„Viele Ukrainer sind bereit, sich zu integrieren“
Bürokratische Hürden, lange Wartezeiten bei Deutschkursen, Heimweh: Viele Ukrainer tun sich schwer mit ihrem neuen Leben hierzulande. Das zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt: nur wenige haben einen Job. Doch es gibt immer mehr Fälle, die auch Mut machen. Denn unter den Ukrainern wächst der Wunsch, sich zu integrieren.
Dachau – Fast zweieinhalb Jahre ist es her, dass Julia Belkova vor den Bombardierungen in ihrer Heimat Borwary, unweit von Kiew, nach Dachau floh. Seitdem versucht die Ukrainerin, sich hier zurechtzufinden. „Heute kann ich mit Zuversicht sagen, dass meine Tochter und ich uns gut eingelebt haben“, berichtet Julia Belkova. Ihre Tochter Kira schloss heuer die erste Klasse ab, hat viele Freunde und spricht schon ziemlich fließend Deutsch.
Auch hinter Julia Belkova liegt eine erfolgreiche, wenn auch anstrengende Zeit. Der Integrationsprozess sei „ziemlich schwierig und zeitaufwändig“, doch die Hilfe von Stadt und Jobcenter sei „unglaublich“, sagt Belkova. Die 30-Jährige legte ihren B2 Deutsch-Kurs erfolgreich ab, machte ein Praktikum in einer Steuerkanzlei und absolvierte dank der finanziellen Unterstützung des Jobcenters einen Steuer-Grundlagenkurs. Nun ist sie hoch motiviert und auf Jobsuche.
Geflüchtete in Zahlen
Derzeit leben 1767 Ukrainerinnen und Ukrainer im Landkreis Dachau. Darunter 740 Männer und 1027 Frauen. Wie das Landratsamt Dachau mitteilt, sind 598 von ihnen in staatlichen Unterkünften untergebracht. In Dachau hat das Landratsamt nach wie vor zwei Hotels angemietet: das Hotel Amedia (mit derzeit 94 Personen) und das Hotel Bavaria Safari (mit 14 Personen). 132 der ukrainischen Geflüchteten im Kreis Dachau sind Senioren, 503 sind noch nicht volljährig.
Immer mehr Ukrainer wollen sich in Deutschland integrieren
Oksana Bonauer-Morel, die nach Kriegsausbruch Hilfstransporte organisierte und koordinierte und ein Ukraine-Netzwerk in Dachau aufgebaut hat, ist von Julia Belkova beeindruckt. „Sie ist ein Vorbild, weil sie ihr Schicksal in die Hand nimmt“, sagt sie.
Und Julia Belkova ist kein Einzelfall. Laut Bonauer-Morel gibt es immer mehr Geschichten, die Mut machen. So auch die des hoch qualifizierten Ukrainers Oleksandr B.. Der 44-Jährige ist Ende vergangenen Jahres mit Frau, Sohn und der herzkranken Oma nach Deutschland geflohen und möchte seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. Derzeit macht er ein Praktikum als Buchhalter an Bonauers Kunstakademie, später will er dort einen Mini-Job machen. „Meine Zukunft sehe ich in Deutschland“, sagt der Familienvater. Hier plant er, eine feste Arbeit zu finden, ein Fachstudium zu absolvieren und dann einmal sein eigenes Unternehmen zu gründen.
Viele Ukrainer sind bereit, ihr Leben hier in den Griff zu bekommen.
Bei vielen Ukrainern aus ihrem Netzwerk habe ein Umdenken eingesetzt, erklärt Bonauer-Morel. Immer mehr Geflüchteten werde bewusst, dass sie in ihre geliebte Heimat nicht so schnell zurückkehren können: „Sie sehen kein Ende des Kriegs.“ Weshalb viele ihr Schicksal in Deutschland nun annehmen wollen. „Viele sind jetzt bereit, sich zu integrieren und ihr Leben hier in den Griff zu bekommen“, so Bonauer-Morel.
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Jobcenter: Mehr Ukrainer wollen sich eine Arbeit suchen
Das fällt auch dem Leiter des Jobcenters Dachau, Peter Schadl, auf. Zum Beispiel beim Thema Wohnen. Hier sei vieles „deutlich klarer als noch vor einem Jahr“. Im Gegensatz zu anderen Geflüchteten hätten Ukrainer kaum Probleme, eine Wohnung zu finden. Viele haben eine Wohnung gemietet.
Zudem seien immer mehr Ukrainer gewillt, sich eine Arbeit zu suchen, sagt Schadl. Mehr als doppelt so viele ukrainische Kriegsflüchtlinge wie im Vergleich zum Vorjahr haben heuer (Stand Juni) eine Arbeit aufgenommen. Doch ein Blick auf die Zahlen verrät: Wirklich viele sind das noch immer nicht. Gerade einmal 75 von 1132 Ukrainern im erwerbsfähigen Alter haben einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag unterschrieben.
Große Herausforderung für Jobcenter
Viele scheuen sich laut Schadl, einen Hilfsjob anzunehmen. Groß sei die Angst davor, unter Wert zu arbeiten. Denn in der Ukraine sei es für hoch qualifizierte Arbeitskräfte dann schwer, wieder in den alten Job zurückkehren zu können. „Da gibt es kein Zurück mehr, aber in Deutschland ist das anders“, sagt Schadl. Er und sein Team wollen den Ukrainern daher Anreize zum Arbeiten geben, denn: „Bürgergeld auf Dauer ist nicht lustig.“
Zu zeigen, dass sich Arbeit wirklich lohnt, sei aber leider noch nicht bei allen gelungen, räumt Schadl ein. Und: Die Jobcenter stünden vor einer großen Herausforderung, so Dachaus Jobcenter-Chef: Da der Bund sparen muss, werden künftig Eingliederungsmaßnahmen gekürzt. Für die Jobcenter bedeutet das, kurz gesagt: weniger Geld, mehr Kunden.
Vor uns ist noch ein langer Weg. Es ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf, und wir wollen, dass niemand zusammenbricht.
Jeden Monat kommt ein neuer Bus mit rund 50 Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine im Landkreis Dachau an. Für sie ist der erste Schritt, erst einmal die deutsche Sprache zu lernen. „Vor uns ist noch ein langer Weg. Es ist kein Sprint, sondern ein Dauerlauf, und wir wollen, dass niemand zusammenbricht“, sagt Schadl.
Julia Belkova und ihre Tochter waren damals im ersten Bus aus der Ukraine nach Dachau. Sie zählen zu den Flüchtlingen der ersten Stunde. „Es fällt mir schwer für die Zukunft zu planen, aber ich tue und werde weiterhin alles Menschenmögliche tun, damit meine Tochter und ich uns hier wohlfühlen“, sagt Julia Belkova. Ihre feste Überzeugung: „Es liegt an uns, zu bestimmen, wie das Morgen aussehen wird.“