Nach Bahn-Surfen-Vorfall in Benediktbeuern appelliert Rad-Profi Wolfgang Sacher an Jugendliche: „Begeht keinen Selbstmord!“

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Radrenn-Profi Wolfgang Sacher aus Penzberg verlor im Alter von 15 Jahren seinen Arm und mehrere Zehen, als er auf einem Zug balancierte. Heute leistet er Aufklärungsarbeit über die Lebensgefahr von solchen „Mutproben“. © Archiv

In der Region häufen sich Vorfälle, bei denen Jugendliche auf Züge klettern, um eine „Mutprobe“ zu machen. Nach dem jüngsten Vorfall in Benediktbeuern spricht die Polizei von einem Besorgnis erregenden Trend, ausgelöst durch Videos in sozialen Medien. Radsport-Profi Wolfgang Sacher hätte eine solche Tat 1983 beinahe das Leben gekostet.

Benediktbeuern - Ein Jugendlicher hat am Mittwoch in Benediktbeuern versucht, auf einen Zug zu klettern, um offensichtlich eine lebensgefährliche „Mutprobe“ durchzuführen. Wie berichtet, war der Bursche vermummt und hatte eine GoPro-Kamera mit Selfie-Stick bei sich. Weil Anwohner auf ihn aufmerksam wurden, ihn zum Absteigen aufforderten und die Polizei riefen, rannte der Jugendliche davon.

Zwei Jugendliche sind jüngst dabei gestorben

In den vergangenen Tagen gab es ähnliche Fälle in der Region. Am 4. Juli wurden zwei Jugendliche lebensgefährlich verletzt, als sie im Wolfratshauser Bahnhof auf einen Wagon kletterten. Am 7. Juli passierte das Gleiche im Bahnhof Trudering, ein 19-Jähriger kam dabei ums Leben. Vor fünf Tagen erlitt ein 15-Jähriger bei so einer „Mutprobe“ in Feldkirchen schwere Verletzungen. Wie das Polizeipräsidium Oberbayern-Süd auf Anfrage unserer Zeitung auch noch mitteilt, starb vor Kurzem ein 13 Jahre altes Mädchen ebenfalls bei so einer Aktion in Nordrhein-Westfalen. Diese Häufung sei sehr auffallend, sagt Polizei-Pressesprecher Daniel Katz. Es sei davon auszugehen, dass es zurzeit einen Trend mit solchen „Mutproben“ in sozialen Medien gibt.

„Wir haben keine gesicherten Erkenntnisse, dass es bei uns in der Region eine solche Szene gibt“, sagt der stellvertretende Kochler Polizei-Chef Frank Bentz. Doch man sei wachsam. „Der junge Mann, der das am Mittwoch in Benediktbeuern gemacht hat, soll froh sein, dass ihn die Anwohner gesehen haben“, sagt Bentz. Zwar habe sie der Bursche bei der Aufforderung, runter zu kommen, ziemlich beleidigt. Dennoch: „Die Gefahr war groß, dass er seine Aktion mit dem Leben bezahlt hätte.“

Polizei-Sprecher lobt Verhalten von Anwohnern

Ähnlich äußert sich der Rosenheimer Polizei-Sprecher. Er lobt die Bürger, die hingeschaut und eingegriffen hätten. „Sie haben sich vorbildlich verhalten und wahrscheinlich ein schweres Unglück verhindert“, sagt Katz. Wer auf einen Zug klettere, um offensichtlich für einen Film im Internet zu posen, würde die „brutale Gefahr“, die von einer Oberleitung ausgehe, völlig unterschätzen. „Das ist ein Himmelfahrtskommando“, sagt Katz. Der Strom könne auch dann überspringen, wenn man die Leitung gar nicht berühre.

Wolfgang Sacher erlebt es selbst und hat Schreckliches erlebt

Berichte über solche Unglücke gehen Wolfgang Sacher unter die Haut. Der Penzberger Radsport-Profi und Paralympics-Teilnehmer bezahlte seinen „Spaziergang“ auf einem Wagon 1983 im Alter von 15 Jahren fast mit dem Leben. Er ließ sich damals von Freunden im alten Penzberger Güterbahnhof überreden, hinauf zu klettern. Sie wollten „einfach nur auf den Wagons zurückgehen“, erinnert sich Sacher. Es herrschte Nieselregen. Der 15-Jährige, damals schon recht groß, reckte beim Sprung über die Wagone die linke Hand nach oben – und 15 000 Volt schossen durch seinen Körper. Sein Arm war auf einen Schlag verkohlt, die Haut riss am ganzen Körper, der Strom schoss weiter in den Fuß und verkohlte die Zehen. Durch die Wucht der Elektrizität wurde er mit dem Gesicht nach unten auf den Asphalt geschleudert. „Ich war bei vollem Bewusstsein“, erinnert sich Sacher. Er hörte seine Freunde weinen, dann kamen Sanitäter. Zwei Wochen später erwachte er im Klinikum Großhadern aus dem Tiefschlaf. Der Arm war weg, einige Zehen amputiert, der Körper zerschunden. Eineinhalb Jahre lag er im Krankenhaus.

„Wer in die Leitung greift, wird zu Asche“

„Ich hatte großes Glück“, sagt Sacher heute. „Normalerweise überlebt man so etwas nicht.“ Immer wieder leistet er Aufklärungsarbeit an Schulen. Viele Jugendliche würden die Gefahr von Stromschlägen unterschätzen. „Wenn man in die Leitung greift, wird man zu Asche“, sagt der 57-Jährige. In diesen Millisekunden verkrampfe der ganze Körper, man könne seine Hand nicht mehr öffnen und reagieren. „Und vor allem: Das alles kann auch passieren, wenn man nur im Spannungsfeld ist.“

Als er im Krankenhaus wieder aufgewacht sei, wusste er schlagartig, „dass ich jetzt auf der anderen Seite stehe: Dass ich meine Ausbildung nicht wie gewünscht machen kann, dass ich vielleicht nie eine Freundin bekomme, dass ich behindert bin.“ Erst nach einigen Jahren fand er aus dem Tief heraus, lernte seine Frau kennen, begeisterte sich für den Sport. Zu seinen Freunden von damals hat er noch immer Kontakt: „Für sie war das auch alles wahnsinnig schwer.“

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Dass sich Jugendliche für Poser-Szenen im Internet in eine solche Gefahr begeben, macht Sacher immer wieder fassungslos. „Das ist Selbstmord.“ Dass es nun offensichtlich wieder einen Trend zu solchen Mutproben gibt, „macht mich sehr traurig. Wo ist unsere Gesellschaft hingekommen“, fragt sich Sacher. An Jugendliche gerichtet, appelliert er: „Geht‘s euch wirklich so schlecht, dass ihr euch umbringen möchtet?! Das Leben ist so schön und hat so viele Facetten.“

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