Grüner Spitzenkandidat - Habeck setzt alles auf eine Karte: Doch die „Ich“-Zentrierung kann sich böse rächen

Wenn Robert Habeck ein Kind wäre, müssten wir erst einmal die Stilfragen klären: Robert, wer immer nur „Ich“ sagt, der wird nicht weit kommen. Robert, es heißt nicht „Ich will“, es heißt: „Ich möchte bitte“...

Aber Robert Habeck ist kein Kind mehr, er müsste es eigentlich besser wissen. Oder zumindest besser beraten sein. „Ich will“, steht gleich sieben Mal hintereinander in dem Papier, das Habeck am Mittwoch vorgestellt hat. „Aufbruch statt Rückschritt“ ist das Motto, doch gleich in der Unterzeile macht es deutlich, worum es hier eigentlich geht, ja: um wen.

„Meine grüne Zukunftsagenda für das erste Regierungsjahr.“ Meine, nicht unsere. Robert Habeck steckt in jeder Zeile. Das trotzige „Ich will“ ist genau so gemeint, wie es dasteht. In den letzten zwei Wochen vor der Bundestagswahl setzt der grüne Spitzenkandidat alles auf eine Karte, auf seine Karte: Wer die Grünen wählt, bekommt Robert Habeck. Das soll die Botschaft sein.

Dabei ist das Gegenteil der Fall: Wer die Grünen wählt, der weiß überhaupt nicht, wen er bekommt. Und ob irgendetwas von dem, was Robert Habeck gestern vorgestellt hat, übermorgen noch gilt. Nicht, weil er lügt, sondern weil es in seiner Partei nicht mehrheitsfähig ist.

Habeck: Als Wirtschaftsminister vom Realo zum Super-Realo - nun zum Super-Ober-Realo?

Der Kandidat der Grünen hat sich gewissermaßen von der Basis entkoppelt, mindestens vom linken Flügel, aber auch darüber hinaus wird der Unmut größer. „Wir sind doch nicht das Bündnis Robert Habeck“, raunt es zuweilen.

Als Wirtschaftsminister ist er erst vom Realo zum Super-Realo mutiert und in den vergangenen Wochen vielleicht zum Super-Ober-Realo: 3,5 Prozent Verteidigungsausgaben, eine Begrenzung der irregulären Migration, das sind nicht nur Versuche, sich die (vermutlich einzige) Regierungsoption mit der Union zumindest theoretisch offenzuhalten.

Habeck will die Grünen in die Mitte rücken, im Sinne Winfried Kretschmanns, der in Baden-Württemberg recht erfolgreich regiert, öko-konservativ, das wäre doch was. Ist es nicht das, was der aufgeklärte Bildungsbürger am Stadtrand eigentlich möchte?

Habeck hat es versäumt, seine Erfolge zu vermarkten

Vielleicht. Vielleicht hätte daraus etwas entstehen können. Er ist der Philosoph der Politik, einer, der Menschen umgarnen kann, der Fehler eingesteht, unbedingt anders sein wollte, integrativ, erklärend, sympathisch. Doch die Zeiten stehen schlecht für grüne Kernthemen. Klimaschutz wird als Luxusproblem abgetan.

In Zeiten von Krieg, Trump und Rezession fühlen sich viele auf das Wesentliche zurückgeworfen. Und das liegt eher im Heute als im Morgen.

Habeck hat es versäumt, seine Erfolge zu vermarkten. Dass 60 Prozent der deutschen Energie inzwischen aus Erneuerbaren kommt, zum Beispiel, und dass niemand im Winter 2022 frieren musste. Doch hängen geblieben sind nur die Fehler, das verkorkste Heizungsgesetz, zuweilen seine inhaltliche Schwäche.

Erstaunlich, dass Robert Habeck nun versucht, einen neuen Weg zu beschreiten

Und dann kommt ausgerechnet jenes Thema zurück auf die Agenda, das die Grünen am wenigsten geklärt haben: Migration. Wenn Habeck sagt: Syrer, die nicht arbeiten, müssen zurückkehren, ist der Aufschrei nicht nur bei der Grünen Jugend groß. Dabei ist es eine Position, die in großen Teilen der Gesellschaft inzwischen mehrheitsfähig ist.

Doch mit dem Kopf durch die Wand geht es eben nicht, nicht bei den Grünen und nicht in einer parlamentarischen Demokratie. Das wird auch Friedrich Merz noch erleben. Auch er wird Koalitionspartner brauchen, womöglich sogar zwei. Auch er wird Kompromisse machen müssen, vermutlich auch schmerzhafte. Ein Kanzler regiert nicht per Richtlinienkompetenz am ersten Tag.

Erstaunlich, dass Robert Habeck nun versucht, einen ähnlichen Weg zu beschreiten. Der einen Zehn-Punkte-Plan zur Migration vorstellt, ohne ihn mit der Partei abzustimmen, und sich dann wundert, dass nicht alle diesen Weg mitgehen – er müsste es besser wissen. Es ist kein Thema, das sich in zwei Wochen lösen lässt, schon gar nicht bei den Grünen.

Fast schon angefasst reagierte Habeck am Mittwoch, als eine Journalistin Parallelen zu Donald Trump aufzeigte. Er habe eine Priorisierung des grünen Wahlprogramms vorgenommen, sagte Habeck. Er habe das Programm „in Absprache mit den Kolleginnen und Kollegen“ noch mal komprimiert. Und dann noch folgender Satz: „Ich rede hier als Kandidat der Grünen.“ Als was auch sonst?

Von Anke Myrrhe

Das Original zu diesem Beitrag "Die Grünen und der Wahlkampf: Habecks „Ich“-Zentrierung könnte sich noch rächen" stammt von Tagesspiegel.