BUNTE-Interview mit Politiker-Paar - Wagenknecht verrät, welches Lafontaine-Gericht ihr Wahlkampf-Power gibt

Es herrscht ein fast unglaub­licher Gleichklang zwi­schen Sahra Wagenknecht, 55, und Oskar Lafontaine, 81. Mit dem BSW kämpft die Politikerin, die bis zur Gründung ihrer Partei Abgeordnete für „Die Linke“ war, am 23. Februar um den Einzug in den Deutschen Bundestag. Ihr 26 Jahre älterer Partner hält ihr dafür den Rücken frei. Dass beide ihre früheren Parteien im Streit verlassen haben, erscheint weit weg, wenn man sie privat erlebt. Seit dreizehn Jahren leben sie im beschaulichen Merzig im Saarland inmitten von Wäldern und Wiesen, fahren gemeinsam Rad, ge­nießen gutes Essen und feine Weine. 

Seit 2014 sind sie verheiratet, für ihn war es die vierte, für sie die zweite Ehe. Und auch politisch schlagen ihre Her­zen im Gleichklang, für soziale Gerech­tigkeit und Frieden – so sehen es die beiden. Ihre Gegner werfen ihnen vor, mit ihren Positionen Putins Krieg zu rechtfertigen und die Ablehnung von Migranten zu fördern. 

Sahra Wagenknecht: "Kont­rollverlust bei der Migration überwin­den"

Wie haben Sie die letzten zwei poli­tisch heißen Wochen erlebt? Die CDU stimmte mit der AfD für ein „Zu­strombegrenzungsgesetz“, das dann trotzdem im Bundestag scheiterte. 

Wagenknecht: Was mich ärgert, ist, dass nur noch über Nebenfragen dis­kutiert wird: Darf man im Bundestag einem Antrag zustimmen, dem auch die AfD zustimmt? Als ob das unser wichtigstes Problem wäre! Wenn man nicht will, dass die AfD immer stärker wird, muss man die Probleme lösen, die die Menschen belasten. Den Kont­rollverlust bei der Migration überwin­den, verhindern, dass Lebensmittel immer teurer werden, Mieten gesetz­lich deckeln und Wohnungen bauen. Etwas dagegen tun, dass immer mehr alte Menschen in Armut leben. Ich ma­che mir auch Sorgen, wenn eine Partei wie die AfD immer stärker wird, in der es auch Neonazis und Rechtsextremis­ten gibt und die sich als verlängerter Arm von Donald Trump in Deutschland versteht. 

Aber wenn sich jetzt ausge­rechnet SPD und Grüne als große Anti­faschisten inszenieren und in der ersten Reihe „gegen rechts“ demonstrieren, ob­wohl sie es waren, die mit ihrer Politik die Zustimmungswerte der AfD hochge­trieben haben, dann ist das doch heuch­lerisch! Also bei aller Problematik der AfD: In Deutschland steht jetzt sicher nicht die Machtergreifung eines neuen Hitlers bevor. Viel gefährlicher ist, dass um uns herum immer mehr Kriege toben und CDU, SPD, Grüne, FDP und AfD uns in ein neues Wettrüsten treiben. Wir könnten in einen großen Krieg hinein­gezogen werden. Das ist eine Riesenge­fahr, aber darüber redet kaum einer. 

Lafontaine: Früher bedeutete, gegen rechts zu sein, gegen Aufrüstung und gegen Krieg zu sein. Und die Menschen, die gerade täglich Probleme haben, weil die Preise steigen, weil die Renten nicht reichen, was denken die über Politiker, die nur noch über Abstimmungsverhalten diskutieren? Man lässt sich ernsthaft von der AfD diktieren, wie man abstimmen darf? Die Politik der letzten drei Jahre hat die Stimmen für die AfD verdoppelt, das ist der eigentliche Skandal. 

"Wir müssen es schaffen. Deutschland braucht Veränderung"

Wie schätzen Sie die Chancen des BSW ein, in den Bundestag zu kommen? 

Wagenknecht: Nach vier erfolgreichen Wahlen im ersten Jahr unserer kurzen Parteigeschichte ist das jetzt unser wich­tigster und schwerster Wahlkampf. Wir haben weniger Geld, viel weniger Res­sourcen als alle anderen Parteien. Aber wir müssen es schaffen. Deutschland braucht Veränderung. Wenn nach der Wahl alles weitergeht wie bisher, sitzt die AfD 2029 im Kanzleramt. 

Und was, wenn Sie scheitern. 

Wagenknecht: Die Wahl entscheidet über meine politi­sche Zukunft. Wenn man nicht im Bun­destag ist, hat man in Deutschland keine politische Stimme. Aber wir bekommen bei unseren Veranstaltungen so viel Zu­spruch, auch wenn ich auf der Straße unterwegs bin und Leute mich anspre­chen. Die Menschen wünschen sich einen politischen Neubeginn. Wieso hat ein Rentner in Österreich 800 Euro mehr im Monat? 

Übernehmen wir doch einfach deren Rentenmodell! Wieso haben wir das zweitteuerste Gesundheitssystem der Welt, und ein Kassenpatient wird trotz­dem immer schlechter versorgt? Viel­leicht, weil es nicht klug war, unsere Krankenhäuser auf Renditemacherei zu trimmen. Ich bin überzeugt, dass es uns im nächsten Bundestag braucht, auch als eine Gegenkraft. Wir geben denen eine Stimme, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, und wir sind die ein­zige konsequente Friedenspartei. 

Lafontaine serviert "Spaghetti mit seiner einmaligen Tomaten­soße"

Wie anstrengend ist die Zeit des Wahlkampfs für Sie persönlich? Sie hatten 2019 einen Burn-out. 

Wagenknecht: Es ist schon heftig, die Nächte sind kurz, man ist eigentlich nie ausgeschlafen. Aber Oskar unterstützt mich sehr. Wenn ich mal richtig müde und ausgepowert bin, dann denke ich daran, wie er mir noch ganz spät abends einen großen Teller Spaghetti mit seiner einmaligen Tomaten­soße servieren wird. Ich bin aus vollem Herzen in die Politik gegangen, weil ich etwas bewegen will, und habe ja deshalb auch die Partei gegründet. Aber manch­mal hat man das Gefühl, man kämpft gegen Windmühlen, die anderen sind ein­fach mächtiger. Und dann fängt Oskar mich auf und gibt mir meine Kraft zurück. Den Burn-out hatte ich damals, weil die endlosen internen Reibereien in der Lin­ken so frustrierend waren und ich das Gefühl hatte, ich bewege nichts mehr. Jetzt weiß ich, wenn wir in den Bundestag einziehen, werden wir etwas bewegen. 

Wir hatten bei vier Wahlen erstaunlich gute Ergebnisse. Und wir haben dadurch schon etwas verändert in Deutschland, auch die Debatte über Krieg und Frieden. 

Hatten Sie Ängste vor dem Wahl­kampf Ihrer Frau, Herr Lafontaine? 

Lafontaine: Natürlich habe ich ihr gesagt, dass das eine harte Zeit werden wird. Ich kenne ja das politische Geschäft, ich war dreizehnmal Spitzenkandidat für eine Partei. 1990 habe ich als SPD-Kanzler­kandidat ein Messerattentat überlebt. Also ich weiß, wie viel Druck und An­strengung ein Wahlkampf bedeutet. 

Sie hatten 2016 auch schon eine Torte im Gesicht, Frau Wagenknecht.

Wagenknecht: Das war zwar harmlos im Vergleich zu dem, was mein Mann erlebt hat, aber es war schon eine Schrecksekunde, weil man nicht weiß, was da gerade geschieht. Ich brauchte danach eine gewisse Zeit, bis ich wieder nahen Kontakt zu den Men­schen wollte, Selfies gemacht habe. Es zeigt einem, dass man verletzlich ist. Ähn­lich war der Farbanschlag im Sommer im Thüringer Wahlkampf. 

"Hauptsache, wir lieben uns"

Privat können Sie auftanken, sagten Sie. Wie haben Sie Ihren zehnten Hoch­zeitstag am 22. Dezember gefeiert?

Wagenknecht: Da waren wir schön essen. Wir machen da keine riesige Sache daraus, wir haben auch unsere Hochzeit in ganz kleinem Rahmen gefeiert, mit meiner Mutter und engen Freunden. Oskar hat immer gesagt, wozu heiraten, Hauptsache, wir lieben uns. Aber für mich war das wichtig. Oskar versteht es, mir den Rücken freizuhalten und immer wieder kleine Freuden zu ma­chen. Und wenn es ein besonders guter Wein ist, wenn ich abends müde nach Hause komme. Er tut mir unglaublich gut.

Früher wirkten Sie sehr asketisch, haben Sie mit Ihrem Mann gelernt, das Leben mehr zu genießen?

Wagenknecht: Auf jeden Fall. Ich bin aber vor allem, seit ich mit Oskar zusammen bin, zur Ruhe gekommen. Früher war ich immer ein wenig rastlos. Ich mache heute genauso viel, aber ich kann die Balance besser halten. Ich hätte ohne Oskar die Partei vermutlich nicht gegründet, weil ich allein die Kraft nicht gehabt hätte, das alles durchzustehen. Gerade wenn man nach einem Tag, an dem etwas nicht gut ge­laufen ist, man angefeindet wurde, wenn man dann in eine leere Wohnung kommt, und sitzt da allein, das muss doch schreck­lich sein! Ich weiß, ich kann immer nach Hause zurückkommen, egal was passiert, und es wird immer schön sein. 

Wagenknecht: "Habe schlechtere Menschenkenntnis als Oskar"

Was haben Sie voneinander gelernt?

Wagenknecht: Oskar ist ganz anders groß geworden. Ich war immer Einzelgängerin, er ist im In­ternat aufgewachsen und war immer ein Rudelführer. Das habe ich erst lernen müssen. Ich habe überhaupt erst in der politischen Arbeit gelernt, auf andere Menschen zuzugehen. Ich habe sicherlich auch eine schlechtere Menschenkenntnis als Oskar. Das ist beim Parteiaufbau ein Problem, weil wir ja vielen Menschen, die wir nur wenig kannten, wichtige Positio­nen anvertrauen mussten. Wir hatten dabei viele Glücksgriffe, aber in einigen hatten wir uns auch getäuscht. Oskar habe ich, soweit es ging, einbezogen.

Das klingt ja fast zu harmonisch, dabei gelten Sie ja beide in der Öffent­lichkeit als wenig kompromissfähig. 

Wagenknecht: Da wird gern ein Zerrbild gemalt. Wenn ich lese, ich sei autoritär oder würde kom­promisslos meine Linie durchziehen wol­len. So ein Unsinn! Ich habe immer darauf geachtet, keine Jasager um mich zu ver­sammeln, sondern eigenständige Köpfe. Und privat ertrage ich gar keinen Streit, da leide ich furchtbar darunter. Wahr­scheinlich gibt es wenige Paare, die sich so wenig streiten wie wir. Ich sehe manch­mal bei anderen, wie die sich gegenseitig das Leben schwer machen, und frage mich dann immer, wozu. 

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Begegnung?

Wagenknecht: Ja, das war bei einer Pressekonferenz in Berlin. Ich war neugierig auf Oskar, schon mein Großvater fand ihn gut, und auch mich hat er lange fasziniert, auch wenn ich am Anfang skeptisch war, als er in die Partei kam. Wir fühlten uns auf Anhieb zueinander hingezogen und haben uns gleich zum Essen verabredet. Das war die schönste und folgenreichste Pressekon­ferenz, die ich jemals hatte. 

Bunte Cover
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Wie gefällt Ihnen der strenge Look Ihrer Frau? 

Lafontaine: Ich finde, mit ihrer ikonischen Frisur identifiziert man Sahra jetzt in der Öffentlichkeit. Wenn sie privat die Haare offen trägt, wirkt sie weicher und jünger. Aber mir gefällt sie immer.

Haben Sie einen Glücksbringer für den Wahlabend?

Wagenknecht: Oskar ist mein Glücks­bringer. 

Was machen Sie nach der Wahl?

Wagenknecht: Auf jeden Fall Urlaub. Wir radeln gern durch Frankreich, über hundert Kilome­ter am Tag, Oskar auf dem E-Bike. Aber vorher konstituieren wir die erste BSW-Fraktion im Deutschen Bundestag.