Asyl-Nachzug: Ort muss Familie aufnehmen und will sich juristisch dagegen wehren

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Container für Asylbewerber. In einer ähnlichen Unterkunft lebt der Mann aus dem Jemen. (Beispielfoto) © THOMAS PLETTENBERG

Im Rechtsstreit um den Familiennachzug eines Flüchtlings aus dem Jemen hat die Gemeinde Eichenau vor Gericht einen Dämpfer erlitten. Stand jetzt muss der Ort dessen Frau und zwei Kinder unterzubringen. Eichenaus Bürgermeister will weiterklagen. Er fordert zudem geeignete Aufnahmezentren vom Bund.

Eichenau – Schon vor Jahren hatte Landrat Thomas Karmasin vor den möglichen Dimensionen des so genannten Familiennachzugs gewarnt. Vereinfacht gesagt dürfen anerkannte Flüchtlinge enge Familienmitglieder nach Deutschland holen. Diese gelten dann nicht als Asylbewerber, sondern als Obdachlose und haben damit – je nach Rechtsauffassung – Anspruch auf eine Unterbringung durch die Wohngemeinde des Asylbewerbers.

Tatsächlich sind Gemeinden generell dafür zuständig, Menschen aus ihrem Ort unterzubringen, die kein Dach über dem Kopf haben. Doch sind sie auch für die Angehörigen Geflüchteter zuständig? Nein, findet man im Eichenauer Rathaus. Mit dieser Einstellung landete die Kommune vor dem Verwaltungsgericht München – und verlor prompt.

Jedes Jahr eine Familie

Eichenaus Bürgermeister Peter Münster, der sich in den vergangenen Jahren immer wieder um Familiennachzügler kümmern musste, ist wenig begeistert. Er glaubt, dass solche Fälle in der herrschenden Gesetzgebung nicht ausreichend berücksichtigt worden seien. Natürlich sei der Bedarf nach Unterbringung menschlich nachvollziehbar. Münster findet aber: Wenn der Bund jemanden einlädt, nach Deutschland zu kommen, dann solle auch der Bund gefälligst für eine Wohnung sorgen. Die Gemeinde Eichenau habe zuletzt jedes Jahr eine weitere Flüchtlings-Nachzugsfamilie aufgenommen. Immer sei das zu Lasten der Gemeinde erfolgt. Deshalb habe er dieses Mal den Rechtsweg beschritten.

Die Notlösung

Angesichts der zu erwartenden Dimension des Nachzugs wundere er sich, dass der Bund keine Aufnahmezentren geschaffen habe, so Bürgermeister Münster. „Es ist nicht klar, wie wir im Ballungsraum damit umgehen sollen.“

Die Gemeinde Eichenau hat ein Anwesen mit mehreren Zimmern angemietet. In dem Haus können mehrere Obdachlose unterkommen. Eine richtige Wohnung hat die Frau und ihre zwei Kinder aus dem Jemen damit nicht, eher eine Art unfreiwillige Wohngemeinschaft mit Gemeinschaftsräumen.

Der parteifreie Bürgermeister Peter Münster, der kürzlich aus der FDP ausgetreten ist, hat nun die nächste Instanz angerufen. Er hat Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt.

Das Verfahren

Gegenstand des ersten Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz war der Antrag auf vorübergehende Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft, wie das Verwaltungsgericht München auf Nachfrage erklärt. Es hat mit Beschluss vom 2. Januar 2024 zugunsten der antragstellenden Familienmitglieder aus dem Jemen entschieden. Als Sicherheitsbehörde sei die Gemeinde für die Beseitigung der mit der Obdachlosigkeit einhergehenden Gefahren für Leib und Leben als sachlich und örtlich zuständig erachtet worden, so das Gericht.

Der Ablauf zuvor

Die Familienmitglieder hatten sich nach ihrer Einreise in Deutschland zunächst zu dem in Eichenau lebenden Ehemann und Vater begeben. Sie nächtigten in der dortigen Flüchtlingseinrichtung. Der Mann lebt dort nach seiner Anerkennung als international Schutzberechtigter noch als so genannter Fehlbeleger. Das bedeutet: Sein Asylverfahren ist abgeschlossen, er darf in Deutschland bleiben, müsste aber aus der Flüchtlingsunterkunft eigentlich ausziehen. Weil er jedoch keine Wohnung findet, wird er in der Unterkunft geduldet.

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Die Ehefrau und ihre Kindern seien zum Auszug aus der Unterkunft aufgefordert worden, schildert das Gericht. Damit seien sie auf dem Gebiet der Gemeinde unfreiwillig obdachlos geworden, argumentiert das Verwaltungsgericht.

Weg zur Gemeinde

Die Familie habe sich mit der Bitte um obdachlosenrechtliche Unterbringung an die Gemeinde gewandt, womit diese für die Beseitigung der Obdachlosigkeit zuständig geworden sei, Die Familienmitglieder seien im Rahmen des Familiennachzugs mit Visum und nicht selbst als Asylbewerber eingereist, so das Gericht.

Das Asylverfahren des Ehemannes sei bereits abgeschlossen gewesen. Daher habe es keinen Unterbringungsanspruch auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes und der hierzu erlassenen Ausführungsbestimmungen gegen den Freistaat gegeben. „Damit war auch keine andere Stelle als die Gemeinde vorrangig für die Unterbringung der Familie zuständig“, argumentierte das Verwaltungsgericht München.

75 weitere Nachzüge sind beantragt - Forderung nach Lösung des Problems

Wie viele Nachzüge stehen ins Haus?

Mit Schutzstatus leben derzeit Flüchtlinge vor allem aus der Türkei, Eritrea, Jemen, Afghanistan, Irak, Iran und Pakistan im Landkreis, erklärt das Landratsamt. Aus diesem Personenkreis heraus gingen im Jahr 2023 Anträge von 75 Personen auf Familiennachzug ein, elf davon im November, sechs im Dezember 2023. 75 Mal also könnte sich das Beispiel aus Eichenau demnächst also wiederholen, egal in welcher Gemeinde.

Wer darf jemand nachholen?

Unter die Gruppe der Nachziehenden, die keinen Wohnraum und auch keinen gesicherten Lebensunterhalt nachweisen müssen, fallen Familienangehörige von Asylberechtigten/ Flüchtlingen und so genannte subsidiär Schutzberechtigten. Das sind Menschen, denen im Heimatland Schaden droht. Der Antrag auf Familiennachzug muss binnen dreier Monate nach Anerkennung des Schutzstatus gestellt werden.

Hat das Landratsamt einen Plan, damit umzugehen? Oder bleibt es ein Problem/Phänomen, für das die Gemeinden zuständig sind?

„Es ist Aufgabe des Bundesgesetzgebers, dessen Gesetzgebung einen Verzicht auf den Nachweis geeigneten Wohnraums vorsieht, hier endlich nicht nur eine Zuständigkeitsentscheidung zu treffen, sondern das Problem inhaltlich zu lösen“, antwortet eine Sprecherin des Landratsamts. Sie zieht einen Vergleich: Zumindest im Münchner Ballungsraum sei die Decke schlicht zu kurz. In welche Richtung man sie auch immer ziehe: Entweder würden die Füße frieren, oder die Schultern. Das soll heißen: „Auch wenn man die Zuständigkeit bei den Gemeinden sieht, löst dies das Problem ja nicht, sondern verlagert es nur.“ Denn woher sollten die Gemeinde den Wohnraum bekommen? Außerdem stelle sich die Fragen: „Wie sollen wir - Gemeinden und Kreis, der ja an der Kosten der Unterkunft zu einem Drittel dann beteiligt ist - das finanzieren?“

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