„Man leidet, wenn man einen Patienten verliert“: Nach 33 Jahren Klinik - Chefarzt erinnert sich

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Begann 1991 als junger Facharzt in der Kreisklinik Wolfratshausen – 33 Jahre später tritt Anästhesist Dr. Josef Orthuber jetzt seinen Ruhestand an. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Dr. Josef Orthuber wollte nur zwei Jahre bleiben. 33 Jahre später nimmt er Abschied von der Kreisklinik. Er geht in Ruhestand und spricht über seine Berufung.

Dr. Josef Orthuber arbeitete 33 Jahre als Anästhesist in der Kreisklinik Wolfratshausen, zwölf Jahre war er Chefarzt der Anästhesie-Abteilung. Ihm unterstand die Intensivstation, die Notfall- und Kreißsaalversorgung, die stationäre Schmerzbehandlung, die Führung des Blutdepots und das OP-Management. Jetzt, zum Jahreswechsel, tritt Orthuber seinen Ruhestand. Unsere Mitarbeiterin Clara Wildenrath sprach mit ihm, was ihm sein Beruf bedeutet.

Herr Dr. Orthuber, als Sie 1991 als junger Facharzt in die Kreisklinik in der Loisachstadt kamen – hätten Sie gedacht, dass Sie bis zum Ruhestand dort bleiben?

(lacht) Nein. Ich hatte damals gerade meine Facharztausbildung zum Anästhesisten in München abgeschlossen. Mein Gedanke war, dass ich mir das Krankenhaus in Wolfratshausen anschaue und vielleicht zwei Jahre bleibe, wenn es mir dort gefällt.

Weshalb sind aus den zwei Jahren dann doch 33 geworden?

In einem kleineren Haus wie der Kreisklinik kann man noch einen persönlichen Umgang pflegen. Das finde ich schön. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen und dem Management ist hervorragend. Aus diesem Grund engagierte ich mich schon nach kurzer Zeit ehrenamtlich im Betriebsrat und war 14 Jahre Vorsitzender. Medizinisch konnte ich mich auch verwirklichen: nach drei Jahren wurde ich Oberarzt, 17 Jahre später ernannte man mich zum Chefarzt. Als Anästhesist konnte ich zusammen mit den Gynäkologen und Hebammen unzähligen Babys auf die Welt helfen und tausende Patienten durch die Narkose geleiten. Wenn man dann sieht, dass sie die OP gut überstanden haben und sie später gesund wiedertrifft, ist das schon eine Genugtuung.

Gibt es auch negative Erinnerungen?

Natürlich leidet man jedes Mal, wenn man einen Patienten verliert. Es liegt in der Natur der Sache, dass das auf der Intensivstation vorkommt. Aber zumindest musste ich mir nie Vorwürfe machen, weil mir schwere Fehler passiert wären. Die Pandemie strapazierte uns alle sowohl psychisch als auch physisch. In dieser Zeit war ich auch Ärztlicher Direktor der Klinik. Alle zusammen meisterten wir die Herausforderungen, mit denen alle Gesundheitseinrichtungen zurecht zu kommen hatten, vorbildlich. Obgleich dies nicht immer einfach war.

Wie hat sich die Anästhesie seit Ihren Berufsanfängen verändert?

Die Narkosemedikamente sind deutlich schonender geworden. Sie verursachen weniger Übelkeit und Kreislaufprobleme. Deshalb sind sie zum Teil selbst bei 90- und 100-Jährigen noch einsetzbar. Wir können heute Eingriffe vornehmen, die wir früher wegen des zu hohen Risikos ablehnen mussten. Durch die Entwicklung der Regionalanästhesie ist es außerdem möglich geworden, einzelne Körperteile gezielt und sehr viel schonender zu betäuben – wie zum Beispiel bei der Peridural-Anästhesie während einer Entbindung. Auch in der Schmerzbehandlung hat sich viel getan. Mit einem kleinen Computer können sich die Patienten nach einer OP heute auf Knopfdruck selbst Schmerzmittel nach Bedarf verabreichen.

Mit der neuen Intensivstation, die 2016 eröffnet wurde, ist auch Ihr Verantwortungsbereich in der Kreisklinik gewachsen, oder?

Ja, sicherlich. Anfangs hatten wir lediglich acht Intensivbetten, heute sind es 18. Die Klinik verfügt inzwischen über modernste Beatmungsgeräte und sechs Blutwäschestationen, so dass wir auch schwere Intensivfälle behandeln können. Die Anästhesie-Abteilung expandierte. Die Kooperation mit den damals zehn operativ tätigen Kollegen weitete sich mittlerweile auf dreißig Kollegen aus den Bereichen Orthopädie, Gynäkologie, HNO, Unfall- sowie Bauchchirurgie aus. Im Schnitt haben wir 15 Operationen pro Tag. Bei jeder muss ein Anästhesist durchgängig dabei sein.

Das Fachgebiet der Anästhesie gilt als eines der belastendsten in der Medizin. Weshalb haben Sie sich ausgerechnet dafür entschieden?

Ursprünglich wollte ich Kinderarzt werden. Nach einem Praktikum im Züricher Kinderspital arbeitete ich als Notarzt und erkannte, dass ich mit kritischen Situationen gut umgehen kann. Je stressiger es ist, desto ruhiger werde ich. Als Anästhesist muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren und schnell reagieren können. Es bleibt nicht viel Zeit zum Nachdenken. Das fasziniert mich. Auch nach 40 Jahren übe ich meinen Beruf noch mit Leidenschaft aus. Aber ja, die Belastungen sind hoch. Nicht alle Kollegen können diesen Druck aushalten.

Wie gehen Sie mit der psychischen Belastung um?

Oft bin ich abends nach Dienstende erst einmal eine Stunde durch die Pupplinger Au gejoggt. Danach ging es mir besser. Ich habe immer viel Sport getrieben und bin lange Jahre Marathon gelaufen – nicht um des Wettkampfs willen, sondern um körperlich und geistig fit für meinen Beruf zu bleiben. Inzwischen bin ich auf Schwimmen und Radfahren umgestiegen. Am meisten Kraft gibt mir allerdings meine Familie. Ich genieße jeden Moment, den wir zusammen verbringen.

Würden Sie noch einmal denselben Beruf ergreifen?

Auf jeden Fall. Es ist ein gutes Gefühl, Menschen Schmerzen und die Angst vor der Narkose nehmen zu können. Ich gehe noch heute gerne in den Nachtdienst. Wenn mich der Piepser in den Schockraum ruft, funktioniere ich wie eine Maschine, bis es dem Patienten wieder besser geht. Das finde ich einfach bemerkenswert.

Was haben Sie im Ruhestand vor?

(lacht) Ich glaube kaum, dass ich nunmehr viel Ruhe haben werde: Unsere Tochter Emma fordert mich täglich und der Bordercollie Valentin hält uns alle schön auf Trab. Nichtsdestotrotz werde ich die Beine, zumindest kurzzeitig, hochlegen und mir ein Glas Wein einschenken (lacht). Ich komme jedoch nicht ganz von der Kreisklinik los, denn ich bin nach wie vor als Notarzt tätig und habe sodann die ärztliche Leitung der Immunhämatologie. Abgesehen davon habe ich vor, endlich die vielen Bücher zu lesen, für die ich bisher zu wenig Zeit hatte. Als Frankreichliebhaber möchte ich meine Französischkenntnisse aufmöbeln. Vielleicht werde ich auch wieder ein wenig zur Jagd gehen. Ich freue mich sehr darauf! Außerdem führe ich mein karitatives Engagement bei Rotary International tatkräftig fort.

Was wünschen Sie sich für die Kreisklinik?

Der Fortbestand der Kreisklinik liegt mir sehr am Herzen. Wir brauchen regionale Krankenhäuser. Die Notwendigkeit wird einem spätestens dann bewusst, wenn man als Notarzt nachts bei Eisglätte und Schneesturm kreuz und quer durchs Oberland fährt. Ganz wichtig wäre mir außerdem, dass das gute Betriebsklima in der Kreisklinik erhalten bleibt. Jeder möge sich wohlfühlen, egal woher man kommt und was man macht. Dass das nicht verloren geht, ist mir ein sehr großes Anliegen.

Nachfolger ist Dr. Daniel Siegl

Neuer Chefarzt der Anästhesie-Abteilung in der Kreisklinik Wolfratshausen wird Dr. Daniel Siegl. Landrat Josef Niedermaier, in Personalunion Vorsitzender des Klinik-Aufsichtsrats, sowie Klinik-Geschäftsführer Ingo Kühn werden den bisherigen Oberarzt am LMU-Klinikum Großhadern Ende Januar bei einem Pressetermin in der Einrichtung am Moosbauerweg offiziell vorstellen.

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