Harmonie bei den Schwesterparteien - Söders CSU auf Kuschelkurs mit der CDU: „Bekommt von Merz, was sie will“

Wenn es um die wechselvolle Beziehung der beiden Schwesterparteien CDU und CSU geht, ist Peter Ramsauer ein guter Gesprächspartner. Der 70-Jährige nimmt zum 34. Mal an einer Jahresauftaktklausur der christsozialen Landesgruppe – es ist seine letzte, weil er am 23. Februar nicht mehr für den Bundestag kandidiert. Und er erinnert sich an „kaum eine Stimmungslage, die so gut wäre wie die jetzige“.

Das wird auch Friedrich Merz merken, wenn er an diesem Mittwoch ins Kloster Seeon kommt. Traditionell hatten CDU-Vorsitzende immer einen schweren Stand hier oder davor jahrelang in Wildbad Kreuth, wo die kleine bayerische Schwester einst zusammenkam. Der legendäre „Geist von Kreuth“ – geboren 1976, als die Landesgruppe kurzzeitig die Fraktionsgemeinschaft im Bundestag aufkündigte – steht seither nicht umsonst für die unbequeme Eigenständigkeit der CSU.

Im Jahr 2025 ließe sich eher vom „Kuschelgeist von Kreuth“ sprechen. „Wir freuen uns auf Friedrich Merz“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor dem Besuch des Unionskanzlerkandidaten, mit dem man die Wahl gewinnen wolle: „Wir tragen ihn mit großer Überzeugung, Freude und Leidenschaft.“

Selbst hinter den Kulissen ist es still

Das ist tatsächlich nicht nur so dahergesagt. Selbst hinter den Kulissen ist kaum Kritik an der CDU und ihrer Performance so kurz vor der Wahl zu hören. Wenn überhaupt gibt es den Wunsch, dass Merz Positionen wie zur Ausbürgerung mehrfach straffällig gewordener Doppelpassbesitzer, die bei SPD oder Grünen so schon für Empörung sorgen, noch pointierter und kräftiger vortragen könne.

Selbst der Streit darüber, ob nach der Wahl notfalls mit Grünen koaliert werden darf oder nicht, wird in Seeon als Lappalie abgetan. Soll Merz sich das ruhig offen halten, damit die SPD als alternative Juniorpartnerin nicht zu dreiste Forderungen erhebt, während CSU-Chef Markus Söder parallel jedes Bündnis mit der Partei von Vizekanzler Robert Habeck ausschließt – diese kommunikative Arbeitsteilung ist angeblich genauso abgesprochen, was man glauben kann oder nicht.

Jenseits dieser Meinungsverschiedenheit, mit der die unterschiedlichen Lager im Unionsspektrum bedient werden sollen, hat sich der bei der Kanzlerkandidatur erneut unterlegene bayerische Ministerpräsident tatsächlich noch kein wirklich grobes Foulspiel gegen Merz geleistet. Unterm Strich hält Söder bisher die Zusage ein, den Wahlkampf der Union nicht wie 2021 erneut zu torpedieren. „Das würde ihm auch die eigene Partei nicht durchgehen lassen“, sagt Ramsauer.

Bei aller charakterlicher Unterschiedlichkeit haben Merz und Söder eben doch einen Arbeitsmodus gefunden, der besser funktioniert als in früheren personellen Konstellationen zwischen beiden Schwesterparteien. Noch heute reiben sich manche in der Union verwundert die Augen, dass etwa die K-Frage im Sommer so geräuschlos beantwortet werden konnte.

Sie eint, dass sie beide ganz genau wissen, was Deutschland jetzt braucht.

Dorothee Bär (CSU) über Friedrich Merz und Markus Söder

„Friedrich Merz und Markus Söder begegnen sich auf allen Ebenen auf Augenhöhe“, sagt Dorothee Bär, Stellvertreterin von Merz in der Fraktion in Berlin und von Söder in der CSU, zu den Gründen für die vergleichsweise große Harmonie und dem Willen zur notwendigen Geschlossenheit vor der Wahl: „Sie eint, dass sie beide ganz genau wissen, was Deutschland jetzt braucht.“

Hart in Migrationsfragen, weich in der Wirtschaftspolitik

Wenn es nach der Union geht, ist das vor allem eine sehr viel härtere Hand als bisher in der Migrations- und Sicherheitspolitik und neuer Schwung für die Wirtschaft, ohne die Menschen zu überfordern. Die internen Umfragedaten der CSU zeigen nämlich, dass es eine klare Wechselstimmung im Land gibt, und auch den Wunsch nach dem von der Union beschworenen „Politikwechsel“, die Unterstützung für radikale ökonomische Reformen dagegen überschaubar ausfällt.

So lobt die CSU, die sich schon während Angela Merkels Kanzlerschaft flüchtlingspolitisch im Recht sah und im Nachhinein angesichts der hohen AfD-Umfrageergebnisse erst recht bestätigt sieht, immer wieder die vom Merz vorgenommene Neuausrichtung. Gerade in dieser Frage sei der CDU-Vorsitzende „der CSU sehr, sehr nahe“ und habe „den Kurs der CDU wieder mehr mit dem der CSU vereinigt, als das in den vergangenen Jahre der Fall war“, meint Dobrindt.

Friedrich Merz war bei vielen Entscheidungen, die in der Bevölkerung nicht akzeptiert waren, nicht in der Verantwortung.

CSU-Chef Markus Söder über den neuen Migrationskurs der CDU

Söder selbst hebt in Seeon hervor, was sich aus seiner Sicht verändert hat, nämlich nicht die CSU, sondern deren große Schwester. „Die Union ist nicht die gleiche, die CDU ist eine neue CDU“, so der Münchner Ministerpräsident, der auch die Glaubwürdigkeit des Politik-Comebackers und Kanzlerkandidaten in dieser Frage hervorhebt: „Friedrich Merz war bei vielen Entscheidungen, die in der Bevölkerung nicht akzeptiert waren, nicht in der Verantwortung.“

Eine große Rolle für die von ihm festgestellte „komplette Übereinstimmung“ auf anderen Politikfelder spielt aber auch, dass der einstige Bierdeckelreformer Merz im Laufe der vergangenen Monate und auch im Wahlprogramm auf einige wirtschaftsliberale Maximalforderungen wie etwa die Erhöhung des Renteneintrittsalters verzichtet hat.

Man dürfe, hatte Gitta Connemann von der Mittelstandsvereinigung der Union dem Tagesspiegel trotz allem Erneuerungswillen schon im Oktober gesagt, „die Menschen auch nicht mit der Ankündigung einer Vielzahl von Reformen überfordern und den Mut nehmen“.

Die Zurückhaltung gerade gegenüber der Christlich-Sozialen Union geht in dieser Frage so weit, dass diese in einem eigenen Bayernplan ohne allzu laute Kritik aus der CDU die dritte Stufe der Mütterrente für mehr als drei Milliarden Euro fordern kann. Auch eine höhere Pendlerpauschale gehrt in die Kategorie sozialer Wohltaten, die den Wählerinnen und Wählern die Sorge vor zu großen Veränderungen mit der Union nehmen sollen.

Alexander Dobrindt als wichtiges Bindeglied

Für die soziale Absicherung würde ja auch die SPD als Lieblingskoalitionspartner der CSU sorgen. In Seeon ist zu hören, dass es sogar schon das ein oder andere inoffizielle Gespräch gegeben haben soll. Öffentlich freuen sich die Christsozialen bei ihrer Klausur jedenfalls schon darüber, dass die Sozialdemokraten beim Bürgergeld Reformwillen erkennen lassen. Und Dobrindt setzt darauf, dass in einer möglicherweise halbierten SPD Fraktion „die vernünftige Hälfte“ übrig bleibt.

Mögliche Koalitionskonflikte – auch das hat Dobrindts Truppe siegesgewiss bereits in einem Papier zu ihrer Klausurtagung aufgeschrieben – sollen mit einer vorab neu geregelten Arbeitsweise abgeräumt werden. Das soll verhindern, dass sich der ständige Ampelstreit wiederholt und eine ebenfalls scheiternde Unionsregierung der AfD das Feld für einen Wahlsieg bei der Bundestagswahl 2029 bereitet – mit Blick auf die Ereignisse in Österreich die größte Sorge der Union.

Dieser Punkt zeigt zugleich, welchen Anteil vor allem Dobrindt an der gerade so versöhnlichen Stimmungslage zwischen CDU und CSU hat. Ein starker, alle zwei Wochen tagender Koalitionsausschuss garantiert seinem Parteichef Söder in Berlin viel Mitsprache. An einer funktionierenden Koalition mit geregelter Arbeitsweise ist freilich auch im Interesse eines Bundeskanzlers Merz. Die Vorschläge sollen mit ihm abgesprochen sein – ganz einvernehmlich.

Von Christopher Ziedler

Das Original zu diesem Beitrag "Söders CSU kann mit Merz’ CDU so gut leben wie lange nicht mehr" stammt von Tagesspiegel.