7 Fakten zum Alaska-Gipfel mit Trump und Putin, die Hoffnung machen

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Wenn die Verhandlungsteams aus Washington und Moskau heute in Alaska eintreffen, beginnt ein Machtpoker, der von begründeten Ängsten und nicht minder gut begründbaren Hoffnungen begleitet wird.

Zuletzt beim Washingtoner Gipfel 1994 kamen sich der frisch gewählte Bill Clinton und der joviale Boris Jelzin näher. Der Kalte Krieg war beendet, aber Spannungen aufgrund der Nato-Osterweiterung überschatteten das russisch-amerikanische Verhältnis.

Dennoch wurde von Clinton das unter George Bush senior verhandelte Strategic Arms Reduction Treaty (START-II-Vertrag) umgesetzt. Bill Clinton bezeichnete Jelzin als Freund. Jelzin erwiderte: „Dies ist der Beginn einer neuen Partnerschaft für das 21. Jahrhundert.“

Es gibt gute Gründe, sich in Alaska an die guten Stunden der amerikanisch-russischen Gipfeldiplomatie zu erinnern. Damals wie heute sprechen handfeste Gründe dafür, das Aufrüsten zu beenden und dem Frieden – und damit der wirtschaftlichen Prosperität – eine Chance zu geben:

Grund #1: Der Ukraine-Krieg ist nicht gewinnbar – für keine Seite

Es gibt seit Monaten keine substanzielle Bewegung mehr. Der Angriffskrieg hat sich zu einem Stellungskrieg entwickelt, mit nur noch kleinen Vorstößen Russlands und hartnäckiger Verteidigung der ukrainischen Armee.

Nach 1.268 Tagen Krieg kontrolliert Russland – inklusive der 2014 annektierten Krim – knapp 115.000 Quadratkilometer des ukrainischen Landes. Das ist eine Fläche fast so groß wie die von Bayern und Niedersachsen zusammen. Aber: 80 Prozent des ukrainischen Territoriums sind frei. Putin hat – solange der Westen in Selenskyj investiert – keine Chance, sich das gesamte Land einzuverleiben.

Grund #2: Die Kriegskosten übersteigen den Nutzen – für beide Seiten

Ukraine: Anfang des Jahres veröffentlichte die Weltbank eine Studie über die Wiederaufbaukosten der Ukraine. Mehr als eine halbe Billion US-Dollar müssten dafür aufgebracht werden. Also knapp das Dreifache der jährlichen ukrainischen Wirtschaftsleistung. Im vergangenen Jahr sagte Finanzminister Serhij Martschenko, dass jeder Kriegstag die Ukraine umgerechnet mehr als 120 Millionen Euro kostet.

Russland: Die indirekten Kosten durch Öl- und Handelsembargos, der Ausschluss aus dem westlichen Zahlungssystem SWIFT und das Einfrieren russischer Vermögenswerte treffen die russische Wirtschaft mittlerweile hart. Putin kann dieses Kräftemessen nur durchhalten, wenn er weiter die Leidensfähigkeit der Zivilbevölkerung als Kriegskasse nutzt.

Grund #3: Die Ukraine und Russland haben durch den Krieg de facto die Souveränität verloren

Ukraine: Stand Ende Juni haben die USA seit Kriegsbeginn insgesamt Hilfszuweisungen im Wert von knapp 115 Milliarden Euro an die Ukraine geliefert (56 Prozent davon militärisch). Deutschland hat als größter europäischer Unterstützer im selben Zeitraum knapp 21 Milliarden Euro gegeben. Europa insgesamt 167 Milliarden. So die Zahlen des Ukraine Support Trackers des ​​Kieler Instituts für Weltwirtschaft.

Russland ist durch internationale Sanktionen vor allem auf Käufer aus Asien angewiesen. Allein im vergangenen Jahr erreichte das Gesamthandelsvolumen mit China 245 Milliarden US-Dollar, mehr als doppelt so viel wie 2020. Damit begab sich Putin in eine Abhängigkeit, deren politischer Preis eines nicht mehr fernen Tages zu entrichten sein wird.

Putin und Trump
Zwei alte, weiße Männer treffen sich in Alaska und schreiben Geschichte - ohne die Europäer. dpa/Reuters

Grund #4: Die Kriegsmüdigkeit verbindet das ukrainische mit dem russischen Volk

Einer Gallup-Umfrage zufolge – die Anfang Juli durchgeführt wurde – sprachen sich 69 Prozent der Ukrainer für ein baldiges Verhandlungsende des Krieges aus. Nur 24 Prozent wollen eine Fortsetzung der Kämpfe bis zum Sieg. Vor einem Jahr waren es noch knapp 40 Prozent.

In Russland braucht man keine Umfragen. Schon das Rekrutierungsverhalten Putins, das die städtische Jugend der russischen Metropolen meidet und in die ländlichen Gegenden der asiatischen Provinzen ausweicht, zeigt: Der Krieg löst Ängste, nicht Euphorie aus.

Grund #5: Russland ist ein Land, die USA sind ein Imperium

Beide Teilnehmer des Gipfels betrachten sich nicht als Repräsentanten ihrer Länder, sondern als Machthaber von Imperien. Aber nur hinter Trump steht wirklich eine Kraft, die den Unterschied macht. Die Nato mit ihren 32 Nationalstaaten, knapp 3,5 Millionen Soldaten und jährlichen Verteidigungsausgaben von 1,5 Billionen Dollar ist die dominante Militärmacht der Welt.

Hinter Putin steht – nachdem seine Vorgänger den Warschauer Pakt aufgelöst haben – die russische Armee, die schon die Besetzung der Ukraine nicht organisiert bekommt. Putin kann weiterkämpfen. Aber er kann gegen die USA nicht gewinnen.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine picture alliance / SvenSimon-ThePresidentialOfficeU | Presidential Office of Ukraine

Grund #6: Selenskyj hat es geschafft, den Westen hinter sich zu versammeln

Der Westen besitzt immerhin einen Minimalkonsens über die Verhandlungsziele. Trump will zuerst einen Waffenstillstand durchsetzen und würde sich auch mit einem Frozen Conflict, also dem Einfrieren des Frontverlaufs bei geteilter Souveränität über das Territorium der Ukraine zufriedengeben.

Das Ziel der Europäer ist ebenfalls das Ende der Kampfhandlungen. Jede Ausweitung der russischen Sphäre schafft für Westeuropa neue Unsicherheit. Deshalb ist die Ukraine-Hilfe keine Geschmacksfrage, sondern wirkt wie die Zahlung einer Prämie für die Lebensversicherung.

Grund #7: Vorteil Putin: Reputationsgewinn fast garantiert

Für Putin ist das erste Ziel bereits mit dem Gipfeltreffen auf der Weltbühne selbst erreicht: ein Reputationsgewinn. Kein russischer Präsident hat mehr Gipfeltreffen mit verschiedenen US-Präsidenten absolviert. Seit 2000 hat Putin jeden US-Präsidenten (Clinton, Bush jr., Obama, Biden und Trump) getroffen.

Fazit: Putin hat 2001 im Deutschen Bundestag die Hand in Richtung Westen ausgestreckt. Er war – das zeigte auch seine Treue zu Gerhard Schröder – Zeit seines Lebens kein ideologischer Anti-Westler, sondern ein europäischer Russe mit hohem Respekt vor der hiesigen Kultur. Ob diesem europäischen Putin in Alaska (oder danach) ein zweites Leben eingehaucht wird, ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Es liegt an ihm – und am Verhalten des Westens.