Ausland - Südkorea: Regierungskrise nach Verhängung des Kriegsrechts
Politisches Chaos in Südkorea: Nachdem Präsident Yoon Suk-yeol am Dienstag (3.12.) das Kriegsrecht verhängt und inzwischen wieder zurückgenommen hatte, setzten am Mittwoch sechs oppositionelle Parteien ein Amtsenthebungsverfahren im Parlament in Gang. Am Donnerstag oder Freitag wird das Parlament darüber abstimmen. Wenn nach der Parlamentsabstimmung auch der Oberste Gerichtshof zustimmt, fliegt Präsident Yoon aus dem Präsidialamt.
Die Umfragewerte von Präsident Yoon sind in der letzten Zeit dramatisch in den Keller gesunken. Anfang der Woche lagen sie bei nur 19 Prozent. Seine Partei, die konservative People Power Party (PPP), hat im Parlament, der Nationalversammlung, keine Mehrheit. Um zu regieren, braucht Yoon die Unterstützung der Opposition.
Als aber am Dienstagabend bewaffnete Soldaten vor dem Parlamentsgebäude standen, wurden in der südkoreanischen Bevölkerung Erinnerungen an die Militärdiktaturen wach, die bis in die 1980er-Jahre das Land beherrschten.
Politische Analysten sind sich einig, dass Präsident Yoon den Zeitpunkt für eine Generalabrechnung mit der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) falsch eingeschätzt hat. Er habe sich selbst mit der Entscheidung für das Kriegsrecht scharfer Kritik ausgeliefert. "In der Öffentlichkeit und in der Presse war viel Kritik an der Demokratischen Partei zu hören. Es scheint, dass Yoon dies als Unterstützung für ihn selbst missverstanden hat", sagte Kim Sang-woo, ehemaliger Politiker der linksgerichteten südkoreanischen Kongresspartei für neue Politik und jetzt Vorstandsmitglied der Kim Dae-jung-Friedensstiftung.
"Die Opposition hat ihre Mehrheit im Parlament genutzt, um Gesetzesvorlagen durchzusetzen, die Yoon für unvereinbar mit dem nationalen Interesse hält", sagte Kim im Interview mit der DW. Die Opposition treibe zudem Ermittlungen gegen Yoons Frau voran und „stellt immer wieder Amtsenthebungsanträge gegen Kabinettsmitglieder".
Yoons Ehefrau hatte ein teures Präsent, eine Markenhandtasche, von einem Pastor mit Verbindung zu Nordkorea angenommen. Dabei wurde sie von einer versteckten Kamera gefilmt. Ende 2023 kam der Mitschnitt an die Öffentlichkeit. Die Opposition nutzte diesen Skandal bei den Zwischenwahlen Anfang 2024 und gewann die Mehrheit im Parlament. Dadurch wurde Yoon in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit, die 2022 begann, praktisch machtlos.
Nur wenige Stunden vor der Ankündigung von Yoon am Dienstag hieß es in einem Leitartikel der Tageszeit "Korea Times", dass die Demokratische Partei "ihre parlamentarische Mehrheit ausnutzt, um ihre Agenda voranzutreiben". Der Kommentator warf der DP vor, "Amtsenthebungsverfahren gegen wichtige Politiker als Waffe einzusetzen". Am Mittwoch startete die Opposition neben dem gegen Präsident Yoon drei weitere Amtsenthebungsverfahren gegen Regierungsmitglieder.
Die Regierungspartei PPP war zudem darüber verärgert, dass die DP die Kürzungen der Verteidigungsetats um umgerechnet 45,7 Millionen Euro erzwang. Diese Gelder sollen für nachrichtendienstliche Tätigkeiten verwendet werden, wie die Aufdeckung und Untersuchung von Bedrohungen der nationalen Sicherheit, in erster Linie aus Nordkorea sowie die Bekämpfung von Korruption.
Aber auch mehrere DP-Politiker waren in jüngster Zeit Gegenstand von Korruptions- und anderen Untersuchungen, darunter der Oppositionsführer Lee Jae-myung. Lee war Mitte November wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden. Die Strafe wurde für zwei Jahre ausgesetzt. Lee hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Wenn das Berufungsgericht das Urteil bestätigt, könnte Lee aufgrund der Vorstrafe bei den nächsten Präsidentschaftswahlen nicht kandidieren.
Präsident Yoon habe sich - trotz aller politischen Rückschläge - nicht staatsmännisch verhalten und sich selbst geschwächt, sagt Leif-Eric Easley, Professor für internationale Studien an der Ewha Womans University in Seoul. "Yoons Verhängung des Kriegsrechts überschreitet offenbar die rechtliche Kompetenz und scheint eine politische Fehlkalkulation zu sein. Damit hat er Südkoreas Wirtschaft und Sicherheit unnötig gefährdet."
"Angesichts der fehlenden Unterstützung und ohne starke Rückendeckung innerhalb seiner eigenen Partei und Regierung hätte der Präsident wissen müssen, wie schwierig es sein würde, sein Dekret spät in der Nacht umzusetzen", sagte Easley. "Er klang wie ein Politiker, der unter Beschuss steht und einen verzweifelten Schritt gegen die zunehmenden Skandale, die institutionelle Obstruktion und die Forderungen nach einem Amtsenthebungsverfahren unternimmt. Im Endeffekt hat er die bestehenden Konflikte verschärft."
Allerdings habe Yoon danach das Richtige getan und das Kriegsrecht sofort nach der Ablehnung in einer Abstimmung im Parlament wieder rückgängig gemacht habe, sagt Easley weiter. Dennoch wies der Politologe darauf hin, dass die Nation eine Zeit lang mit der Instabilität konfrontiert sein werde, da die Pattsituation zwischen Regierung und Gesetzgebung anhält.
Autor: Julian Ryall (aus Tokio)
Von Julian Ryall (aus Tokio)