Russland setzt alles daran, die ukrainische Stadt Awdijika einzunehmen. Zehntausende Soldaten sterben. Dabei geht es vor allem um die Symbolik.
Kiew – Berichten zufolge soll Russland bei den erbitterten Kämpfen um die ostukrainische Stadt Awdijiwka im Ukraine-Krieg mehr als 10.000 Soldaten pro gewonnenem Kilometer verlieren. Die Gefechte um die strategisch wichtige Siedlung dauern bereits seit zwei Monaten an und stehen symbolisch für eine neue Phase des Krieges, in der Russland wieder die Offensive ergriffen hat.
Der Sprecher der ukrainischen Tavriisk-Gruppe, Oberst Oleksandr Shtupun, sagte am Mittwoch (20. Dezember), dass die Moskauer Streitkräfte in den vergangenen zwei Monaten etwa 25.000 Soldaten in der Region Donezk verloren haben, wie das US-Portal Newsweek berichtet. Von diesen Verlusten seien 80 Prozent in der Umgebung von Awdijiwka zu verzeichnen. Diese Angaben ließen sich bislang nicht prüfen.
„Fast 25.000 Tote und Verwundete“ – Sturm auf Awdijika kommt Putin teuer zu stehen
Die Zusammenstöße in der Region Donezk haben offenbar an Intensität zugenommen, da Russland um die Einnahme von Awdijiwka kämpft. Seit dem 10. Oktober hat Russland Tausende von Truppen, Panzern und gepanzerten Fahrzeugen in das Gebiet verlegt, das als das Tor zur Stadt Donezk gilt. Berichten zufolge haben sowohl Moskau als auch Kiew eine große Zahl von Truppen und Ausrüstung verloren. Bergungsteams, die in dem Gebiet waren, sollen laut Newsweek angedeutet haben, dass sie dort die meisten russischen Leichen von „den ganzen Schlachtfeldern im gesamten Krieg“ gesehen hätten.
Der ukrainische Oberst Shtupun gab im staatlichen Fernsehen der Ukraine zu, dass Russland seit dem 10. Oktober „um anderthalb bis zwei Kilometer vorgerückt“ sei. Dies sei Waldimir Putins Truppen jedoch teuer zu stehen gekommen. „In etwas mehr als zwei Monaten [...] hat der Feind fast 25.000 Tote und Verwundete, etwa 200 Panzer und über 400 gepanzerte Fahrzeuge im Verantwortungsbereich der Gruppe Tavria (Tavriisk) im Gebiet Donezk verloren“, so Shtupun. Ihm zufolge bilde das russische Militär daher häufig neue Kompanien aus degradierten Einheiten, um Angriffe in der Nähe von Awdijiwka durchzuführen.
Einnahme der Stadt hat kaum militärischen Nutzen – Fortschritte im Ukraine-Krieg für Putins Propaganda
Trotzdem kämpfen in dem Gebiet weiterhin einige gut ausgebildete und gut ausgerüstete Einheiten. Das gab der in den USA ansässiger Think Tank Institute for the Study of War (ISW) in einem Update vom Mittwoch (20. Dezember) bekannt. Das ISW erklärte, ein russischer Militärblogger habe zwar behauptet, dass die russischen Streitkräfte südwestlich von Awdijiwka in der Nähe von Perwomaiske geringfügige Vorstöße unternommen hätten, es habe jedoch keine visuellen Beweise für diese Behauptung gegeben.
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Die Einnahme der Stadt würde für Russland laut ZDF-„heute“ wohl in erster Linie einen propagandistischen Vorteil bieten. Zwar werde aus militärischer Sicht die Frontlinie verkürzt, was die ukrainischen Streitkräfte weiter von Donezk wegdrängen würde und es für die ukrainische Artillerie erschweren würde, Ziele in der besetzten Stadt Donezk zu erreichen. Ansonsten habe die Stadt aber keine große Bedeutung mehr. Es sei aber wahrscheinlich, dass die russischen Staatsmedien versuchen werden, den unbedeutenden Sieg aufzubauschen. Das könnte Putin nicht zuletzt im Wahlkampf für die russischen Präsidentschaftswahlen 2024 zugutekommen. Gleichzeitig werde der Verlust für die Ukraine einen weiteren Schlag im öffentlichen Diskurs bedeuten.
Es wird nicht so „wie wir es gerne hätten“ – Zweifel an einem Sieg der Ukraine wachsen
Seit dem Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive wachsen bei den westlichen Verbündeten die Zweifel, an der Bereitstellung weiterer Hilfe für die Ukraine. Ein 60-Milliarden-Dollar-Hilfspaket der USA wird im US-Kongress noch immer blockiert. Auch die Pläne der EU, Kiew ein Hilfspaket in Höhe von 54,6 Milliarden Dollar zukommen zu lassen, liegen auf Eis, seit der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán letzte Woche sein Veto eingelegt hat. Orbán hatte zuletzt infrage gestellt, dass der russische Angriff auf die Ukraine ein Krieg sei. „Das ist eine Operation, solange es keine Kriegserklärung zwischen den zwei Ländern gibt“, so der ungarische Regierungschef am Donnerstag (21. Dezember) bei seiner Jahrespressekonferenz in Budapest.
Gleichzeitig wachsen die Befürchtungen, dass Russland mit Beginn des Winters an Stärke gewinnen könnte. Der Befehlshaber der ukrainischen Bodentruppen, Generaloberst Oleksandr Syrsky, gab am Dienstag (19. Dezember) in einem Post auf Telegram zu, dass Russland eine militärische „Überlegenheit“ erlangt habe.
Gegenüber dem tschechischen Nachrichtenportal Seznam Zprávy drückte der tschechische Präsident, Petr Pavel, seine Befürchtung aus, dass es im kommenden Jahr wahrscheinlich eine „neue Situation“ geben werde, „mit der wir umgehen müssen“. Die bisherigen Anzeichen würden darauf hindeuten, dass es nicht so sein werde „wie wir es gerne hätten“, so Pavel, der vormals General sowie hochrangiger NATO-Führer war und die Kriegsbemühungen der Ukraine stets unterstützt hatte. (tpn)