Klartext vom Krisenkanzler: Scholz warnt bei USA-Reise vor Debakel im Ukraine-Krieg
Olaf Scholz zeigt sich beim Treffen mit Joe Biden unbeeindruckt. Es geht um Deutschland als Co-Führer im Ukraine-Krieg und Scholz ist ungewohnt deutlich.
Washington – Das Kaminfeuer knistert nicht nur, es knallt, es lodert und lärmt. Olaf Scholz beugt sich in seinem Samtsessel nach links, um zu verstehen, was sein Gastgeber etwas undeutlich vor sich hin nuschelt. Die Szene sieht auf den Fotos so viel gemütlicher aus, der weiche blaue Teppich mit dem Präsidentensiegel, die frischen Blumen auf dem Tisch, die einander zugeneigten Staatsmänner. Doch vor Ort im Oval Office ist nichts behaglich, nicht in den vier Minuten, in denen die Presse dabei ist. Denn drei Meter vor Scholz und Joe Biden rangeln in der anderen Hälfte des Raums 40 Journalisten um die besten Bilder, brüllen plötzlich wild durcheinander gleichzeitig ihre Fragen, bis sie vom Secret Service aus dem Büro gedrängt werden.
Stoische Scholz im Oval Office – Bundeskanzler in Washington
Es ist ein surrealer Moment, eine wunderliche US-Inszenierung von Weltpolitik. Am spannendsten ist in diesem Augenblick, genau auf den Kanzler zu schauen. Scholz tut: nichts. Er sitzt nur da, fast reglos, die rechte Hand in die linke gelegt, seine Füße stehen auf dem Teppich. Kein Gestikulieren für die Fotografen. Er sagt einige Sätze in klarem, präzisem Englisch zu Biden, Scholz ist auch über das Kaminknacken hinweg zu verstehen. Und als der Höllenlärm der Journalistenfragen losbricht, lächelt er nur. Nicht genervt, nicht verzückt, eher: zutiefst unbeeindruckt. Still hoffend, dass die Meute bald draußen ist, weil es so sehr viel zu besprechen, zu klären gibt in der Welt.
Der stoische Scholz im Oval Office, es ist das einprägsamste Bild dieser Washington-Reise des Regierungschefs, die weltweit Schlagzeilen macht. Es gibt viele Politiker, die platzen würden vor Stolz in diesem vor Erwartungen überfrachteten Raum, glücksglucksend ob ihrer eigenen Bedeutung. Scholz hofft nur, dass die Äußerlichkeiten schnell vorbei sind. Dass möglichst viel Zeit bleibt unter vier Augen.
Scholz im Gespräch mit Biden – Analysen über den Stand des Ukraine-Kriegs alarmierend
Die Lage ist ja auch ernst. Manche sagen: Es ist einer der schwierigsten Monate der Weltpolitik, nicht nur, aber vor allem wegen des Kriegs in der Ukraine kurz vor dem zweiten Jahrestag des russischen Überfalls. Scholz ist das auf Schritt und Tritt anzumerken auf dieser Reise. Sein Weltbild ist düsterer geworden, seine Analyse des Ukraine-Kriegs alarmiert. Die Angst vor einer Niederlage des angegriffenen Landes ist plötzlich real, weil die Hilfe des Westens stockt, bröckelt. Das vom US-Kongress geblockte 60-Milliarden-Paket für Kiew ist ein enormes Problem, und Scholz ärgert sich zunehmend auch über fehlende Militärhilfe der großen Partner in Europa: Italien, Frankreich, Spanien.

Scholz wird deutlich: „Die Ukraine braucht Unterstützung“
Der Kanzler, sonst ein Meister des vernebelten Floskelns und Ausweichens („schönen Dank für Ihre Frage“), wird für seine Verhältnisse deutlich. „Die Ukraine verteidigt sich mit allem, was sie hat. Sie braucht Unterstützung.“ Mehr. Viel mehr. „Jetzt ist der Moment“, sagt er immer wieder, von Mal zu Mal deutlicher. Er schreibt es auch, er veröffentlicht mit Landung seines Airbus in Washington einen Gastbeitrag im Wall Street Journal: „Raubtiere“ nennt er Putin und seine Artgenossen, ein drastisches Wort. „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um einen Sieg Russlands zu verhindern.“ Wenn nicht, könne man sich bald in einer Welt wiederfinden, die „noch instabiler, bedrohlicher, unberechenbarer ist als während des Kalten Krieges“.
Meine news
Scholz in Washington: Ukraine-Krieg bedeutet Europa im Krieg
Bedrohlicher als der Kalte Krieg, in dem die Welt Zentimeter vor dem dritten Weltkrieg stand? Klarer machte Scholz nie, was er kommen sieht, wenn Putin siegt und schrittweise weitermacht – Belarus, die Ex-Sowjet-Staaten, dann mal das Baltikum. Also: Europa im Krieg. Europa verlassen von den USA, wenn dort ein Trump wieder regieren sollte und wahrmacht, die Hilfen einzustellen, die Nato zu verlassen. Deutschland allein, das macht er immer wieder klar, könne das nie stoppen.
In den nicht mal zwei Tagen in Washington wird überdeutlich: Das ist ein anderer Scholz. Er war der Zauderer zu Beginn dieses Krieges. Er tat genau das, worüber er sich bei einigen europäischen Nachbarn jetzt ärgert: nebulös von Hilfe reden, ein bisschen was liefern an Waffen; so viel, damit die Ukraine nicht sofort krepiert, und so wenig, dass es nicht reicht für Rückeroberungen. Scholz vergaß nie, dass erhebliche Teile seiner Deutschen skeptisch sind bei Waffenlieferungen.
Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg – Deutschland ist zweitgrößter Unterstützer
In Wahrheit hat er sich im Schatten seines Zauder-Images weit bewegt. Doch Panzer geliefert. Doch Flugabwehr, inzwischen die leistungsfähigste Raketenabwehr, die jeden Tag Kiew vor noch blutigeren Angriffen bewahrt. Trotz der zähen Debatten über Kampfjets, über Taurus-Marschflugkörper, ist jetzt Deutschland nach den USA zweitgrößter Ukraine-Unterstützer. „Über 30 Milliarden Dollar“, rechnet er den Amerikanern in ihrer Währung vor, habe „meine Regierung“ an Waffenhilfe geliefert. Er erwähnt, dass seine Ampel soeben das Zwei-Prozent-Ziel, also höhere Verteidigungsausgaben, erreicht hat.
Scholz als Co-Anführer des Westens?
Der Kanzler, der nie ein Klartexter war, ist damit auch in eine Rolle als Co-Anführer des Westens gerutscht. Mit Aussicht, noch wichtiger zu werden, sollte in den USA noch mal Trump die Macht an sich reißen. Das ist eigentlich ein bizarrer Widerspruch zur Lage daheim, zur desolaten Ampel, die innenpolitisch ihrem Ende entgegenwankt. Ein Zucken der FDP, und diese Koalition ist am Ende, mit Scholz im Austragshäuserl statt im Weißen Haus.
Es passt so gar nicht zum weltgewandten Kanzler im Oval Office, der den Amerikanern Rat gibt, wie sie Milliardenpakete durch den Kongress bringen – aber zur Erinnerung: Zu Hause wird er in Stadien ausgepfiffen, wenn sein Name fällt. Je nach Umfrage sagen bis zu 80 Prozent der Bürger, sie seien mit ihm unzufrieden: Heizgesetz, Bürgergeld, Migration, Stichworte als Funken für Bürgerzorn. Seine SPD krebst bundesweit bei 15 Prozent, in weiten Teilen der Republik einstellig, in Bayern knapp noch 6. „Vom Krisenkanzler zur Kanzlerkrise“, titelte die „FAZ“. Seine eigene SPD-Fraktion raunt über Boris Pistorius als vielleicht besseren Kanzler und knöpfte sich im Januar den Kanzler vor, Dutzende kritische, teils wütende Wortmeldungen. Er habe „Führung versprochen“, wo bleibe die?
Die wichtigen Probleme sind Ukraine-Krieg und Nahost
Sie kommt, sehr langsam. In Schüben daheim mit der Wutrede im Bundestag, die Antwort auf Oppositionsführer Friedrich Merz, den er als „Mimose“ mit „Glaskinn“ verspottet. Endlich Kampf und Klartext. Scholz würde dem Land gerne einimpfen, dass jeder mit dem großen Wirtschaftkrisen-Gerede aufhören solle. Seine Deutung ist ja: Es gibt zwar Probleme der Weltkonjunktur und im Inland eine Bau-Blase, aber die große Wirtschaftsangst und die Demos daheim hält er für ein Stimmungstief, nicht für mehr. Tenor: Stellt euch nicht so an, wir haben Vollbeschäftigung und riesige Investitionen. Die echten Probleme sind woanders, sie liegen in der Weltpolitik, es geht um Krieg und Frieden. Doch da folgt ihm noch nicht mal seine eigene Koalition. Seit Wochen versucht er, FDP und Grüne davon abzubringen, schlecht über die Lage und die eigene Regierung zu reden. Erfolglos.
Biden bedankt sich bei Scholz für seine Führung in Europa
Es ist ein seltsames Missverhältnis, und das zeigt sich auch auf dieser Washington-Reise. Die internationalen Politiker schauen respektvoller auf diesen Kanzler. Im Weißen Haus, am Kamin, ist wenigstens ein Satz von Biden klar über das Knistern hinweg zu verstehen: „Thank you for your leadership, Olaf“, danke für die Führung. Es steht auf Bidens Sprechzettel (Scholz braucht übrigens keinen). Und das Gespräch dauert und dauert, mit 105 Minuten am Ende doppelt so lang wie eingeplant.
Doch bei den Wählern daheim ist davon bisher herzlich wenig angekommen, und Scholz tut auch nicht viel dafür. Für einen, der weltweit die Leitentscheidungen für Frieden prägen will, der die Stimmung im eigenen Land drehen muss, um politisch zu überleben, ist er sehr zurückhaltend. Leise. Zu wenige Menschen kriegen mit, dass das ein neuer Scholz sein soll.
Statt Interview, Kaffeepause: Scholz ohne Selbstinszenierung
In Washington wird besonders deutlich, dass ihm die Show und das Inszenieren so zuwider sind. Am Morgen vor seinem Biden-Besuch soll er noch ein paar Sätze in die Kameras sagen. Macht er dann halt, aber stellt sich vor eine Ziegelwand mit vertrockneten Weinreben, im Hintergrund röhrt eine Baustelle. Die Bauarbeiter finden nicht, dass die Schleifmaschine mal fünf Minuten Pause machen könnte. Der Kanzler findet nicht, dass es monumentalere Kulissen geben würde in dieser Stadt.
Noch kurioser am späten Mittag, zu Hause genau Zeit für die Tagesschau, es wäre der perfekte Moment für ein Interview vor Millionenpublikum. Nur ist der Kanzler leider gerade für zwei Stunden verschwunden. Erst hinterher, auf mehrfaches Nachfragen, verrät jemand murmelnd, wo Scholz war: mit seinen engsten Mitarbeitern in einem Buchladen. Stöbern und einen Kaffee trinken. (Chrstian Deutschländer)