Sozialforscher Andreas Herteux erklärt - Das BSW kracht auf vier Prozent: Jetzt zeigen sich Schattenseiten der Wagenknecht-Partei
Es glich einem modernen Märchen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) trat als Partei erst im Januar 2024 ins grelle Licht der politischen Bühne und erreichte aus dem Stand bei den Europawahlen im Juni gut 6,2 Prozent der Stimmen. Nur einige Monate später folgten die Einzüge in die Landtage in Brandenburg (13,5 Prozent), Thüringen (15,8 Prozent) und Sachsen (11,8 Prozent), die in den beiden erstgenannten Bundesländern sogar in eine Regierungsebeteiligung mündeten.
Auch im Bund schienen die Perspektiven glänzend, denn lange Zeit wirkte es so, als wäre der Bundestagseinzug und damit die Fortsetzung der Parlamentsarbeit nur Formsache. Inzwischen fallen die Umfrageergebnisse allerdings, zwei Wochen vor der Wahl ermittelte das „ZDF-Politbarometer“ gerade mal vier Prozent für das BSW.
Die Zahlen haben eine gewisse Schwankungsbreite, und doch genügen sie in der Regel, um Nervosität und Aktionismus zu erzeugen. Aus den Kreisen des BSW werden sogar erste Stimmen laut, die über Manipulationen durch die Institute spekulieren, und generell ist eine wachsende Verunsicherung zu bemerken.
Doch woran liegt es, dass das BSW an Zustimmung verliert? Hierfür erscheinen folgende Gründe ausschlaggebend:
1) Personifizierung der Partei durch Sahra Wagenknecht
In jedem Märchen gibt es in der Regel eine Prinzessin, manchmal auch eine Königin – und das ist beim Bündnis Sahra Wagenknecht nun einmal die Namensgeberin. Sie ist die Personifizierung des BSW.
Ihr Image und ihre mediale Präsenz sind ein wesentlicher Faktor für den bisherigen Erfolg. Die Partei ist Wagenknecht, und Wagenknecht ist die Partei.
Das war in der Etablierungsphase, gerade was den Bekanntheitsgrad betraf, hilfreich, inzwischen zeigen sich aber auch Schattenseiten:
- Kritik an Wagenknechts Positionen: Sahra Wagenknecht steht für ein bestimmtes Weltbild und eine spezifische Prägung. Ihre Äußerungen zu Russland, der Nato und der Globalisierung werden erstmals wirklich im Sinne eines möglichen Gestaltungsweges für das Land ernst genommen, und es stellt sich immer mehr heraus, dass diese insbesondere im Westen Deutschlands nicht mehrheitsfähig sind.
Programm und persönliche Ansichten lassen sich aber nicht klar trennen, und so fällt eine mögliche Skepsis gegenüber der Person immer auch auf die Partei zurück. - Abnutzungseffekt: Überpräsenz führt zur Ermüdung, psychologisch gelegentlich sogar zur Ablehnung – und dies könnte auch beim BSW der Fall sein.
Veränderte Rolle: Während Wagenknecht früher, als faktische Außenseiterin in der Linkspartei, die Rolle als „freies Radikal“ einnehmen konnte, hat sich dies nun gewandelt, und viele Wähler fragen sich, ob sie tatsächlich praktikable Lösungen bieten kann oder nur Protestpotenzial bedient. - Alleinige Projektionsfläche: Im Gegensatz zu anderen Parteien fehlt dem BSW eine erste oder zumindest zweite Reihe von führenden Politikern, die Wagenknecht entlasten könnten. Dadurch bleibt sie die alleinige Projektionsfläche für Zustimmung und Ablehnung. Letztendlich genügt es, wenn politische Gegner sie attackieren, um die gesamte Organisation zu treffen. Das macht Negativkampagnen wesentlich leichter.
2) Unklare inhaltliche und realpolitische Positionierung
Das BSW versucht nicht nur, verschiedene politische Strömungen zu bedienen, sondern sich auch als Anti-Establishment-Partei zu etablieren. Dies führte im Laufe des letzten Jahres zu Verwirrungen und Widersprüchen, die bislang nicht befriedigend genug aufgelöst wurden:
- Die Positionierung als Anti-Establishment-Partei passt nicht zu den Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Thüringen. Gerade die Koalitionen mit den stark kritisierten „Altparteien“ trafen bei bestimmten Milieus auf Kritik.
- Wenig konkrete Konzepte: Viele Forderungen des BSW sind populär, doch es fehlt an ausgearbeiteten Lösungsvorschlägen. Es bleibt häufig blumig, aber zumindest ein Teil der Wählerschaft wird vor einer Wahl in dieser Hinsicht gelegentlich kritischer und schaut genauer hin.
- Russlandfreundliche Tendenzen: Wagenknechts Kritik an den westlichen Sanktionen gegen Russland und ihre ablehnende Haltung zur Nato-Osterweiterung haben insbesondere in Westdeutschland viele potenzielle Wähler abgeschreckt.
- Kopie-Populismus: Das BSW hat faktisch – von der Frontfrau abgesehen – kein politisches Alleinstellungsmerkmal, sondern wirkt inhaltlich wie ein „Best of“ verschiedener populistischer Forderungen.
3) Hierarchische Strukturen und interne Spannungen
Der Aufstieg des BSW erfolgte in sehr hoher Geschwindigkeit. Der Aufbau der internen Parteistrukturen konnte damit nicht Schritt halten und muss nun nachziehen. Dies funktioniert allerdings nicht reibungslos und führt immer mehr zu einer oft wenig schmeichelhaften Außendarstellung. Die Partei wird inzwischen nicht selten als straff hierarchisch strukturiert und zerstritten dargestellt, was auch den potenziellen Wählern nicht verborgen bleibt:
- Strenge Kontrolle der Parteimitglieder: Die Aufnahme neuer Mitglieder erfolgt selektiv, wodurch das Wachstum bewusst gebremst wird. Hier spielen wohl Wagenknechts Erfahrungen mit dem gescheiterten Aufbau der Bewegung „Aufstehen!“ eine zentrale Rolle. Allerdings bremst dies natürlich auch die weitere Etablierung der Partei.
- Spannungen zwischen Gruppen: Bereits bilden sich unterschiedliche Gruppierungen mit abweichenden Zielen und Ideen für die Parteientwicklung. In Hamburg rebellierten Teile der Mitglieder sogar offen, und es gab temporär zwei Landesverbände.
- Künftige Machtkämpfe: Zwar gibt es im Moment einen Burgfrieden bis nach der Wahl, allerdings ist davon auszugehen, dass die Konflikte über die künftige strategische Ausrichtung spätestens nach der Bundestagswahl wieder aufflammen.
4) Finanzielle Probleme als Wachstumsbremse
Das BSW hatte bereits im ersten Jahr der Parteigründung große Erfolge bei Wahlen erzielt. Dies war allerdings auch ein finanzieller Kraftakt, der ohne manche Großspende wohl so nicht möglich gewesen wäre. Die vorgezogene Bundestagswahl ist auch in dieser Hinsicht eine große Herausforderung.
- Verspätete Parteienfinanzierung: Da die dem BSW zustehenden staatlichen Gelder in der Regel erst nach Wahlerfolgen, voraussichtlich im Februar 2025, ausgeschüttet werden, muss die Partei knapper kalkulieren, denn die Mittel werden für den Wahlkampf vermutlich nicht mehr zur Verfügung stehen.
- Teure Wahlkampagnen: Die Erfolge bei den Europawahlen und in Ostdeutschland waren teuer erkauft. Ohne stabile Finanzierungsquellen wird es für das BSW schwerer, die Kampagne für die Bundestagswahl zu führen. Statt der ursprünglich geplanten 6 Millionen Euro für Werbemittel stehen voraussichtlich nur 4 Millionen Euro zur Verfügung, und auch die Großspenden sollen bereits verplant sein. Weniger Mitteleinsatz bedeutet aber häufig auch weniger Wähleransprache – und womöglich auch weniger Stimmen.
5) Wankelmütige Wählerschaft und Unsicherheiten
Wir leben in einer Zeit, in der die Gesellschaft in immer kleinere Lebenswirklichkeiten zerfällt. Das Normale zerrinnt, und Bindungen schwinden. Dies bedingt viele Suchende – also jene Wähler, die einerseits eine neue politische Heimat finden möchten und sich bis dato ausprobieren, sowie andererseits jene, die je nach Situation und Anlass flexibel wählen. Der größte Teil der BSW-Wähler gehört diesen Gruppen an. Eine treue Kernwählerschaft gibt es noch nicht, und das macht die Sache komplex:
- Viele Wähler sind nur temporäre Interessenten: Zahlreiche Anhänger kamen aus Enttäuschung über die Linke oder andere Parteien, sind aber nicht unbedingt langfristig an das BSW gebunden.
- Wechselnde politische Stimmungen: Die politische Lage in Deutschland ist volatil, was bedeutet, dass Protestwähler schnell wieder abwandern können.
Keine klare Regierungsoption: Es ist nahezu ausgeschlossen, dass das BSW eine reale Regierungsoption im Bund haben wird. Das macht die Partei grundsätzlich unattraktiver.
Schwierige Zeiten für das BSW
Das Bündnis Sahra Wagenknecht befindet sich in einer kritischen Phase. Die Personalisierung der Partei, unklare inhaltliche Positionen, interne Spannungen und finanzielle Engpässe tragen dazu bei, dass die Anfangseuphorie verblasst. Dafür gibt es, wie aufgezeigt, mehr als genug Gründe. In dieser Hinsicht bedarf es keiner Spekulationen über manipulierte Umfragewerte, für die es keinerlei Anzeichen oder Belege gibt. Im Grunde genommen weiß das BSW dies auch, und nicht umsonst werden Reformen, wie beispielsweise eine Namensänderung, bereits intern diskutiert. Aber es ist nun einmal Wahlkampfzeit.