„Was ist eigentlich mit deinem Vater passiert?“

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Sie stellte Nachforschungen über die Lebensgeschichte ihrer Großvaters an und schrieb darüber ein Buch. Am Samstag las Julia Gilfert daraus im Thomahaus vor. © Elfriede Peil

Julia Gilfert schrieb ein Buch über ihren Großvater, ein Opfer des Nationalsozialismus. Daraus las sie jetzt in Dachau am Gedenktag.

Dachau – Julia Gilfert liest aus ihrem Buch „Himmel voller Schweigen“: wie ihr Großvater in einer Nervenheilanstalt mit 32 Jahren gestorben ist. Anlässlich des Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus war sie auf Einladung der Stadt Dachau im Ludwig-Thoma-Haus zu Gast. Rund 60 Besucher waren zu der Lesung gekommen.

Julia Gilfert erzählt von ihrem Traum in der Nacht vor ihrem 18. Geburtstag

Sie liest mit sanfter, aber klarer Stimme. Sie liest so, dass alle ihr gebannt zuhören. Es ist absolut still im Saal. Man traut sich nicht zu husten. Julia Gilfert erzählt von ihrem Traum in der Nacht vor ihrem 18. Geburtstag. Da sieht sie ihren Großvater Walter Frick vor sich. Er sieht gut aus, mit weißer Fliege und feinem Hemd. Sie hat diesen Mann nie kennen gelernt. Sie weiß nur, dass er mit nur 32 Jahren gestorben ist. Im Jahr 1941. Und jetzt gratuliert er ihr in diesem Traum zu ihrem 18. Geburtstag, als Erster aus der Familie. Im Jahr 2011.

Diese Begegnung lässt sie nicht mehr los. Und davon erzählt sie „an diesem besonderen Ort, an diesem besonderen Tag“, wie sie sagt. In Dachau. Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz, dem Holocaust-Gedenktag. Bisher hatten Überlebende und Zeitzeugen an diesem Tag gesprochen. Das sei kaum noch möglich, so Oberbürgermeister Florian Hartmann, so dass jetzt die „zweite und dritte Generation zu Wort komme“. In Zeiten, in denen antisemitische Positionen quer durch die Bevölkerung verbreitet würden, müsse der Kampf gegen Rassismus und Nationalismus umso stärker und entschiedener geführt werden. Auch durch solche Erinnerungen.

In der Familie war Walter Frick lange Zeit kein Thema

Davon berichtet Julia Gilfert. Sie fragt ihren Vater: „Was ist eigentlich mit deinem Vater passiert?“ Der wäre in Berlin in einem Krankenhaus gewesen und dort gestorben. Woran? Das wisse man nicht. Julia Gilfert will es aber wissen. Sie sucht und findet auf dem Dachboden zuhause Ordner und Postkarten ihrer Großeltern, wühlt sich durch Archive, hat ein ganzes Tagebuch ihrer Großtante von Steno übertragen lassen und gelesen, spricht mit Wissenschaftlern. Und auch in der Familie wird nach jahrelangem Schweigen endlich über Walter Frick gesprochen.

Er wurde 1908 im pfälzischen Zweibrücken geboren, war Komponist und Dirigent und heiratet die Sopranistin Luise Frölich. Sie bekommen zwei Kinder. Nach einigen Erfolgen und glücklichen Jahren geht es beruflich bergab. Walter Frick bekommt nicht die Stelle, die ihm vom Opernhaus versprochen war. Bewerbungen an anderen Häusern bleiben aussichtslos. Als er einen Nervenzusammenbruch erleidet, weist ihn der Mann seiner Schwester Hedwig, der ranghohe SS-Offizier Armin Beilhack, gewaltsam in eine Nervenheilanstalt nach Bernau bei Berlin ein. Zu Zeiten des Euthanasieprogramms der Nazis ein sicheres Todesurteil, wie Julia Gilfert schreibt. Dort stirbt er nach einem halben Jahr. Während die Sterbeurkunde behauptet, die Todesursache sei Depression und Erschöpfung gewesen, kann davon ausgegangen werden, dass die wahre Ursache eine Überdosis Morphin (oder ein vergleichbares Mittel) gewesen ist.

Die Autorin will nicht ohnmächtig zusehen, dass sich solche Unmenschlichkeit wiederholen könnte. Sie zitiert Erich Kästner: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.“ Für Julia Gilfert heißt das: „Wir müssen gemeinsam laut werden. So entsteht Wärme, und das lässt den Schneeball schmelzen.“

ep

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