Vor fünfzig Jahren wurde der erste Ausländerbeirat in Kempten gegründet

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Als „Urgesteine der Integration“ wurden Rudi Goschler (links) und Siegfried Oberdörfer von Ilknur Altan bezeichnet. © Lajos Fischer

Vor fünfzig Jahren, im November 1974 fand die konstituierende Sitzung des ersten Ausländerbeirats in Kempten statt. In einem Festakt in der Schrannenhalle haben frühere und heutige Mitglieder des inzwischen als Integrationsbeirat bezeichneten Gremiums mit Vertretern der Stadtpolitik und der Verwaltung auf die vergangenen fünf Jahrzehnte zurückgeblickt.

Kempten – Der Beirat „war und ist als Sprachrohr wichtig, um Menschen mit keinen oder nur eingeschränkten politischen Beteiligungsmöglichkeiten Gehör in unserer Stadt zu schaffen“, betonte Bürgermeister Klaus Knoll in seinem Grußwort. Seine „Initiativen und Programme haben hier in Kempten dazu beigetragen, Vorurteile abzubauen und den Dialog zu fördern“. Räume seien entstanden, in denen sich Menschen begegnen, austauschen und voneinander lernen könnten. „Integration ist nicht nur eine gesellschaftliche Notwendigkeit, sondern eine Bereicherung für unsere Gesellschaft“, sagte Knoll. Er ging auf die wichtigsten Stationen der letzten fünfzig Jahre ein, die auch ein paar im Saal aufgestellte Schautafeln dokumentierten.

Haus International: „Drehmotor und Angelpunkt des Integrationsgeschehens“

Die aktuelle Vorsitzende des Beirats, Ilknur Altan, hob hervor, dass sich die Integration in den fünf Jahrzehnten stark gewandelt habe, ein beidseitiger Prozess sei und dass die Vielfalt in der Stadt weiter wachsen werde. Philipp Wagner, Leiter des Amtes für Integration, dankte dem Beirat, dass der sich für die Schaffung seiner Stelle eingesetzt habe.

Siegfried Oberdörfer, (2002-2018 Integrationsbeauftragter des Stadtrats, 2009- 2017 Vorsitzender des Integrationsbeirats) erzählte, dass er mit den Problemen der Integration zuerst in Thingers konfrontiert wurde. Als Mitglied ist er schon lange mit dem Verein Haus International verbunden, die Einrichtung bezeichnete er als „Drehmotor und Angelpunkt des Integrationsgeschehens“. Er erzählte, dass seine französische Frau einmal vergessen hatte, ihren Aufenthaltstitel zu verlängern. „Ich machte damals die Erfahrung, wie schnell man als Ausländer zum Straftäter werden kann“, sagte er.

„Neuer Horizont“

„Meine erste Migrationserfahrung machte ich 1978, als ich von Niederbayern nach Kempten zog“, erinnerte sich Rudi Goschler, langjähriger Geschäftsführer des Haus International. Inge Nimz, „ein leuchtender Mensch und Vorbild“, habe ihn in eine Szene eingeführt, die ihm einen Horizont eröffnete, den er in seinem Leben nicht missen wolle. „Sie hatte gute Kontakte nach Bolivien und half den Leuten dort. Dann sagte sie: ‚Wir engagieren uns für Menschen, die weit weg sind, aber es ist auch hier notwendig.‘“ Sie habe Weitsicht gehabt und eine christliche Motivation. „Am Anfang war nichts“, sagte Goschler. Nimz habe die Strategie gehabt, sich mit den Sozialberatern für türkische, kroatische, griechische und italienische „Gastarbeiter“ zu vernetzen. Die Vernetzung sei dann in der Form des Ausländerbeirats institutionalisiert worden. Eine große Rolle gespielt hätten aber die Möglichkeiten für zwischenmenschliche Begegnungen wie Spielenachmittage im Jugendzentrum. Dort engagierte sich als „Zivi“ auch Murat Parlak, der die jetzige Feierstunde musikalisch begleitete. Goschler bezeichnete ihn als „Kosmopoliten“ und erinnerte an das vielfältige Engagement der großen Parlak-Familie in Kempten.

Für Oberdörfer war es ein wichtiges Anliegen, Klaus Hackenberg zu nennen. „Ich war angetan und schwer beeindruckt von seinem Einsatz für Asylbewerber“. Er erinnerte an die Zeiten, als für die Bewohner der Asylunterkunft einmal in der Woche eine qualitativ schlechte Verpflegung aus Stuttgart geliefert wurde. Als es im Beirat um diese Lebensmittelpakete ging, hätte er fünf bis sechs afrikanische Asylbewerber mitgebracht, berichtete Goschler. „Das ist nicht unbedingt auf positive Resonanz gestoßen.“ In der Politik habe man vieles hart erkämpfen müssen. Als Beispiel nannte er die Forderung nach der Abschaffung muttersprachlicher Klassen (in Kempten gab es welche für türkische Kinder in der Suttschule und für italienische in der Lindenbergschule). Als Initiativgruppen bei einer „legendären Sitzung“ im Arbeitsministerium in einer heftigen Auseinandersetzung deren Abschaffung forderten, wurde eingesehen, dass diese integrationsfeindlich seien. „Das Wort Rassismus auszusprechen galt lange als halbes Vergehen.“

Prägend für Oberdörfer waren die Fortführung des Wegweisers für Migranten und die Erstellung des ersten Integrationsmonitorings. Der Beirat habe gegen langen Widerstand die Einführung von Einbürgerungsfeiern durchgesetzt. Verpflichtende interkulturelle Schulungen für die Stadtverwaltung seien auf die Forderung des Gremiums hin eingeführt worden. Er beklagte, dass auch heute nicht alle die gleichen Teilhabechancen hätten und wies auf die Benachteiligung von Migrantenkindern an den Schulen hin.

„Sisyphusarbeit“

Goschler bezeichnete die Integrationsarbeit als „Sisyphusarbeit“. Man rolle einen Stein hoch, dann werde man von der politischen Seite zurückgeworfen. Die Gefahr durch Rassisten in der Politik sei wieder da.

Oberdörfer plädierte für eine Integrationspolitik der kleinen Schritte, auch im Haus International. „Wir brauchen ein neues Konzept, dann kann man über Finanzen reden.“

In der anschließenden Gesprächsrunde mit zwei aktuellen Mitgliedern des Beirates lobte Abed Alshalaby die Arbeit des Beirats, weil dort mehrere Perspektiven zusammenkommen würden. „Wir sind in der Kommunikation gemeinsam gewachsen.“ Er mache sich Sorgen wegen der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung, die alle herausfordere und wünsche, dass möglichst viele für eine anständige Gesellschaft eintreten würden. Sabine Fixmer wies auf Alshalabys Diskriminierungsstudie (wir berichteten) hin und sagte: Endlich haben wir uns mit einem Thema intensiv befasst.“ Sie betonte, wie wichtig Neugier für die Integration sei und meinte: Wenn man etwas Schönes vom Leben mitbekomme, sollte man auch anderen etwas Schönes mitgeben.

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