„Kickl halte ich für gefährlicher“: Warum die FPÖ vor der Österreich-Wahl so große Sorge bereitet

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Die FPÖ könnte die Österreich-Wahl gewinnen. Wie brisant ist das Szenario? Experte Reinhard Heinisch sieht Unterschiede zur AfD – aber auch Gefahren.

Thüringen, Sachsen, Brandenburg – Deutschland hat in den vergangenen Wochen gleich dreimal hohe Wahlergebnisse der AfD erlebt. Die Österreich-Wahl am Sonntag (29. September) könnte den reinen Zahlen nach Ähnliches liefern: Die rechtspopulistische FPÖ rangiert in den Umfragen bei knapp 30 Prozent. Aber in Österreich geht es nicht um ein Landesparlament, sondern um die nationale Regierung – und damit das Kanzleramt. In Deutschland ist das (noch) undenkbar.

Was würde ein Wahlsieg der FPÖ bedeuten? Politologe Reinhard Heinisch erwartet zwar nicht, dass die FPÖ auf Sicht weit über diese 30 Prozent hinauskommen kann. Aber er hält insbesondere FPÖ-Chef Herbert Kickl für durchaus „gefährlich“ – in gewisser Hinsicht noch mehr als Kickls berühmt-berüchtigte Vorgänger Heinz-Christian Strache und Jörg Haider, wie der Wissenschaftler der Universität Salzburg IPPEN.MEDIA erklärt. Der AfD sei die FPÖ durchaus „ähnlich“, aber nicht direkt gleichzusetzen.

FPÖ ist nicht gleich AfD – und wandelt sich: „Kickl halte ich für gefährlicher und anders“

Die FPÖ sei inhaltlich heterogener und „deutlich populistischer“ als die AfD, sagt Heinisch. Konkret bedeute das: „Die Partei sagt, die Eliten sind korrupt, das Volk wird verschaukelt“, gerne positioniere sich die FPÖ dem Mainstream entgegengesetzt – und das im Zweifelsfall noch kompromissloser als die AfD. Zudem werde die FPÖ aufgrund ihrer jahrzehntelangen Präsenz und mehrmaligen Regierungsbeteiligung „vielmehr als normaler Bestandteil des Parteiensystems wahrgenommen“. In den anderen Parteien gebe es teils durchaus Bereitschaft, mit FPÖ-Vertretern zu kooperieren – nicht aber mit Kickl.

Drei Generationen von Chefs der scharf rechten FPÖ: Herbert Kickl, H.C. Strache und Jörg Haider (v.l.)
Drei Generationen von Chefs der scharf rechten FPÖ: Herbert Kickl, H.C. Strache und Jörg Haider (v.l.) © Montage: Imago/photonews.at/Hans Punz/APA/dpa/picture-alliance/fn

„Kickl halte ich in der Tat für gefährlicher und anders. Weil er eher bereit ist, Verschwörungstheorien zu verwenden“, sagt Heinisch mit Blick auf die Vorgänger an der Parteispitze. Der FPÖ-Chef sei ein „exzellenter Kommunikator, der sehr gefährliche Inhalte auf eine sehr sanfte Weise verpacken kann“, erläutert der Politologe. Das sei „eine neue Qualität“. Strache habe eher dem Typus „Marktschreier“ angehört. Der erste erfolgreiche Frontmann, Jörg Haider, sei zwar „intelligent“ gewesen, aber habe „mit sich selbst sehr viel zu schaffen gehabt“, sei weniger diszipliniert gewesen.

Die FPÖ, Kickl und die Verschwörungstheorien

Kickls FPÖ nimmt gerne „das System“ ins Visier, oder (teils anonyme) „Eliten“. Kickl selbst behauptete erst im Januar, die Weltgesundheitsorganisation WHO wolle einen „neuen Menschen umsetzen“. Auch einen „Great Reset“ führte er wiederholt ins Feld – ebenso wie vermeintliche „Globalisten“ in der EU oder „Volksverrat“. Sich selbst setzt der FPÖ-Chef als „Volkskanzler“ in Szene, ein Anklang an NS-Zeiten – genauso wie „Fahndungslisten“ prominenter Politiker, die Kickl Anfang 2024 androhte.

Österreich-Wahl: FPÖ orientiert sich an Orbán – „Umbau in Richtung eines illiberalen Systems“

Neben geschickt verschleierten extremen Inhalten ist Heinisch auch über etwaiges Regierungshandeln der FPÖ besorgt. „Ich mache mir nicht große Sorgen, dass die FPÖ plötzlich mal 50 Prozent bekommen wird“, sagt er. Das Potenzial der FPÖ wie vieler anderer Äquivalente in anderen Ländern sei allen Erkenntnissen nach wohl bei rund 30 Prozent gedeckelt. „Die Sorge ist eher, dass sie in der Regierung die Verfassung ändert, dass sie eine mehrheitsverstärkende Macht bekommt.“ Vorbild der Partei sei eher Viktor Orbán als etwa die AfD. Wobei der Politologe Vedran Dzihic zuletzt im Gespräch mit IPPEN.MEDIA auch auf erschreckende Fälle von „Copy-Paste“ im FPÖ-Programm hinwies.

„Die Vorstellungen, wie man den Staat umbauen könnte, das entspricht durchaus den Vorstellungen Orbáns“, sagt Heinisch mit Blick auf mögliche Änderungen der Verfassung oder eine angedachte Steuerung der Medien. Im Sinn habe die Partei wohl einen „Umbau in Richtung eines eher illiberalen Systems“.

FPÖ hat ihre Stammwähler – und profitiert vor der Österreich-Wahl von Fehlern der Konkurrenz

Wie aber ist es überhaupt möglich, dass die FPÖ bereits wenige Jahre nach ihrem Absturz infolge des Ibiza-Skandals wieder so stark ist? Das habe historische Gründe – liege aber auch an Fehlern der Konkurrenz, meint Heinisch.

In Österreich wie in Deutschland gebe es Auseinandersetzungen um zwei Politikfelder. Neben wirtschaftlichen Fragen, „mehr links oder mehr rechts“, sei das „Tradition und Identität auf der einen Seite, Liberalität und Umwelt auf der anderen“. Mit dem Thema „Identität“ habe die FPÖ ein gewisses „Alleinstellungsmerkmal“ – und zudem eine Kernwählerschaft von zehn bis 15 Prozent, auf deren Basis sie sich erholen könne.

Eine Partei könne aber stets nur so stark sein, wie die Konkurrenz es zulasse, fügt der Politologe hinzu. Eine Pattsituation in der ungleichen Regierungskoalition aus ÖVP und Grünen und die ÖVP-Skandale um Sebastian Kurz hätten geholfen – ebenso wie eine „katastrophale“ Spitzenkandidatensuche der Oppositionsführerin SPÖ, Streit um die Corona-Politik und eine bewusste Positionierung Kickls als Gesicht einer neuen FPÖ-Ära nach den Skandalen.

Hilfreich für die FPÖ sei aber auch der scharfe Migrationskurs der ÖVP gewesen: „Dadurch, dass die Konservativen unter Kurz auch dieses Migrationsthema so bedienen, haben sie quasi die Position der FPÖ validiert“, urteilt Heinisch. „Die FPÖ kann jetzt glaubhaft sagen: ‚Was wollt ihr? Eine Partei der Mitte wie die Konservativen haben unsere Position ja auch vertreten.‘” Dieses Phänomen sehen Experten – so, oder so ähnlich – auch in Deutschland. Und die vermeintliche „Normalisierung“ extremer Positionen sorgt für „Schockmomente“ bei Teilen der Menschen in Österreich. (fn)

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