazu wünschen würden, die Sie aber nicht kriegen? 

Senger: Ich finde, dass wir mit unserem Portfolio sehr gut aufgestellt sind. Im Kern sind es die Marken des Mercedes-Benz- und des Volkswagen-Konzerns. Mit BYD haben wir, glaube ich, zudem die richtige Ergänzung aus China im Portfolio. Und mit den Pkw-Marken des Volkswagen-Konzerns – von Seat und Cupra bis Porsche – sowie Mercedes-Benz bieten wir ein breites Produktportfolio. Im Lkw-Bereich sind wir mit Daimler Truck ebenfalls stark aufgestellt. Daher würde mir da eigentlich keine weitere Marke wünschen. Vielleicht, wenn sich mal bei der einen oder anderen Marke im High-End-Luxury-Bereich was entwickeln würde, dann könnte das interessant für uns sein.

FOCUS online: Welche Modelle und Fahrzeugtypen fragen die Kunden im Moment besonders nach?

Senger: Runtergebrochen auf die Marken sind es aktuell sehr stark Skoda und Seat Cupra. Das sieht man auch in den Zulassungszahlen und ich kenne ja auch die Auftragseingänge. Da gibt es eine wirklich gute Entwicklung in diesem Jahr – da macht VW einen hervorragenden Job. 

FOCUS online: Wahrscheinlich auch, weil bei Skoda das Preis-Leistungs-Verhältnis attraktiv ist ...

Senger: Ja, genau. Und sie überzeugen auch mit sehr guten Leasingraten.

gdt
Skoda Elroq Viehmann

FOCUS online: Was glauben Sie: Werden Sie in Zukunft mehr Elektroautos verkaufen oder kippt der Markt gerade zurück zu den Verbrennern? Oder sind es eher die Hybride? 

Senger: Der Elektroauto-Absatz ist im letzten Jahr zurückgegangen. In diesem Jahr entwickelt er sich wieder nach vorne. Mir war immer klar: Es führt kein Weg an der Elektromobilität vorbei und sie wird auch in Deutschland weiterwachsen. Im letzten Jahr kam der Rückgang vor allen Dingen aufgrund einer massiven Verunsicherung der Kunden durch die Ad-hoc-Streichung der Subventionen. Danach war nicht klar: Bleibt es dabei? Kommen neue Prämien? Die Leute haben sich zurückgehalten und abgewartet. 

Jetzt entwickelt sich das wieder nach vorne und die Zahlen werden weiter steigen, da bin ich mir sicher. Es ist vor allen Dingen eine finanzielle Frage. Elektroautos dürfen nicht teurer sein als vergleichbare Verbrenner. Es gibt kaum Kunden, die nur aus Idealismus kaufen. Es gibt aber sicherlich viele Kunden, die sagen, wenn es quasi gleich teuer ist, dann würde ich mich für Elektromobilität entscheiden.  Dabei spielen natürlich auch die Lademöglichkeiten eine große Rolle. Wenn ich zu Hause mit meinem Stromtarif, bestmöglich zusammen mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach, laden kann, ist die Gesamtkostenrechnung sehr gut. Wenn ich auf öffentliches Laden angewiesen bin, aktuell eher nicht. Darüber hinaus machen sich viele Kunden Gedanken über die Restwertentwicklung. Sie haben Angst, dass die verbaute Batterietechnologie in Ihrem Auto in drei Jahren veraltet und der Wertverlust hoch ist. Deswegen verkaufen wir hauptsächlich über Leasing. Das gibt den Kunden Sicherheit. Ohne gute Leasingangebote ist es schwer, Elektroautos zu vermarkten. Am Ende geht es immer um Wirtschaftlichkeit und Sicherheit. Ein Elektroauto muss, unter Berücksichtigung aller Kosten, mindestens gleich teuer, idealerweise eher günstiger sein. 

FOCUS online: Sie sind auch im Flottengeschäft tätig. Ist es da anders? 

Senger: Wir sind sogar sehr flotten-lastig, denn unsere Premium-Marken – Audi, Mercedes, Porsche – werden eher von Gewerbekunden gekauft. Und der Flottenmarkt in Deutschland gewinnt immer mehr Anteile. Es gab im letzten Jahr zum ersten Mal mehr Flottenzulassungen als private Zulassungen am deutschen Markt. Das ist eine Entwicklung, die seit vielen Jahren voranschreitet. 

FOCUS online: Was treibt diesen Markt? 

Senger: In erster Linie die Dienstwagenbesteuerung. Es wäre fatal, wenn diese wegfallen würde. Und es gibt bei Dienstwagen zusätzlich steuerliche Anreize für E-Autos und Hybride. Im Gewerbekundenbereich ist das der zentrale Anreiz – die finanziellen Vorteile sind einfach erheblich, insbesondere für den Fahrer. 

FOCUS online: Verkaufen Sie auch Gebrauchtwagen? 

Senger: Die Hälfte unseres Absatzes sind Gebrauchtwagen. Wir verkaufen im Jahr rund 40.000 Fahrzeuge, rund 20.000 davon sind gebrauchte. Das ist ein essenzieller Bestandteil unseres Geschäfts. 

FOCUS online: Die Preise für Gebrauchtwagen haben in den vergangenen Jahren deutlich angezogen. Warum? 

Senger: Das hängt stark mit dem Neuwagenpreis zusammen. Wenn die Preise der Fahrzeuge hier anziehen und die Wertigkeit größer wird, steigen auch die Preise der Gebrauchtwagen. Für den Kunden, vor allem für Privatkunden, sind die Übergänge zwischen Neu- und Gebrauchtwagen oft fließend. Ob ich einen Neuwagen kaufe oder einen sechs Monate alten Mietrückläufer, hängt primär von der passenden Konfiguration und vom Angebot ab. Für mich als Händler sind die Mechanismen natürlich andere. Die Gebrauchtwagen befinden sich in unseren Beständen. Wir bezahlen sie aus unserer Liquidität und müssen selber zusehen, dass wir sie richtig einpreisen und schnell wieder verkaufen. Da gibt es große Chancen, aber natürlich auch große Risiken. 

FOCUS online: Nehmen Sie auch Elektroautos in Ihr Gebrauchtwagen-Lager? 

Senger: Ja, das machen wir. Müssen wir auch, wenn wir Fahrzeuge in Zahlung nehmen. Wir können dem Kunden ja nicht sagen: „Du kannst gerne einen Neuwagen bei uns kaufen, aber dein elektrisches Auto musst du woanders loswerden.“ Das würde nicht unserer Philosophie entsprechen. Wenn wir Risiken sehen, dann müssen wir die natürlich beim Ankaufspreis berücksichtigen. 

FOCUS online: Sehen Sie Risiken? Sind die Standzeiten für E-Autos länger? 

Senger: Die Standzeit ist im wesentlichen davon abhängig, wie gut wir beim Pricing sind – das haben wir also selbst in der Hand. 

FOCUS online: Was würden Sie aus der Praxis als Händler den deutschen Autokonzernen raten? Was können die besser machen? Gibt es irgendwo eine Lücke im Modellanagebot, wo Sie sagen: Da hätte ich Kunden, die fragen nach sowas, aber es gibt es nichts? 

Senger: Man sieht angesichts der Entwicklungen in den USA und China, dass der europäische Markt sehr wichtig bleibt für die Hersteller. Und in Europa ist der deutsche Markt mit Abstand der größte. Deshalb würde ich dazu raten – und ich weiß auch, dass das  passiert –, den deutschen Markt in den Fokus zu nehmen, die Marktanteile zu verteidigen und besser auszubauen.  

FOCUS online: Aber gibt es bei den Herstellern nicht eher die Tendenz, ihre Autos in Asien entwickeln zu lassen, damit man sie dort und dann überall auf der Welt verkaufen kann? 

Senger: Was den asiatischen Markt betrifft, maße ich mir kein Urteil an – dafür fehlt mir die entsprechende Expertise.  Aber wenn man die Entwicklungen in China und den USA sieht, dann sind das zwar die beiden weltweit größten Automärkte, aber dort gibt es jetzt große Unsicherheiten. Daher wäre mein Plädoyer, dass die europäischen Konzerne den Heimatmarkt stärker in den Fokus nehmen, um da ihre sichere Bank zu behalten. 

FOCUS online: Wurden für Europa zuletzt die falschen Autos entwickelt? 

Senger: Nein, ich würde nicht sagen, dass große modellpolitische Fehler gemacht wurden. Es gibt im Elektrobereich Segmente, die einzelne Hersteller noch nicht abdecken. Da kommt jetzt in den nächsten Jahren eine große Modelloffensive, sowohl im Verbrenner- als auch im Elektrobereich. Wenn wir das dann haben, sind wir gut und breit aufgestellt. 

FOCUS online: Kann und sollte die Politik dem deutschen Automarkt helfen? Bei den Herstellern geht es um Strompreise und Energiekosten. Es wird aber auch schon wieder nach Kaufprämien gerufen. Was wäre für Sie hilfreich?

Senger: Keine Prämien. 

FOCUS online: Warum nicht? 

Senger: Wir haben gerade erst die E-Förderprämie und den abrupten Rückgang danach verdaut. Wenn jetzt Prämien kämen, egal wofür, dann verursacht das nur eine Verschiebung der Nachfrage – entweder nach hinten oder, wenn eine Prämie endet, Vorzugseffekte. Am Automarkt in Summe ändert das wenig. Und es führt zu einer Verunsicherung der Kunden, weil die nie wissen: Wann sollte ich am besten mein Auto kaufen? 

Wir brauchen Kontinuität, auch was die Förderung betrifft. Ich würde dazu raten, keine weiteren Prämien anzukündigen. Was uns mit Abstand am meisten helfen würde, wäre ein Aufschwung der Konjunktur. Ich hatte eingangs gesagt, dass wir im letzten Jahr nur noch 2,8 Millionen Neuzulassungen in Deutschland hatten. In diesem Jahr läuft es wahrscheinlich wieder darauf hinaus. 2019 waren es noch 3,6 Millionen, da waren aber auch künstliche Effekte dabei. Wenn wir es durch eine konjunkturelle Belebung wieder schaffen würden, auf über drei Millionen Fahrzeuge zu kommen, dann wäre das für die Autoindustrie und für den Automarkt Deutschland das Größte, was man erreichen könnte. 

FOCUS online: Wie soll das gehen?

Senger: Nur wenn die Kunden wieder zuversichtlich sind, werden sie investieren beziehungsweise kaufen. Es muss positive Signale für die Wirtschaft geben. Die Ansätze der neuen Bundesregierung finde ich gut. Wenn sie da konsequent sind, glaube ich, dass es zu einer nachhaltigen Belebung führen wird.