FDP-Chef Lindner im Interview - „Was das Land braucht, könnte ich mit einem Gesetz erledigen“
FOCUS: Herr Lindner, am 23. Februar geht es um die Existenz der FDP. Was machen Sie, wenn Sie es nicht in den Bundestag schaffen?
Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Sorgen macht mir ein Land, das keine liberale Partei im Parlament hätte. Das ändert die politische Kultur dauerhaft. Dazu wird es nicht kommen.
Sie ignorieren die Umfragen, die Sie unter fünf Prozent sehen?
Mit Umfragen wird Politik gemacht. Allein die Fehlertoleranz sind drei Prozent. Außerdem sind wir eine Endspurtpartei. Unser Bundesparteitag letzten Sonntag hat uns einen Schub gegeben, weil wir unsere Positionen in der Wirtschaftspolitik geschärft haben. Die deutsche Wirtschaft setzt auf uns. Und der Ausschluss einer Regierungsbildung mit den Grünen ist ebenfalls für viele wichtig. Wer Grün verhindern will, muss FDP wählen.
Sie hoffen unbeirrt, dass sich die Liberalen nach oben schieben?
Sie sprechen nicht mit Olaf Scholz, der 15 Punkte zurückliegt. Bei uns geht es im Zweifel um ein oder zwei Prozentpunkte, die die Republik verändern. 33 oder 31 Prozent bei der Union sind egal, vier oder sechs Prozent bei der FDP führen zu anderen Verhältnissen.
Lindner: Merz „glaubt, dass er die linken Parteien gegeneinander ausspielen kann“
Selbst Friedrich Merz, Ihr Wunschpartner, sagt, jede Stimme für die FDP sei verschenkt: Vier Prozent sind vier Prozent zu viel.
Ob manche Wähler, die zwischen Union und FDP schwanken, dies nicht im Gegenteil so irritiert hat, dass sie uns erst recht wählen? Friedrich Merz spekuliert ja auf eine Situation, in der er zwischen Schwarz-Rot und Schwarz-Grün wählen kann. Dafür hätte er uns gerne aus dem Parlament. Er glaubt irrigerweise, dass er die linken Parteien gegeneinander ausspielen kann. Durch die Polarisierung wird das nicht gelingen. Im Gegenteil, er hat durch seinen Wahlkampf leider Die Linke und die AfD mobilisiert. Im Ergebnis droht bei den Trends in den Umfragen ohne FDP schlimmstenfalls eine Kenia-Koalition , also Schwarz-Rot-Grün. Wenn die FDP im Parlament ist, ändert sich alles: Dann ist Schwarz-Grün ausgeschlossen, dann ist Kenia nicht nötig, und dann ist die Deutschland-Koalition die wahrscheinlichste Variante.
Die Grünen sind der neue Hauptgegner der FDP. Wollen Sie damit Ihre Anhänger auf den letzten Metern mobilisieren?
Ich stelle nüchtern fest, dass wirtschaftliche Stagnation, ideologische Klima- und Energiepolitik, Bevormundung erwachsener Menschen und die Verweigerung einer geordneten Migrationspolitik auf das Konto von Bündnis 90/Die Grünen gehen.
Also keine Koalition mit den Grünen, kein Jamaika-Bündnis?
Nein. Die nächste Regierung muss liefern, damit 2029 nicht ein Endspiel für die Demokratie stattfindet. Das geht mit den Grünen momentan nicht.
Wie glaubhaft sind aus Ihrer Sicht die Versprechen der CDU, nach der Wahl auf keinen Fall mit der AfD zu kooperieren? Die SPD zieht diese stark in Zweifel, Sie auch?
SPD, Grüne und Linke nutzen die Vorlage von Friedrich Merz , um von Wirtschaftskrise und Migrationspolitik abzulenken und über die Brandmauer zu sprechen. 2025 halte ich Schwarz-Blau für ausgeschlossen. In Österreich folgt auf Schwarz-Grün jetzt aber Blau-Schwarz. Das kann man für Deutschland 2029 nicht ausschließen, wenn Friedrich Merz allein mit SPD oder Grünen koalieren muss.
Haben Sie noch Kontakt zum Kanzler seit Ihrem Rauswurf?
Ich habe viele Kontakte in die SPD, aber bei Herrn Scholz weiß ich ja, was er denkt.
Lindner: „Was das Land braucht, könnte ich mit einem Gesetz erledigen“
Mal ganz hypothetisch gedacht, Sie wären Kanzler und die FDP hätte die absolute Mehrheit. Was würden Sie die ersten drei Tage tun?
Was das Land braucht, könnte ich mit einem Gesetz erledigen. Dieses Gesetz baut radikal den Bürokratismus ab, indem es ganze Gesetze aufhebt. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Arbeitszeitgesetz, Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das würde ich einfach alles abschaffen. Und niemand würde es vermissen. Die zweite Maßnahme wäre, den Grundfreibetrag in der Steuer um 1000 Euro zu erhöhen – damit alle mehr Netto vom Brutto haben –, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen und den Tarif der Einkommensteuer ein Stück nach rechts zu verschieben. Und das dritte ist die deutsche Klimapolitik, die würde ich komplett entrümpeln und das deutsche Klimaziel um fünf Jahre auf 2050 nach hinten verschieben. Das Klimaziel 2045 ruiniert uns, ohne dass es der Welt hilft. Damit habe ich zugleich ein 100-Tage-Programm beschrieben.
Beneiden Sie Donald Trump, der im Weißen Haus so durchregieren kann, der Dekret für Dekret unterzeichnet?
Das hat nicht viele praktische Auswirkungen, weil auch in den USA die Legislative die Gesetze macht.
Sie hatten die Brachialreformer Milei und Musk mal als Vorbilder genannt, davon war lange nichts mehr zu hören.
Gut, dass Sie fragen. Die Erfolge der marktwirtschaftlichen Politik von Milei werden immer deutlicher sichtbar. Und Elon Musk ist unverändert einer der erfolgreichsten und innovativsten Unternehmer der Welt. Beide sind in parteipolitischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht allerdings keine guten Ratgeber.
So hart, wie Sie SPD und Grüne angehen, ist Ihre einzige Machtoption eine schwarz-gelbe Koalition – für den unwahrscheinlichen Fall, dass es dazu reicht.
Ja. Schwarz-Gelb wäre die beste Koalition für unser Land. Ausnahmsweise mal eine Koalition der Mitte ohne linke Parteien, was wir in Deutschland seit 1998 eigentlich nicht mehr hatten.
„Frau Merkel antwortete: Ihr werdet mir das Land nicht in Brand stecken“
Außer 2009 bis 2013, wenn wir Sie daran erinnern dürfen. Damals haben Sie an der Seite von Angela Merkel regiert.
Zu dem Zeitpunkt war Frau Merkel schon längst keine Reformpolitikerin mehr , sondern stark durch die Große Koalition geprägt. Ich erinnere mich noch gut, wie wir am Abend der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages 2009 in der NRW-Landesvertretung standen, junge CDU-Politiker und wir FDP-Leute, als Frau Merkel an unseren Tisch kam und einer von uns sagte: Wir freuen uns, dass wir jetzt endlich unsere Reformprojekte umsetzen können. Frau Merkel antwortete: Ihr werdet mir das Land nicht in Brand stecken.
Merkels Ehrgeiz war erlahmt, nachdem sie der Leipziger Reformparteitag 2003 fast die Wahl gekostet hätte.
Ja, das war so. Danach blieb sie im Kopf immer eine GroKo-Politikerin, ehe sie sich über die Flüchtlingskrise dann endgültig zur Grünen entwickelt hat.
Deswegen jetzt Merkels Attacke gegen Friedrich Merz und seine Wende in der Migrationspolitik?
Ja, das ist sicher einer der Gründe, warum sie Friedrich Merz so in die Parade gefahren ist. Das war ein Tritt gegen den Spitzenkandidaten der eigenen Partei, so kurz vor der Wahl, wenngleich man verstehen muss, dass die Mehrheitsbildung mit der AfD nicht trivial ist.
Sie selbst haben mit Merz und der AfD gestimmt, um eine Asylwende herbeizuführen.
Meine Abwägung ist: Wenn eine demokratische Fraktion das Richtige vorschlägt, dann muss man zustimmen können. Sonst hat die AfD Macht über uns. Es gibt andere, die sagen, Gesetze dürfen nicht mit der AfD zustande kommen. Mit der Position steht Frau Merkel in der CDU nicht allein, auch die von Hendrik Wüst und Daniel Günther angeführten Länderregierungen sehen das so. Es gab in der Fraktion der Union und der FDP Abgeordnete, die aus diesen Gründen der Abstimmung ferngeblieben sind.
Wendet sich die FDP von Lindner ab? „Eine Kursdebatte führen wir nicht“
Im Fall der FDP stehen die Abweichler im Verdacht, sich vom Vorsitzenden Lindner abzusetzen und sich für die Zeit danach mit einem neuen Kurs zu empfehlen.
Nein, eine Kursdebatte führen wir nicht. Unser Bundesparteitag als höchstes Organ hat gerade einstimmig unseren Wahlaufruf beschlossen, also Wirtschaftswende, realistische Klimapolitik, geordnete Migrationspolitik und Ausschluss einer Regierungsbildung mit den Grünen. Die FDP hat also ihr liberales, marktwirtschaftliches und bürgerrechtliches Profil geschärft.
Der nach links blinkende Gerhart-Baum-Flügel existiert nur in unserer Fantasie?
Doch, zum Glück gibt es in der FDP unterschiedliche Akzente. Wir sind eine vielfältige Partei mit meinungsstarken Individuen. Die Führungs- und Kursfrage ist aber geklärt. Ist die FDP in der nächsten Regierung dabei, dann garantiert sie eine Wirtschaftswende, eine neue Realpolitik bei der Migration und dass es darum geht, den Menschen mehr Freiheiten zu eröffnen statt immer neue staatliche Fesseln und Belastungen. Wenn es keine bürgerliche Mehrheit gibt, wäre eine Deutschland-Koalition, also Schwarz-Rot-Gelb, immer noch besser als Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.
Was würde es besser machen, wenn Schwarz-Rot sich auch noch die FDP aufhalst? Dann hätten wir wieder eine unerquickliche Dreierkonstellation.
Aber dann würden wir eine andere Union erleben als in einem Zweierbündnis, wo sie sich chamäleonartig dem jeweiligen Partner angleicht. Wenn die CDU allein mit der SPD koaliert, dann verändert sich deren Ausrichtung, weil die CDU-Sozialausschüsse die Chance bekämen, mit dem linken Koalitionspartner gegen den Kanzler über Bande zu spielen.