„Sicherheitslage angespannt“: Polizeigewerkschafts-Chef fordert Sondervermögen für innere Sicherheit
Das vergangene Jahr war für Deutschlands Polizei herausfordernd. GdP-Chef Jochen Kopelke spricht über den Druck, der auf Beamten lastet – und bringt Künstliche Intelligenz ins Spiel.
Berlin – Das letzte Jahr hatte es in sich: Mafia-Geschäfte in Erfurt, Massenschlägereien im Ruhrgebiet, Razzien gegen rechtsextreme Reichsbürger in Bayern und zuletzt Alarm in Köln wegen Terror-Verdacht. Ist die Sicherheitslage angespannter als sonst, oder ist das nur ein Gefühl? Und was geht in Polizisten vor, wenn sie an Silvester massenhaft mit Raketen beschossen werden? Darüber spricht Jochen Kopelke, Bundeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), im Interview mit IPPEN.MEDIA.
Herr Kopelke, würden Sie einem jungen Menschen heutzutage raten, eine Polizeiausbildung anzufangen?
Ja, weil der Polizeiberuf, so wie ich ihn erlebe, einer der tollsten Berufe ist. Man hat mit ganz vielen Menschen zu tun, in unterschiedlichsten Lebenssituationen. Mal sind es gute, mal sind es schlechte, aber es ist immer spannend, und man hat viele Perspektiven für eine lange Karriere.

Die eher schlechten Situationen haben viele Polizistinnen und Polizisten an Silvester erlebt, als Raketen auf sie und Rettungskräfte geworfen wurden. Wer sind die Täter?
Die Täter sind überwiegend junge heranwachsende Männer, die aus Gruppen heraus mit Gegenständen auf Distanz Menschen angreifen. Daraus lässt sich ableiten, dass sie versuchen, in einer Gruppe als stark wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig aber in der Distanz Schutz vor Entdeckung suchen, weil sie wissen, dass das, was sie tun, falsch ist. Da steckt sehr viel Kalkül hinter, das sind keine Affekttaten.
GdP-Chef Jochen Kopelke über Silvester-Krawalle: „Da steckt Kalkül hinter“
Ist das ein neues Phänomen?
In den 70er und 80er Jahren gab es auch schon randalierende Jugendbanden. Aber diese Art der Gruppendynamik ist sicher neu.
Meine news
Woher kommt das aus Ihrer Sicht?
Es gibt sicher viele Gründe. Aber ich kann mir vorstellen, dass das auch mit der Corona-Phase zusammenhängt. Nach einer langen Phase von Isolation wollen Menschen wieder mehr in gleichgesinnten Gruppen agieren. Und das betrifft dann auch potenziell gewaltbereite Jugendliche.
In der öffentlichen Diskussion ist immer wieder Thema, dass viele aus diesen Gruppen einen Migrationshintergrund haben. Spielt das eine Rolle?
Wir wissen, dass es bei den Menschen, die an Silvester gemeinsam Straftaten begangen haben, oft auch eine Migrationsgeschichte gibt. Aber die Tatmotive liegen ja nicht in einer anderen Ethnie oder in einer anderen Nationalität. Sondern es hat vielmehr mit Brennpunkten innerhalb von Städten zu tun, in denen es eben eine Multikulti-Gesellschaft gibt. Wir müssen uns jetzt auch wissenschaftlich anschauen, wie unsere Stadtteile strukturiert sind. Eine Erkenntnis, die wir haben: Hochhaussiedlungen mit Menschen aus 50, 60 Nationen auf engstem Raum sind sicher keine erfolgreichen Modelle.
„Es geht um bestimmte soziale strukturelle Probleme, nicht um Nationalitäten“
Von manchen Politikerinnen und Politikern kam zuletzt die Forderung nach schnelleren Abschiebungen.
Das ist keine zielführende Diskussion. Das sind zum Großteil Menschen, die die deutsche Stadtbürgerschaft haben, da ist nichts mit Abschieben. Viele Menschen machen Schubladen auf und sagen: Der hat eine andere Hauptfarbe, deswegen verhält der sich nach einem bestimmten Muster. Und das ist Unsinn. Es geht um bestimmte soziale strukturelle Probleme, nicht um Nationalitäten.
Einige Experten sagen: Künftig ist wohl oder übel jedes Jahr mehr Polizeipräsenz an Silvester nötig. Glauben Sie das auch?
Als Gewerkschaft der Polizei lehnen wir das ab. Das ist nicht leistbar und wird auf dem Rücken der Polizistinnen und Polizisten ausgetragen. Viel wichtiger ist, dass wir die Täter, die wir festgenommen haben, viel enger begleiten. Wir kennen jetzt deren Lebenskarriere, wissen, wie sie leben und wo Probleme sind. Und wer jetzt und vielleicht schon im letzten Jahr Täter war, der darf nicht auch das dritte Silvester in Folge so agieren. Es müssen schnelle Urteile gesprochen werden und die jungen Menschen müssen von Sozialarbeitern engmaschig betreut werden.
Silvesterrakete explodiert und Polizeihelm: „Das macht was mit Ihnen“
Was macht das denn psychisch mit Polizistinnen und Polizisten, die gezielt mit Böllern beschossen oder bei einer Festnahme bespuckt werden?
Gewalt verändert Menschen. Sowohl, wenn man sie ausübt, als auch, wenn man sie erfährt. So geht das auch Polizistinnen und Polizisten. Wenn eine Silvesterrakete unter dem Helm bei Ihnen explodiert, dann macht das was mit Ihnen. In der Situation selbst funktionieren wir Polizistinnen und Polizisten, darauf sind wir trainiert. Das Entscheidende sind die Momente, wenn der Dienst zu Ende geht. Wenn die Einsätze und die Erlebnisse nicht vernünftig nachbereitet werden, dann sind posttraumatische Belastungsstörungen die Folge. Die meisten Landespolizeien haben dazu Hilfsangebote. Aber wir müssen schneller professionelle Hilfe bekommen können.
Es gab zuletzt mehrere Ermittlungen unter anderem in NRW, aber auch in Frankfurt gegen Polizisten wegen rechtsextremer Chats. Glauben Sie, dass manche Beamte eben wegen mangelnder Betreuung aus Frust in solche Extreme abrutschen können?
Ich sehe kein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus in den Landespolizeien und Bundesbehörden. Aber ich glaube schon, dass der sich verändernde Arbeitsalltag auch manche Polizistinnen und Polizisten verändern kann. Tatsächlich ist es so, dass man in dem Beruf ein Gruppengefühl braucht, sonst übersteht man die Gefahren und die Belastung nicht. Manchmal können sich dann aber Extreme in Gruppen herausbilden. Die meisten und gerade auch junge Polizistinnen und Polizisten nehmen solche Sprüche und Bilder in irgendwelchen Chatgruppen aber nicht hin. Deshalb gibt es richtigerweise auch rechtliche Schutzmöglichkeiten für Beamtinnen und Beamte, die das zur Anzeige bringen. Es gibt eine zunehmende Transparenz bei dem Thema und das ist gut so.
Rechtsextremismus bei der Polizei: „Man kann nicht Mitglied werden, wenn man der AfD angehört“
Wie sieht diese Transparenz aus?
Extremisten gehören nicht in Sicherheitsbehörden, das ist eine klare Haltung der GdP. Man kann in der GdP auch nicht Mitglied sein, wenn man der AfD angehört. Wir brauchen niemanden in unseren Reihen, der Volksverhetzung betreibt und widerliche Bilder in WhatsApp-Gruppen teilt.
Es gab im letzten Jahr Reichsbürger-Razzien, Massenschlägereien und Terror-Alarm. Ist die Sicherheitslage in Deutschland gerade angespannter als sonst?
Ja, die Sicherheitslage ist angespannter als noch vor fünf Jahren. Die Weltkonflikte haben unmittelbaren Einfluss auf unser Leben in Deutschland. Die Eritreakonflikte wurden auf den Straßen in Gießen und Stuttgart ausgetragen. Und seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beobachten wir Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur. Erstmals haben wir wieder massive Grenzkontrollen, obwohl der Schengen-Raum frei von Grenzen sein sollte. Alle haben erkannt, dass in die Bundeswehr massiv investiert werden muss. Aber das Innenleben der Bundesrepublik wird durch Polizei, Verfassungsschutz und Nachrichtendienste geschützt. Da wird nicht investiert. Deswegen haben wir ein Sondervermögen für Investitionen in die innere Sicherheit gefordert. Manche Bundesländer investieren stark in Polizei, andere eben nicht. Und dieses Ungleichgewicht wird der Föderalismus nicht lange aushalten.
Also braucht es mehr Personal bei der Polizei?
Ja, und vor allem auch moderne Technik. Ein Mensch, der 20 Terabyte Videodaten von Straftaten auswerten soll, braucht Jahre. Deshalb wollen wir dafür KI einsetzen, aber dürfen es noch immer nicht. Obwohl das Bundesverfassungsgericht klar gesagt hat, dass es erlaubt sein müsste. Doch aus der Politik kommt dazu nichts. Das ist im 21. Jahrhundert nicht mehr angebracht. Wir schreiben nach wie vor alles in unser Büchlein und schreiben das dann in einen Computer ab. Und dann schicken wir das an Kollegen in eine andere Polizeibehörde, die das ausdrucken und auch wieder abtippen. Das ist nicht zu akzeptieren.