Ein gefährliches Spiel mit der Gesundheit von Millionen von Patienten

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Dr. Philipp Kircher blickt mit Sorge auf die Medikamentensituation. Viele Patienten müssten wegen der Engpässe mit Alternativen vorlieb nehmen. © Holly

Wer in diesen Tagen auf der Suche nach lebenswichtigen Medikamenten wie dem Asthma-Mittel Salbutamol oder einem Antibiotikum gegen Borreliose in die Apotheke geht, könnte enttäuscht werden.

Peißenberg - Derzeit kämpfen Ärzte und Apotheker mit massiven Lieferengpässen, die Patienten aller Altersgruppen betreffen. „Uns fehlt vor allem das wichtigste Asthma-Medikament für Kinder – Salbutamol. Es ist momentan in ganz Deutschland nicht verfügbar“, erklärt Dr. Philipp Kircher, Inhaber der St. Ulrich Apotheke in Peißenberg und Sprecher der Bayerischen Apothekerkammer.

Glücklicherweise konnte seine Apotheke kürzlich eine kleine Lieferung aus den USA beziehen. Doch das sei nur eine kurzfristige Lösung.

Apotheker wie Kircher müssen improvisieren, um ihre Patienten trotz der Medikamenten-Engpässe zu versorgen. „Letztes Jahr hatten wir das Drama mit den Antibiotika-Säften für Kinder, und das Problem ist immer noch präsent“, erklärt Kircher. Oft greifen Apotheken zu Alternativen, wie etwa der Herstellung von Säften aus Tabletten, um zumindest die dringendsten Bedürfnisse zu decken. „Es geht hier nicht um triviale Hustensäfte“, betont Kircher. „Wir sprechen von Krebsmedikamenten, lebenswichtigen Asthmamedikamenten und Antibiotika gegen Borreliose, die fehlen.“

Die Ursachen für die Engpässe sind vielfältig. Ein zentraler Grund ist die starke Abhängigkeit von China, wo rund 90 Prozent der Medikamente für den deutschen Markt produziert werden. „Aber auch die Krankenkassen und die Politik tragen Mitschuld“, kritisiert Kircher. Durch extremen Preisdruck zwinge das System die Hersteller, sich gegenseitig zu unterbieten.

Keine deutschen Hersteller mehr

„Manchmal geben Hersteller Preisnachlässe von bis zu 99 Prozent“, erläutert der Apotheker. Dies führe dazu, dass die Produktion fast ausschließlich nach China verlagert werde, wo die Löhne niedrig und Umweltstandards weniger streng sind.

Die Konzentration der Medikamentenproduktion in China birgt zusätzliche Risiken. „Wenn es dort Probleme gibt – etwa durch eine Blockade im Schiffsverkehr, einen Brand in einem Werk oder eine Verunreinigung in einer Fabrik – kommt bei uns nichts mehr an“, warnt Kircher. In Deutschland selbst wird kaum noch produziert: „Bekannte Arzneimittelhersteller wie Hexal oder Ratiopharm verpacken heute nur noch die in China hergestellten Produkte für den deutschen Markt.“ Lediglich Zusatzstoffe, die eine Tablette beispielsweise schön weiß machen würden, sowie mögliche Aromastoffe, damit die Tablette halbwegs schmeckt, kämen von hier. „Doch der eigentliche Wirkstoff der Medikamente kommt aus China,“ so Kircher.

Ein weiteres Problem: Manche Hersteller möchten ihre Medikamente gar nicht mehr auf dem deutschen Markt anbieten. „Wenn ein Unternehmen in Deutschland nur fünf Cent für ein Medikament bekommt, verkauft es lieber nach Rumänien oder Griechenland, wo die Krankenkassen höhere Preise zahlen“, erklärt Kircher. „Wir sind kein Entwicklungsland, aber dieser irre Preiskampf, der von der Politik seit Jahren gewollt ist, hat das System in einen maroden Zustand gebracht.“

Apotheken versuchen, auf alternative Quellen zurückzugreifen, doch das ist oft keine einfache Lösung. Im Einzelfall können Medikamente importiert werden, was jedoch strengen Auflagen unterliegt und Wochen dauern kann. „Allein in diesem Jahr gab es 20 Millionen dokumentierte Lieferengpässe“, berichtet Kircher. „Zehn Prozent meiner Arbeitszeit gehen mittlerweile für die Bewältigung der Engpässe drauf.“

Politik weist Lücken auf

Besonders ärgerlich findet Kircher die Reaktionen aus der Berliner Politik. Aussagen von Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, wonach die Lieferengpässe bereits halbiert seien oder gar kein Problem darstellen würden, empfindet er als realitätsfern: „Das stimmt einfach nicht! Millionen deutsche Patienten erleben täglich das Gegenteil. Es zeigt, wie weit die Politik von der Realität an der Versorgungsfront entfernt ist.“

Kircher wünscht sich, dass Apotheker für ihre täglichen Anstrengungen mehr Anerkennung erhalten – sowohl politisch als auch gesellschaftlich. „Wir tun, was wir können, mit dem wenigen, das wir haben.“ Er und seine Kollegen finden, dass es an der Zeit ist, dass die Politik handelt und dieses gravierende Problem löst, bevor es noch schlimmer wird.
Übrigens: Die letzte verbleibende europäische Produktionsstätte für Antibiotika und Penicillin befindet sich in Österreich in der Gemeinde Kundl. Dabei handelt es sich um die letzte verbliebene voll integrierte Antibiotikaproduktion in der westlichen Welt der Firma Sandoz. Antibiotika gelten als Rückgrat moderner Medizin. Die Regierung von Österreich subventioniere den Standort.
„Ich sehe das als ein Beispiel, von dem sich Berlin eine Scheibe abschneiden könnte“, erklärt Kircher. Weg von der Arzneimittelproduktion in China und wieder mehr Fokus auf europäische Hersteller.

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