Berauschende Perspektiven: Ökostrom aus der Tiefe der Klamm

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Ein Naturspektakel: In der Geisterklamm arbeitet sich das Wasser der Leutascher Ache durch die felsige Schlucht. © Martin Siepmann via www.imago-images.de

Im Juni sollen die Würfel gefallen sein - und zwar zugunsten der deutschen Bewerber. Das hofft der Chef der Gemeindewerke Garmisch-Partenkirchen beim Wasserkraft-Projekt an der Leutascher Ache.

Mittenwald/Leutasch – Immer nur warten, nichts tun, hoffen – das hat Wodan Lichtmeß irgendwann zu sehr genervt. Also handelte er: Der Chef der Gemeindewerke Garmisch-Partenkirchen reichte gegen das Land Tirol eine Beschwerde ein, er klagte gegen dessen Untätigkeit. Damit sich die zuständigen Stellen in der Regierung endlich mit der Causa Wasserkraftwerk Mittenwald befassen.

Endlich tut sich was.

Erst, wenn sich die Tiroler entschieden haben, können Lichtmeß und seine Mitstreiter das Projekt in der Geisterklamm verwirklichen – sofern sie die Österreicher mit ihrem Plan überzeugen. Viele Jahre schon liegt das Konzept in der Schublade, so nah aber war man dem Ziel noch nie, mit der Leutascher Ache Strom zu erzeugen.

Die Säumnisbeschwerde wirkte, weshalb Lichtmeß sie auch sofort zurückzog. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte. „Endlich tut sich was“, sagt der Energie-Experte, der immerhin schon drei Jahre auf ein Ergebnis wartet. Im Februar 2021 wurde das sogenannte Widerstreitverfahren eröffnet, eine österreichische Eigenheit: Bei zwei Bewerbern bestimmen die Behörden, wer das Projekt vorantreiben darf. Da es sich um ein grenzübergreifendes Kraftwerk handeln wird, müssen auch die österreichischen Regularien eingehalten werden. Wie es ausgeht, wagt Lichtmeß nicht zu prognostizieren. Doch wenn er die Zahlen und Argumente der beiden Konkurrenten vergleicht, „dürfte objektiv gesehen eigentlich nichts schiefgehen. Aber sicher sagen kann man das nie“.

Mitbewerber aus Tirol

Auf der einen Seite stehen die Gemeindewerke als Antragsteller, sie gehören zur Wasserkraftwerk-Leutasch-Mittenwald-GmbH, genauso wie die beiden Gemeinden Mittenwald und Leutasch sowie die Mittenwalder Karwendel, Energie & Wasser-GmbH (KEW), das Kraftwerk Farchant sowie eine Gruppe von Privatleuten.

Beim Mitbewerber handelt es sich Lichtmeß zufolge um einen Leutascher Privatmann, der ein ganz kleines Kraftwerk realisieren will, das im Jahr durchschnittlich 1,05 Gigawattstunden Strom produziert und etwa 420 Haushalte in Leutasch versorgen könnte. Die GmbH hingegen plant Großes, das mit Abstand größte Wasserkraftwerk im Landkreis: eine Anlage, die 11,7 Gigawattstunden Strom im Jahr erzeugt und sowohl Leutasch als auch – zum überwiegenden Teil – Mittenwald Energie liefert. Den Verbrauch von 4680 Durchschnittshaushalten könnte sie decken. Und das bei null CO2-Ausstoß. „Die klimaschutztechnischen Argumente liegen klar bei uns“, sagt Lichtmeß.

Anders verhält es sich womöglich beim Eingriff in die Landschaft. Der private Antragsteller will das alte Tiwag-Kraftwerk in der Geisterklamm an Ort und Stelle neu errichten. Die Gemeindewerke und ihre Mitstreiter würden das Gebäude abreißen und stattdessen ein neues südlich des Wasserfalls bauen, in den Berg hinein. Eine deutlich größere Baumaßnahme also. „Die Frage wird sein: Wiegt dieses Argument höher als der Klimaschutz?“

Die Vorteile müssten bei uns liegen.

Lichtmeß hofft nicht, gibt sich zuversichtlich. „Die Vorteile müssten bei uns liegen.“ Nicht nur, weil er und sein Team über elfmal so viel Ökostrom produzieren würden, sondern im Umkehrschluss auch ein Vielfaches an CO2 vermeiden, argumentiert er.

Bereits 2012 wurde das Konzept zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. 50 Prozent des Mittenwalder Stromverbrauchs sollten nach den Plänen mit der Anlage gedeckt werden. 13 Millionen Euro sollte sie kosten. Das finanzielle Risiko aber erschien den Mittenwaldern zu groß. Im Januar 2020 verabschiedete sich der Marktgemeinderat offiziell und einstimmig von dem Projekt. Die Wende brachte die Wasserkraftwerk-Leutasch-Mittenwald-GmbH Ende 2021. Damit verteilen sich die Kosten – und Risiken – auf die Schultern der sieben Gesellschafter. Jetzt brauchen sie nur noch den Zuschlag. Ein Vorteil des Widerstreitverfahrens: Beide Anträge werden en detail geprüft, wichtige Vorarbeit für weitere Schritte ist damit bereits geleistet.

Danach könnte es schnell gehen. Lichtmeß hofft, bis Juni einen Entschluss aus Österreich und in der Folge noch in diesem Jahr die Genehmigungen aus Tirol und Bayern zu erhalten. Im besten Fall starten die Arbeiten im Herbst. Weitere ein bis zwei Jahre Bauzeit – und das Kraftwerk geht in Betrieb. Die große Unbekannte bleiben, wie immer, die Gegner und ihre Schlagkraft. Normalerweise wehren sich vor allem die Fisch-Schützer gegen ein Wasserkraftwerk. Zu viele Tiere könnten sterben, befürchten sie. In diesem Fall aber werden sie keine Rolle spielen, prophezeit Lichtmeß. „Das Argument hat sich gleich erledigt, es gibt keine in dem Gebirgsbach.“

Doch meldeten sich bereits Kritiker zu Wort, Tourismus-Schützer in diesem Fall. Eine Gruppe hatte Bedenken geäußert, der Wasserfall könnte durch das Ableiten zu unspektakulär daherkommen, zum Rinnsal verkümmern. Und die Geisterklamm damit unattraktiv werden. Lichtmeß teilt die Sorge nicht. Sicherlich werde Wasser aus der Leutascher Ache für das Kraftwerk abgezweigt und entsprechend weniger die Klamm hinunterstürzen. „Doch der Wasserfall bleibt. Und er bleibt berauschend.“ Katharina Bromberger

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