Kubicki warnt: „Eine AfD-Kanzlerin ist uns näher als wir denken“

Themen gab’s natürlich genug mit dem 73-jährigen Politiker zu besprechen: vom Abschied der Liberalen aus dem Bundestag („Einige tun sich extrem schwer“) bis zur letzten Regierung („Wir wollten die Ampel nie“). Aber es ging auch um die Zukunft von Schwarz-Rot („Eine AfD-Kanzlerin ist uns näher als wir denken“) und die drei großen Aufgaben seiner sich erneuernden FDP.

FOCUS online: Herr Kubicki, wie geht es Ihnen?

Wolfgang Kubicki: Altersbereinigt sensationell. Es ist wie beim Golfen: Wenn ich das Handicap abziehe, bin ich großartig.

Sie müssen mitsamt der FPD-Fraktion gerade den Bundestag verlassen. Wie gestaltet sich der Abschied?

Kubicki: Wehmütig.

91 FDP-Abgeordnete suchen gerade den Weg zurück ins echte Leben. Fehlt Ihnen selbst schon die Macht?

Kubicki: Aus dem Alter bin ich raus, wo ich mich darüber definiert habe. Aber es gibt viele jüngere Kollegen in allen Parteien, die da wahrscheinlich Probleme haben. Wenn dann plötzlich die Einladungen und Auftritte fehlen, tun sich doch einige extrem schwer, den vermeintlich tiefen Fall zu verkraften.

Haben Sie den Auszug aus Ihrem Büro schon hinter sich?

Kubicki: Ja, der Auszug aus meinen alten Räumlichkeiten ist inzwischen vollzogen. Als bisheriger Bundestags-Vizepräsident habe ich noch für vier Jahre Anspruch auf ein „Nachlaufbüro“. Da werden meine persönlichen Sachen gerade hingeschafft. Ich behalte meine Telefonnummer und Mailadresse. Das war‘s. Meine Privatwohnung in Berlin gebe ich auf, da ich zukünftig weniger hier sein muss.

„Es wäre unaufrichtig zu sagen, dass man sich da nicht umgewöhnen muss“

Nehmen Sie Ihr Bild von der Windjammerparade in Berlin mit, wo links unten Ihr eigenes Boot, die „Liberty“, mitschwimmt?

Kubicki: Alle Boote, die ich bislang besaß, hießen „Liberty“. Und natürlich nehme ich das Gemälde mit in mein neues Berliner Büro. Es hing hinter meinem Schreibtisch, und da wird es in Zukunft auch wieder hängen. Und ich schaue immer gern mal drauf, weil es mich an die Heimat erinnert, wenn ich in Berlin.

Was ändert sich jetzt in Ihrem Alltag?

Kubicki: Rund 35 Jahre lang hatte ich einen Dienstwagen mit Fahrer. Erst im Kieler Landtag, dann hier in der Hauptstadt. Es wäre unaufrichtig zu sagen, dass man sich da nicht umgewöhnen muss, wenn man irgendwie anders von Kiel zum Hamburger Flughafen kommen muss. Aber ich bin bereit für eine steile Lernkurve.

Würden Sie sich in eine Berliner S-Bahn setzen?

Kubicki: Ja, das würde ich selbstverständlich. Abseits von den Online-Pöblern werde ich im echten Leben ja auch nicht angefeindet.

Das Volk liebt Sie?

Kubicki: So genau kann ich das nicht beurteilen. Aber man beschimpft mich immerhin nicht wie etliche andere. Manchmal höre ich: „Kubicki, Sie sind ein guter Typ, aber die FDP kann man vergessen.“ Das muss man dann hinnehmen.

„Ich selber habe meine Meinung immer frei und offen gesagt“

Auf Ihre Partei kommen wir gleich…

Kubicki: Ich bin immerhin schon 55 Jahre in der FDP…

… und gehören wie vielleicht Thilo Sarrazin, Sahra Wagenknecht oder Boris Palmer zu jener seltenen Polit-Spezies, die man früher respektvoll „Querdenker“ nannte. Gibt’s davon noch welche?

Kubicki: Im Bundestag sehe ich niemanden mehr. Ich selber habe meine Meinung immer frei und offen gesagt. Das hatte auch damit zu tun, dass mich niemand irgendwie bedrohen konnte. Ich hatte ja auch ohne Politik und Partei mein Auskommen. Das stirbt übrigens allmählich aus: Menschen, die schon mit einem beruflichen Background in die Politik kommen. Dabei ist das so wichtig.

Was sollte man als Politiker vermeiden?

Kubicki: Arroganz in jede Richtung. Das kommt ganz schlecht an.

Welche Schimpfworte darf man als Politiker nutzen?
Ich habe immer mal gern den „Spacken“ gebraucht. Das ist plattdeutsch und passt gut zu Menschen, die einem auf die Nerven gehen. Dialekte sind verführerisch. „Du Depp“ zum Beispiel kann im Bayerischen Beleidigung sein, aber auch Anerkennung.

Sie hauen jedenfalls gern mal einen Aufreger raus. Legen Sie sich das zurecht?

Kubicki: Nein, ich kalkuliere sowas nicht. Das kommt spontan bei Auftritten oder in Talkshows.

Und bei Tweets auf X?

Kubicki: Dort liest meine Beiträge immer noch mal jemand gegen, bevor sie online gehen. Einfach, weil auch ich nicht alle Sensibilitäten überblicke, die ich womöglich unbewusst verletzen könnte. Und das würde ja auch der Botschaft nicht helfen.

„Wir wollten die Ampel nie“

War die Ampel ein Fehler für die FDP?

Kubicki: Wir wollten die Ampel nie. Aber die Union sah sich nach ihren starken Verlusten 2021 ja nicht mehr in der Lage, es mit uns zu versuchen. Ich gebe aber auch zu: Bei den Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen hat sich doch so etwas wie ein gemeinsamer Spirit entwickelt. Wir waren überzeugt, gemeinsam einen Aufbruch für Deutschland hinzukriegen. Das klappte dann leider nicht.

Was lief schief, dass vor allem die FDP in dieser Koalition komplett aus der Kurve getragen wurde?

Kubicki: Es sind mehrere Faktoren. Wir gingen mit 11,4 Prozent in die Ampel und kamen mit knapp drei bis vier wieder raus. Unsere Anhänger fremdelten noch mehr als die von Rot und Grün mit der mangelnden Umsetzung der erhofften und ja angekündigten Reformen. Die Leute haben schon ein gutes Gespür dafür, was richtig und was falsch ist.

Dann kam auch noch der ökonomische Abstieg der ganzen Republik …

Kubicki: … und wieder wurde nichts unternommen, um die Entwicklung wirklich abzubremsen. Vor allem die FDP hat da viele enttäuscht. Dann noch dieses unsägliche D-Day-Papier…

… das beweisen sollte, dass die FDP das Ampel-Ende generalstabsmäßig vorbereitet hatte.

Kubicki: Solche Szenarien haben Mitarbeiter in anderen Parteien natürlich auch durchgespielt. Sie haben das nur nicht in so einer albernen Analyse zu Papier gebracht. Wir waren außerdem viel zu verzagt und hätten da in die Offensive gehen müssen. Wer sich nur verteidigt, kann kein Spiel gewinnen. Den letzten Sargnagel haben wir uns dann aber selbst gesetzt.

„Die SPD hat es so gespielt, dass wir als die Schuldigen dastanden“

Inwiefern?

Kubicki: In der hochemotionalen Debatte um das Migrationspaket der CDU haben wir es nicht geschafft, als Fraktion einen gemeinsamen Kurs zu finden. Da ließ ein Viertel der Partei nicht nur Christian Lindner im Regen stehen. Auch die letzten FDP-Sympathisanten fragten sich in dem Moment: Was wollt ihr überhaupt? Das konnte ich verstehen.

Was war Ihr persönlicher Ampel-Tiefpunkt in den vergangenen Jahren?

Kubicki: Der Koalitionsbruch. Aber nur, weil er so spät, zu spät gekommen ist. Wir haben das nicht aktiv genug betrieben und waren dann überrascht, als Olaf Scholz es gezielt eskalieren ließ und damit vor die Welle kam. Die SPD hat es so gespielt, dass wir als die Schuldigen dastanden.

Sie wollten weit früher raus, oder?

Kubicki: Seit Februar 2024 habe ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit erklärt, dass diese Koalition am Ende ist. Spätestens im Sommer, als man sich nicht mehr auf einen Haushalt einigen konnte, hätte es so weit sein müssen.

Und was war Ihr Höhepunkt in der Koalition?

Kubicki: Ich war ja auch Vorsitzender der Bau- und Raumkommission des Bundestags. Da habe ich es geschafft, alle Probleme rund um Baumaßnahmen zu lösen. Selbst von den Grünen wurde ich dafür derart gelobt, dass das fast meiner Karriere hätte schaden können. Aber Spaß beiseite: Als Politiker muss man mit Menschen kommunizieren können. Das habe ich schon als Anwalt gelernt.

„Ich werde beim Parteitag im Mai wieder als stellvertretender Bundesvorsitzender kandidieren“

Was kommt jetzt für die FDP?

Kubicki: Ich werde beim Parteitag im Mai wieder als stellvertretender Bundesvorsitzender kandidieren. Christian Dürr wird sicher zum Parteichef gewählt. Und dann wird man schauen müssen, wer zu dem Team zählt, das die Partei nach innen wie nach außen wieder reanimiert. Dazu wird sicher auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehören.

Die FDP erlebt neuerdings sogar Flügelkämpfe. Ausgerechnet Dürrs niedersächsischer Landesverband hat mehr Ökologie und weniger CDU-Nähe gefordert.

Kubicki: Ich habe das zunächst für Satire gehalten und bin nicht überzeugt, dass damit die Zukunft der FDP zutreffend abgebildet wird.

Wann wird die FDP neu durchstarten?

Kubicki: Wenn alle Fragen geklärt sind. Von der letzten außerparlamentarischen Phase zwischen 2013 und 2017 weiß ich: Das erste Jahr wird komplett grausam. Und es wird nur besser, wenn die nächsten Kommunal- und Landtagswahlen erste Leistungsnachweise der neuen Führung bringen. Die nächste wichtige Wahl für uns ist nächstes Frühjahr in Baden-Württemberg.

Welche Chance hat der Liberalismus in Deutschland noch?

Kubicki: Eine relativ große. Er darf nur nicht versuchen, Volkspartei werden zu wollen.

Also bleibt die FDP Klientelpartei?

Kubicki: Das sind doch Grüne und Sozialdemokraten genauso. Das sind aber letztlich nur Zuschreibungen.

„Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen“

Was ist die künftige Aufgabe Ihrer Partei?

Kubicki: Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen. Wir müssen die Partei sein, die vor allem für individuelle Freiheit steht. Die FDP muss die Verteidigerin der Bürgerrechte, insbesondere auch der Meinungsfreiheit sein. Und wir müssen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft kämpfen. Sonst macht es ja niemand mehr.

Werfen auch Sie Friedrich Merz „Wählerverrat“ vor?

Kubicki: Das Wort ist mir zu groß. Aber wenn sein Vorgehen Strategie gewesen sein sollte, dann ist die nicht aufgegangen. Geschafft hat er eigentlich nur, die FDP unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken. Sein harter Migrationskurs kurz vor der Wahl hat außerdem vor allem der Linken genutzt und der SPD geschadet. Wenn schon der Faschismus bekämpft werden soll, ist die Linke dafür doch in den Augen vieler die authentischste Partei.

Glauben Sie an Schwarz-Rot?

Kubicki: Vor allem der Vertrauensverlust an der CDU/CSU-Basis ist schon sehr groß. Wenn die Umfragewerte für die Union noch weiter runtergehen, kommt es gar nicht mehr darauf an, wie lange die Koalition hält. Dann bekommen wir ein Problem mit unserer Demokratie insgesamt.

Ist uns eine AfD-Kanzlerin namens Alice Weidel näher, als wir denken?

Kubicki: Das fürchte ich, ja. Die überwiegende Mehrheit der Bundesbürger hat zuletzt irgendwie rechts gewählt. Jetzt drohen sie aber eine linke Politik zu bekommen. Das kann dann nicht mehr lange gutgehen.

„Es ist noch viel zu tun in der Partei“

Sie sind jetzt 73. Wollen Sie Ihren Lebensabend mit Ihrer Frau in Ihrer Wohnung auf Malle verbringen?

Kubicki: Das ist unwahrscheinlich, eher werden wir ihn in Strande verbringen…

… an der Ostseeküste, wo Sie seit langem zu Hause sind. Was sagt Ihre Frau überhaupt zu Ihrer persönlichen Transformation?

Kubicki: Sie fordert nun mehr Zeit mit mir ein. Dem kann ich noch nicht immer gerecht werden. Denn es ist doch noch viel zu tun in der Partei, in diversen Organisationen und in meiner Kanzlei. Außerdem schreibe ich gerade ein neues Buch.

Titel?

Kubicki: „Aufwind im freien Fall – eine liberale Kampfansage“

Klingt jedenfalls besser als „Den Bach hoch“ von Robert Habeck.

Kubicki: Meines wird auch eine liebevolle Abrechnung mit den Ampel-Jahren, aber vor allem eine Positionsbestimmung für unser Land und den Liberalismus. Ich habe also noch viel zu tun.

Wonach schmeckt Freiheit?

Kubicki: Nach Lebensfreude. Gott hat die Menschen nicht erschaffen, damit sie depressiv durch die Gegend tapern.