Kreml-Peinlichkeit und „Kriegsmaschinerie“: Expertin erklärt Putins Aufrüstung bei Finnland
Neue Aufnahmen zeigen: Russland rüstet an der Nato-Nordflanke auf. Ein in mehrerlei Hinsicht vielsagender Schritt, meint Expertin Minna Ålander.
Der jüngste Beleg flatterte erst am Mittwoch (18. Juni) ins Haus – in Form eines Satellitenbildes: Russland baue in überschaubarer Entfernung zu Finnlands Grenze eine Basis für eine neue Artilleriebrigade, berichtete der finnische Rundfunk Yle. Aus dem All aufgenommene Fotos zeigten die Veränderungen an dem Gelände in der Region Murmansk seit dem letzten Winter. Der Gouverneur von Murmansk, Andrej Tschibis, sprach sogar von einer neuen „Militärsiedlung“ für die Soldaten.
Für die finnische Verteidigungsexpertin Minna Ålander kommen solche Nachrichten nicht überraschend, wie sie dem Münchner Merkur sagt. Dennoch handle es sich in mehrerlei Hinsicht um eine vielsagende Entwicklung – mit Blick auf den Zeitpunkt und die bisherige Situation. Offen bleibe freilich, ob Russland tatsächlich ernsthaft einen Angriff auf Nato-Territorium in Erwägung ziehen wird, wo er stattfinden und wie er aussehen könnte.
Russland rüstet an Finnlands Grenze auf: „Die Frage ist: warum jetzt?“
„Man muss wissen, dass Russland in den vergangenen drei Jahren sehr viel Gerät und Truppen aus den Basen entlang der finnischen Grenze in die Ukraine abgezogen hat“, sagt Ålander unserer Redaktion. Noch im Sommer 2024 waren nach Einschätzung von Finnlands Militärgeheimdienst 80 Prozent weniger Truppen an der Grenze als Vorbeginn der russischen Großinvasion im Ukraine-Krieg. Und Putins damaliger Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte schon 2023 angekündigt, die Militärbezirke Moskau und Leningrad wiederzubeleben. Mit einer Wieder-Aufrüstung sei also zu rechnen gewesen.

„Die Frage ist, warum das gerade jetzt möglich ist“, betont Ålander. Die unter anderem für das Center for European Policy Analysis tätige Wissenschaftlerin sieht zwei Erklärungen.
Einerseits habe Russland offenbar seine „Kriegsmaschinerie“ so weit ausbauen können, dass es neue Projekte in Angriff nehmen könne – bekannt sei, dass Putins Militär neues Gerät nicht mehr zwingend in direkt in die Ukraine schicke. Teils wandere es auch ins Lager. Zum anderen habe der Kreml wohl gehofft, dass nach Donald Trumps Amtsantritt bald eine Feuerpause in der Ukraine eintreten könnte. „Es ist zynisch, das zu sagen, aber: Der Krieg gegen die Ukraine schränkt Russlands Fähigkeit, weitere Angriffe zu planen, zumindest stark ein“, erklärt Ålander.
„Ein bisschen peinlich“: Putin ließ die Nato-Grenze „leer“ – „untergräbt die Kreml-Erzählung“
Ebenfalls bemerkenswert ist aus Sicht der Expertin für Verteidigungspolitik der Nato im Norden und Baltikum aber eben auch die Vorgeschichte. „Es war ja schon ein bisschen peinlich, dass Russland die Grenze im Prinzip erstmal drei Jahre lang ‚leer gelassen‘ hat“, sagt Ålander: „Das untergräbt schließlich die Erzählung, dass die Nato eine Bedrohung ist.“ Dass es sich um eine reine Defensivstrategie Putins handelt, hält sie indes nicht für plausibel: „Ich glaube das den Russen nicht“, sagt sie. Auch Russland wisse wohl, dass die Nato nicht zuerst angreifen werde – wie eben die Nachlässigkeit an Finnlands Grenze gezeigt habe.
Droht also ein Angriff auf Nato-Gebiet? „Die Wahrscheinlichkeit ist wohl höher als vor Trumps Amtsantritt“, sagt die Expertin. Der US-Präsident habe die Abschreckungsfähigkeit der Nato durchaus in Mitleidenschaft gezogen. „Und dann ist aus russischer Sicht eben die Frage, ob es sich lohnt, den Europäern fünf bis zehn Jahre Zeit zu geben.“
Gleichwohl müsse es ein handfester militärischer Angriff für Putin nicht die beste Variante sein. Im Baltikum etwa habe Russland den besten Zeitpunkt dafür wohl schon verpasst – Litauen, Lettland und Estland seien besser vorbereitet und die Nato-Erweiterung habe die teils „düsteren“ Verteidigungsszenarien verbessert. Womöglich seien hybride Attacken für Russland das Mittel der Wahl. „Mit einem militärischen Angriff riskiert Russland, dass die Nato eben doch funktioniert und handelt. Da müsste sich der Kreml schon sehr sicher sein, dass es auf keinen Fall eine Reaktion gibt.“ (fn)