Lebendige Diskussion über das Seniorenpolitische Gesamtkonzept im Altstadthaus

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Generationsübergreifend für eine menschenwürdige Seniorenpolitik setzen sich Lothar Köster (rechts) und Christoph Burandt ein. © Lajos Fischer

Von den rund 72.000 Einwohnern Kemptens sind etwa 16.000 65 Jahre oder älter, Tendenz steigend. Die Stadt will weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, dass sie möglichst lang ein selbstbestimmtes Leben führen können. Den Leitfaden dafür liefert die Fortschreibung des Seniorenpolitischen Gesamtkonzepts, das der Stadtrat im letzten Jahr verabschiedet hat.

Kempten – Im Rahmen der „Senioren-Akademie“ stellte Christoph Burandt, Koordinator des Konzepts, im Altstadthaus die aktuellen Schritte vor und diskutierte mit vielen interessierten Seniorinnen und Senioren.

„Ich bin nicht befangen, aber involviert“, begann Diskussionsleiter Lothar Köster seine Einführung. Er war für die Entstehung des 2011 erstmalig verabschiedeten Konzepts mitverantwortlich, das 2008 durch einen SPD-Antrag initiiert wurde. „Seniorenpolitik ist keine Pflichtaufgabe der Kommunen“, betonte er. Trotzdem führt die Stadt seit 1977 das Altstadthaus, in dem ausgezeichnete Arbeit geleistet wird, generationsübergreifend und inklusiv.

Cordula Amann leistete Pionierarbeit

Ein wichtiges Ergebnis des ersten Konzepts ist die Einrichtung der Koordinationsstelle, die jetzt von Burandt geleitet wird. Köster lobte die Pionierarbeit und die großen Verdienste von Cordula Amann, die zusätzlich viele Initiativen entwickelte, die Zugang in das Konzept fanden. Dann aber „fühlte sie sich nicht genug wahrgenommen und geschätzt“. Deswegen sei sie gegangen. Burandt erzählte, dass ihn Amann auf die Stelle aufmerksam gemacht habe.

Köster fragte sich, was man 2011 falsch eingeschätzt habe. Man ging davon aus, dass die Stadt 2020 62.000 Einwohner haben werde. Sie dachten, Kempten sei mit Angeboten im Bereich Pflege sehr gut ausgestattet. „Heute trifft die Krise in der Pflege die Stadt heftig“. Das sei der Hauptgrund für die Fortschreibung.

Die Zukunft der Pflege

Das Konzept betrachte er wie ein Hausaufgabenheft für seine Arbeit, erklärte Burandt. Seine Hauptaufgabe liege im Bereich der präventiven Arbeit, damit die Menschen möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben könnten. Weil Pflegeplätze und Fachkräfte fehlten, gebe es für die Pflege zu Hause keine richtige Alternative. Man sollte die „Boomer“, die jetzt in Rente kommen, so lange wie möglich fit halten. Momentan sind in Kempten 3.755 Menschen pflegebedürftig, im Jahr 2040 werden es voraussichtlich 4.200 sein.

Die Fortschreibung des Konzepts geht davon aus, dass 2040 ca. 1.900 Menschen von einer dementiellen Erkrankung betroffen sein werden. Als gelungenes Beispiel für eine gelungene Aktion gegen die Vereinsamung dieser Menschen nannte der Projektkoordinator die Führungen im Zumsteinhaus. Es sei wichtig, die Alltagsbegleitung zu stärken und junge Menschen einzubeziehen. Mit dem Studentenverein Sowiso stehe man kurz davor, dafür eine vertragliche Vereinbarung zu treffen.

Eine weitere große Herausforderung für Burandts Arbeit stelle die finanzielle Lage der Kommune dar. „Was können wir uns noch leisten?“ – Die Fragestellung sei allgegenwärtig und eine Priorisierung der geplanten Maßnahmen dringend geboten.

Senioren und Digitalisierung

Das Thema Digitalisierung – für viele Senioren Fluch und Segen in einem – nahm im Vortrag und in der anschließenden Diskussion einen gewichtigen Platz ein. Es wurde mehrmals betont: Man habe Verständnis dafür, dass sich die Banken, Verwaltungen, Parkhäuser auf digitale Dienstleistungen umstellen. Aber für die ältere Generation ist es wichtig, dass in den nächsten 10-15 Jahren der analoge Zugang erhalten bleibt. Niemand zeigte Verständnis dafür, dass man im Parkhaus in der Kronenstraße, die wegen seiner Nähe zum Altstadthaus von älteren Leuten frequentiert wird, nicht mehr mit Bargeld bezahlen kann. „Warum wird man zehn Meter vor der Einfahrt nicht gewarnt?“, fragte eine Diskutantin. Man wolle umdrehen, aber wegen der Autos hinter einem funktioniere das nicht mehr. Der Prozess der Bezahlung dauere viel länger als mit Bargeld.

Burandt stellte Maßnahmen vor, die älteren Menschen helfen, mit den digitalen Medien besser klarzukommen. Man bietet zahlreiche Kurse an, stellt eine Liste von Gebäuden mit freiem WLAN zusammen, entwickelt einen Pool von jungen ehrenamtlichen Lotsen. Die Gruppe der „Silver Scientists“ (ein Projekt der Hochschule und des Altstadthauses) hat zu dem Thema ein Strategiepapier entwickelt. „Die Alten sollen sich gefälligst um die Digitalisierung kümmern“, empörte sich eine Dame und kritisierte diese Haltung der Gesellschaft. „Wenn wir die Seniorinnen und Senioren bei der Digitalisierung nicht begleiten, werden sie allein hinten runterfallen“, antwortete Burandt. Weder die Gesellschaft noch die Industrie würden auf sie Rücksicht nehmen. Die gesellschaftliche Entwicklung warte nicht, sie gehe voran. Dass die Digitalsprechstunden rege angenommen werden, zeuge von Interesse und Motivation. Bei der Umstellung auf digitale Terminreservierung bei der Stadtverwaltung werde man die Rufnummer 115 weiterhin behalten, dort könne man analog Termine reservieren, beruhigte Burandt die Kritiker.

Man müsse zweigleisig fahren, die analoge Schiene behalten und die digitale den Leuten schmackhaft machen, schlug Dr. Christine Buschbeck vor. Sie wies darauf hin, dass es immer Menschen geben werde, die nicht mehr richtig sehen und sicher in Smartphones tippen könnten und Alternativen bräuchten. Die frühere Stadträtin Erika Schmölzer schilderte am eigenen Beispiel, dass gesellschaftliche Teilhabe noch immer analog funktionieren könne.

Die zentrale Bedeutung der Quartiersarbeit

„Je älter wir werden, desto kleiner werden unsere Bezugsräume“, stellte Köster fest. Deshalb bekommt die Betreuung in den Quartieren eine zunehmende Rolle. In den Stadtteilen gibt es Bürgervertreter, die auf Probleme und Wünsche angesprochen werden können. Das Projekt „Mitmenschen“ will man weiter ausbauen und durch eine Nachbarschaftshilfe-App unterstützen. Man kann auf die Quartiersmanager zugehen, wobei die Stelle in der Eich leider nicht mehr besetzt werde, aus finanziellen Gründen. Elfriede Mischke wies auf den Erfolg von Frühstückstreffs in Kempten-West hin. Burandt erklärte, diese seien insbesondere für Menschen, die lange auf Reisen waren und dann ins Allgäu bzw. nach Kempten ziehen, aber hier über keine sozialen Kontakte verfügen, eine große Hilfe. Es gehe hier um eine große Zahl von Menschen, die ein „Riesenproblem“ darstellen. Darauf forderte eine Besucherin die Schaffung von generationsübergreifenden Begegnungszentren in den Stadtteilen. Mischke berichtete über eine vor kurzem gegründete Gruppe, die versuche, alternative Wohnmodelle für ältere Menschen zu entwickeln.

Das nächste Treffen im März wird sich wahrscheinlich mit den Folgen der Bundestagswahl beschäftigen.

Feste, Konzerte, Ausstellungen: Was man in Kempten und Umgebung unternehmen kann, lesen Sie im Veranstaltungskalender.

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