Staatskrise in Südkorea: „Das Land versinkt im Chaos“
Südkoreas abgesetzter Präsident widersetzt sich seit Wochen einer Festnahme. „Meine Sorge ist, dass es zu Blutvergießen kommt“, sagt ein Experte.
Immerhin, es kommen auch noch gute Nachrichten aus Südkorea. Zum Beispiel diese: In nur elf Tagen haben mehr als 125 Millionen Menschen die zweite Staffel der südkoreanischen Netflix-Erfolgsserie „Squid Game“ abgerufen, wie der Streamingdienst am Mittwoch bekannt gab. Der Putschversuch des mittlerweile entmachteten Präsidenten Yoon Suk-yeol, er scheint dem Image Südkoreas als popkultureller Großmacht bislang nicht geschadet zu haben.
In Seoul dürfte man Nachrichten wie diese mit Erleichterung registrieren. Denn „Hallyu“, die koreanische Welle, mit ihren gefeierten Serien, bitterbösen Kinofilmen und grellbunten Pop-Bands, ist längst ein wichtiger Wirtschaftszweig in dem ostasiatischen Land. Schätzungen zufolge wurden im vergangenen Jahr 76 Milliarden US-Dollar mit „K-Culture“ umgesetzt. „Das tägliche Leben in Korea bleibt von den Ereignissen unberührt“, erklärte kürzlich Südkoreas Kulturminister Yu In-chon. Touristen mögen doch bitte weiterhin ins Land kommen und „schöne Erinnerungen mit nach Hause nehmen“.

Südkorea in der Krise: „Es liegen große Wut und Angst in der Luft“
Gut fünf Wochen nach Yoons gescheitertem Staatsstreich vom 3. Dezember 2024 lässt sich allerdings konstatieren: Zur Ruhe kommt Südkorea nicht. „Ja, das Leben geht weiter, die Menschen gehen jeden Tag zur Arbeit, die Züge fahren pünktlich, die Versorgung mit Lebensmitteln und Benzin ist intakt“, berichtet Lee Sung-yoon, Korea-Experte an der US-Denkfabrik Wilson Center, aus Seoul. „Aber es liegen große Wut und Angst in der Luft.“ Südkorea, sagt Lee im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, „versinkt im Chaos“.
Man muss das nicht ganz so dramatisch sehen wie Lee. Tatsache aber ist, dass der gestürzte Präsident Yoon wenig dafür tut, die aufgeheizte Stimmung im Land zu beruhigen, ganz im Gegenteil. Zwar stimmte das Parlament in Seoul Mitte Dezember dafür, Yoon Suk-yeol des Amtes zu entheben, zudem laufen gegen Yoon Ermittlungen wegen Aufruhrs. Doch der weigert sich seitdem beharrlich, seine Präsidentenresidenz zu räumen.
Während das Verfassungsgericht des Landes noch darüber berät, ob die Amtsenthebung aufrechterhalten bleibt oder Yoon ins Amt zurückkehren kann, scheint der die Situation aussitzen zu wollen. Zusammen mit seiner Frau, sechs Hunden und fünf Katzen hält er sich seit Wochen in seiner Residenz im Nobelviertel Hannam-dong im Zentrum von Seoul verschanzt.
Südkoreas Ex-Präsident hat sich verschanzt
Am Mittwoch dann ließ Yoon seine Anwälte erklären, der Haftbefehl gegen ihn sei „ungültig“. Generell aber sei er bereit, mit den Behörden zusammenzuarbeiten. In der Praxis sieht diese „Zusammenarbeit“ bislang so aus: Seine Residenz hat Yoon in eine Festung verwandelt, die Wachen des Ex-Präsidenten haben Stacheldraht ausgelegt und mit Bussen Barrikaden errichtet.
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Befragungen durch Ermittler verweigert sich Yoon, seine Festnahme verhinderten zuletzt Ende letzter Woche rund 200 Mitglieder der Armee und des präsidentiellen Sicherheitsdienstes. Die Polizei erklärte derweil, sie ziehe „alle verfügbaren Möglichkeiten“ in Betracht, um Yoon in Gewahrsam zu nehmen.
Auch Hunderte Unterstützer versammelten sich in den vergangenen Tagen vor Yoons Residenz, manche hielten Schilder mit dem Slogan „Make Korea Great Again“ in den Händen. In ihren Augen hat Yoon nichts falsch gemacht, als er Anfang Dezember das Kriegsrecht ausrief. Yoon selbst scheint das genauso zu sehen, trotz einiger halbherziger Entschuldigungen. Wie sehr sein Verhalten der südkoreanischen Demokratie geschadet hat, will der entmachtete Präsident nicht sehen.
Droht Südkorea ein Blutvergießen?
Die Ausrufung des Kriegsrechts hatte Yoon mit einer angeblichen Gefahr durch Nordkorea begründet, zudem warf er der Opposition vor, mit ihrer Parlamentsmehrheit das Land unregierbar gemacht zu haben. Ihm sei gar nichts anderes übrig geblieben, als zum Kriegsrecht zu greifen. Korea-Experte Lee Sung-yoon sieht das anders. „Für Yoons Verhalten gibt es keine Rechtfertigung“, sagt er. „Yoon hat das Gesetz gebrochen und das Vertrauen des Volks missbraucht.“
In Seoul braue sich gerade etwas sehr Unheilvolles zusammen, meint Lee. „Die Strafverfolgungsbehörden sind entschlossen, Yoon zu verhaften, und seine Sicherheitsdienste sind entschlossen, ihn zu schützen. Oppositionsabgeordnete fordern die Polizei bereits auf, im Namen der Gerechtigkeit bereit zu sein, sich eine Kugel einzufangen“, sagt er. „Meine Sorge ist, dass es zu Blutvergießen kommt.“ Choi Sang-mok scheinen ähnliche Sorgen umzutreiben. Am Mittwoch ermahnte Südkoreas Interimspräsident die Behörden des Landes, bei dem Versuch, Yoon festzunehmen, dürften „keine Bürger verletzt werden“.