Der Kranzberg setzt beim Mittenwalder Gefühle frei. Das von der SPD initiierte Symposium, bei dem es am Donnerstagabend um die Zukunft des Naturjuwels ging, hat das deutlich und klar offenbart. Aber keiner hat ein Patentrezept nach einer tristen Wintersaison.
Mittenwald – „Wir geben nicht auf!“ Als Klaus Wurmer (51) diese drei kämpferischen Worte spricht, stockt ihm fast der Atem. Mit Tränen in den Augen verlässt er das Rednerpult. Jeder im Saal weiß spätestens jetzt, was ihm der Kranzberg bedeutet. Für Wurmer und seine Familie, die dort oben seit 54 Jahren Skilifte betreibt, ist es der Schicksalsberg schlechthin.
Doch es bauen sich dunkle Wolken über Mittenwalds sonniger Seite auf. Der Winter war ein Flop und somit auch die Skisaison an den Luttensee- und Wildensee-Liften. Doch wie können in Zeiten des Klimawandels Pisten zwischen 1100 und 1300 Höhenmetern überhaupt noch aufrechterhalten werden und so einer eingesessenen Familie Arbeit und Brot geben? Wie soll die Zukunft allgemein auf dem Kranzberg aussehen?
Diese Fragen haben sich auch die beiden SPD-Gemeinderätinnen Ursula Seydel und Bärbel Rauch gestellt. Um sich für die Rathausarbeit ein Meinungsbild zu verschaffen und Entscheidungshilfen zu bekommen, haben sie Donnerstagabend ins Posthotel zum Kranzberg-Symposium geladen. Und es sind für die beiden Organisatorinnen unerwartet viele ihrem Ruf gefolgt. „Ich bin überwältigt“, sagte Seydel beim Blick auf rund hundert Gesichter. „Wir von der SPD sind so einen Auflauf gar nicht gewohnt.“
Doch der Kranzberg bewegt, selbst wenn im stockschwarzen Mittenwald die Roten rufen. Eines kristallisierte sich an diesem Abend der Tränen, Appelle und Emotionen schnell heraus: Ja zum Familien-Skigebiet der Wurmers, nein zu Experimenten! In diese Kategorie fiel beim Forum in der Post auch die vom Bikeclub gewünschte ausgewiesene Mountainbikestrecke – neudeutsch Flow-Trail genannt. „Finger weg vom Kranzberg!“, warnte etwa der langjährige Skiclub-Chef Wolfgang Schwind. „Ein Flow-Trail hat da oben nichts zu suchen.“ Ins gleiche Horn stieß Christoph Sprenger, einer der vielen Grundbesitzer auf dem Kranzberg. Als warnendes Beispiel nennt er den Parcours in Oberammergau, der zu „95 Prozent“ von Tagesausflüglern genutzt werde. „Die lassen nur Dreck da und sonst nichts.“ Kein Widerspruch unter den Zuhörern. Schlechte Karten für Bikeclub-Vorsitzenden Heinz Pfeffer, der an diesem Abend als Redner schmerzlich vermisst wurde. Hätte er doch wichtige Informationen zum Flow-Trail geben können.
Heinz Mohr, ehemaliger Leiter des Olympia-Stützpunkts in Garmisch-Partenkirchen, wiederum forderte zum wiederholten Mal die Solidarisierung mit den Liftbetreibern. „Dieses Skigebiet muss mittelfristig, wenigstens für zwei Generationen, erhalten bleiben.“ Und sei es durch eine verbesserte Beschneiung. Mit Geld aus dem Rathaus kann Mohr dabei nicht rechnen. „Eine direkte Förderung geht nicht“, betonte Bürgermeister Enrico Corongiu (SPD). „Aber es gibt doch eine Grauzone“, entgegnete der ehemalige Skiverbandstrainer. „Wir haben es diskutiert und beschlossen“, erinnert Corongiu. „Doch den Beschluss haben wir nicht umsetzen dürfen.“ Denn private Unternehmen unterstützen, können laut Corongiu nur Land und Bund.
Große Investitionen garantieren nicht zwangsläufig Erfolg.
Da konnte Zuhörer Stefan Wallisch nur noch mit dem Kopf schütteln. „Wir haben doch keine Chance, das ist alles eine große Verarsche!“ Ihm antwortete Gemeindewerkschef Matthias Pöll: „Private können unterstützen.“ Ihm zufolge erst in der Schweiz geschehen. Zuvor hatte der Energie-Experte mit Verweis auf den Tiroler Nachbarort Seefeld vor kostenträchtigem Aktionismus gewarnt. „Große Investitionen garantieren nicht zwangsläufig Erfolg.“ Pöll mahnte zu einer „gewissen Vorsicht“ bei der möglichen Umgestaltung des Kranzbergs. Gleichzeitig warnte er davor, ein Erholungsgebiet zu schaffen, in dem sich Wanderer und Radfahrer in die Quere kommen.
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Dr. Christian Edlhuber, der unbeirrt von der Wiedereröffnung seiner 2005 geschlossenen Kranzberg-Gipfelbahn träumt, könnte sich ein zwei bis vier Kilometer langes Loipennetz vorstellen, um Wintertouristen wenigstens ein bisschen Schneevergnügen zu gönnen. Stern-Wirtin Petra Musch indes hielt ein flammendes Plädoyer für den Erhalt des alpinen Skigebiets auf dem Kranzberg. Die bitteren Stunden der Liftbetreiber dort oben – „das tut mir im Herzen weh“. Sie forderte von allen „den unbedingten Willen“ ein, für die Wurmers und ihr Skiparadies einzutreten.
Wenn ich gegen alles bin, dann brauche ich nicht mehr schimpfen.
„Es wäre wichtig, wenn wir beim Kranzberg zu einem Konsens kommen“, sagte Ludwig Knilling, Vermieter und langjähriger CSU-Gemeinderat. Zumal die 1950 eröffnete Sesselbahn „nicht mehr zeitgemäß“ sei. Doch selbst der „Kuin-Luggi“ weiß, wie kläglich 2019 die hochtrabenden Pläne vom Vierer-Sessellift am Veto einiger Grundeigentümer geplatzt sind.
Was laut Zweitem Bürgermeister Georg Seitz (Freie Wähler) in erster Linie mit dem chronischen Fremdeln vieler Mittenwalder vor Neuerungen zu tun hat. „Wenn ich gegen alles bin, dann brauche ich nicht mehr schimpfen.“ Seitz fragte in die Runde, warum Projekte unterm Karwendel zuletzt stets gescheitert sind, um selbst die Antwort zu geben: „An der Gemeinsamkeit.“ Die soll nun durch einen Kreis williger Lokalpatrioten zumindest in der Causa Kranzberg jetzt neu entfacht werden. Wenigstens ein konkretes Ergebnis.