Beim Bewegten Donnerstag im Kemptener Stadtmuseum haben sich vier hoch qualifizierte Fachfrauen für Gesundheits- und Krankenpflege auf dem Podium versammelt.
Kempten – Moderiert von Christoph Burandt, der das seniorenpolitische Gesamtkonzept der Stadt Kempten koordiniert, reflektierten Angela Kirsten, Anja Meisch, Resi Steiner und Regina Sigg über das Berufsbild, die Arbeitsbedingungen in der Pflege, die Situation von Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen sowie über neue Wege in Pflegeausbildung und Praxisanleitung.
Die Tatsache, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland von derzeit ca. 6 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 8,2 Millionen, d. h. zehn Prozent der Bevölkerung ansteigen wird, verweist darauf, dass künftig deutlich mehr Pflegefachkräfte gebraucht werden. Erschreckende Tatsache ist auch, dass es in Kempten 808 Plätze in Pflegeheimen gibt, die Auslastung aber nur 65 Prozent beträgt, weil es bereits heute an Fachkräften fehlt.
Einblicke in die Pflegeausbildung
Angelika Kirsten, stellvertretende Schulleiterin der Berufsfachschule für Pflege am Klinikverbund Allgäu, gab Einblick in die Entwicklung der generalistischen Ausbildung, seit drei Berufe (Altenpflege, Krankenpflege, Kinderkrankenpflege) zusammengeführt wurden. Im Jahr 2020 sei so ein neuer Beruf entstanden. Sie erlebt die jungen Auszubildenden als motiviert und will sie befähigen, den Beruf aktiv mitzugestalten und auch langfristig auszuüben. Dazu bietet der Klinikverbund moderne Unterrichtsmethoden, z. B. eine von Azubis geleitete Station, kompetente Praxisanleitung durch dafür freigestellte Pflegefachpersonen und die Entwicklung neuer flexibler Arbeitszeitmodelle. In der Schweiz habe die Aufwertung des Pflegeberufs einen enormen Zulauf ausgelöst.
Für Anja Meisch ist klar, dass sich die gesetzlichen Veränderungen positiv auf die Ausbildungsqualität ausgewirkt haben. Aus ihrer Erfahrung in der ambulanten Pflege und bei der Unterstützung von Angehörigen demenzkranker Menschen empfiehlt sie dringend, sich frühzeitig über Möglichkeiten der häuslichen Versorgung zu informieren, um akute und oft tragische Notsituationen zu vermeiden. Oft sei sie dabei mit ethischen Konflikten konfrontiert, etwa wenn sie bei der Beratung pflegender Angehöriger für möglichst wenig Bevormundung und Fremdbestimmung des demenzbetroffenen Familienmitglieds plädiert.
Ethische Fragen bei der Pflege
Ethikberatung im Gesundheitswesen ist Resi Steiners beruflicher Schwerpunkt. Als Pflegefachfrau, Dozentin für Ethik in der Pflege und stellvertretende Vorsitzende des Ethikkomitees am Klinikverbund Allgäu bietet sie Fallbesprechungen sowie niederschwellige Konzil-Beratung an. Seit zwei Jahren gibt es ein interprofessionell ausgerichtetes Ethik-Café, das gut angenommen wird. Dort kann auf individuelle Patientensituationen eingegangen werden und entstehen oft kreative Lösungen für Konfliktsituationen.
Von geradezu idealen Arbeitsbedingungen im Kemptener Hospiz konnte Regina Sigg erzählen. Hier kann sie sich ausreichend Zeit für die Versorgung der Gäste und für die Praxisanleitung Auszubildender nehmen. Im Hospiz wird palliativ gepflegt und die Selbstbestimmung am Ende des Lebens geachtet. Mit regelmäßiger Supervision sieht sie die Pflegefachkräfte für ihre Arbeit gut aufgestellt. Sigg beklagte jedoch den geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad ihrer Berufsgruppe. Den brauche es aber, um Verbesserungen zu erreichen und damit ein Ausbrennen und Überlastung zu verhindern, was wiederum bewirkt, dass Pflegefachkräfte im Beruf bleiben.
„Mit ‚Schwester‘ anreden?“, Kommentar von Elisabeth Brock
Seit über zwanzig Jahren wird kritisch darüber reflektiert, ob die traditionelle Anrede „Schwester“ noch angemessen ist. Aber ach: Ungeachtet sämtlicher Gegenargumente bin ich der „Krankenschwester“ an diesem Abend noch reichlich oft begegnet. Mich haben die bereits 2003 von Krankenpfleger Reinhard Lay zusammengetragenen Gründe für die Anrede mit „Frau“ plus Nachname längst überzeugt. Denn die Anrede „Schwester“ • führt zu überhöhten Erwartungen, die Pflegende nicht erfüllen können und wollen, • unterstützt die hierarchische Unterordnung der Berufsangehörigen unter andere Berufsgruppen, • deprofessionalisiert die Pflege, • gaukelt eine „heile“ Familienatmosphäre vor, • schafft eine zu große Nähe und verhindert eine professionelle Distanz, • diskriminiert Frauen gegenüber Männern.
Eigentlich gebietet es der Berufsstolz, auf die „Schwester“ zugunsten der Anrede mit „Frau“ und Nachnamen zu verzichten, meint die ehemalige „Krankenschwester“.
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