Während Deutschland zögert, gibt Österreich bei Syrer-Abschiebung die Richtung vor

Vor rund sieben Monaten wurde in Syrien das Assad-Regime gestützt. Vor etwas mehr als zwei Monaten reisten dann die damalige deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und ihr österreichischer Amtskollege Gerhard Karner in das ehemalige Bürgerkriegsland, um über die Abschiebung von Straftätern dorthin zu verhandeln. 

In der vergangenen Woche schließlich schickte Österreich den ersten Straftäter zurück nach Syrien – während Abschiebungen aus Deutschland weiter auf sich warten lassen. Warum schafft Österreich, was in Deutschland sowohl die alte Ampel-Regierung als auch die neue schwarz-rote Koalition von Kanzler Friedrich Merz bislang nicht hinbekommen? 

Immer wieder fällt dabei das Argument der Sicherheitslage. Das Land ist zwar Diktator Baschar al-Assad los, doch noch immer kämpfen verbliebene Anhänger des ehemaligen Machthabers, noch immer gibt es Waffengewalt. Diese Lage ist allen Beobachtern bewusst, doch es lassen sich daraus unterschiedliche Schlüsse ziehen.

Österreich hält Abschiebungen nach Syrien für möglich

Die Österreicher haben nach dem Assad-Sturz ein neues Lagebild erstellt. Das dortige Innenministerium leitet daraus ab, die Sicherheitslage stelle sich so dar, "dass entgegen der Situation vor dem 8. Dezember 2024 ein Schutzstatus nicht in jedem Fall zu vergeben ist". Weiter heißt es: "Mit der aktualisierten Länderinformation zu Syrien sind Rückkehrentscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich wieder möglich."

Zwar müsse man im Einzelfall prüfen, was abgeschobenen Syrern drohen könnte. Die Lage in einzelnen Landesteilen sei derzeit "sehr unterschiedlich", es gebe "laufende Änderungen". Dennoch machte Innenminister Karner in einem Interview mit dem "Kurier" klar: "Es muss weitere Abschiebungen geben."

Deutscher Geheimbericht spricht von "extrem volatiler" Lage in Syrien

Auch in Deutschland gibt es einen neuen Bericht zur Lage in Syrien. Das Dokument aus dem Auswärtigen Amt ist zwar als geheim eingestuft, doch der "Spiegel" hat bereits daraus zitiert, auch FOCUS online sind Inhalte bekannt. 

Im Bericht, der sich auf den Zeitraum bis Ende März bezieht, ist von einer "extrem volatilen" und "sehr angespannten" Situation die Rede. Als Grund wird angeführt, dass die neue Regierung von Ahmed al-Scharaa in Wahrheit nur einige Gebiete unter Kontrolle habe.

Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa
Syriens Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa hat nach dem Bürgerkrieg noch nicht die Kontrolle über das ganze Land. Francisco Seco/AP/dpa

Im Papier wird laut "Spiegel" zudem von "willkürlichen Verhaftungen durch syrische Sicherheitskräfte" und möglichen Todesstrafen für manche Straftäter berichtet. 

Ein Problem seien auch die mangelnde Unabhängigkeit vieler Gerichte und die Frage, ob die Regierung tatsächlich ein Folterverbot durchsetzen wird. All das sind Punkte, die abgeschobene Syrer womöglich in Gefahr bringen könnten – und Deutschland bislang zögern lassen.

Selbst in der SPD gibt es Befürworter für Syrien-Abschiebungen 

Gleichwohl lesen nicht alle den Bericht als eindeutiges Votum gegen Abschiebungen. In der Union erklärt man zum Beispiel, dass sich seit Abschluss des Lageberichts die Dinge weiter zum Positiven entwickelt hätten. 

Zudem verweist man auf die große Zahl freiwilliger Rückkehrer, vor allem aus Syriens Nachbarländern. "Mehr als zwei Millionen syrische Geflüchtete und Vertriebene sind seit Dezember wieder zu Hause", erklärte Mitte Juni der Chef des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, Filippo Grandi. 

In der CDU werten manche das als Hinweis darauf, dass die Lage in Syrien so katastrophal nicht mehr sein kann. Diejenigen, die nicht freiwillig zurückkehren, würden vor allem noch wegen der schlechten sozioökonomischen Rahmenbedingungen zögern, weniger wegen der Sicherheitslage.

Auch einzelne prominente Vertreter der SPD bewerten nach Informationen von FOCUS online die Sicherheitslage so, dass Abschiebungen grundsätzlich wieder möglich wären. Jedoch gibt es bei den Sozialdemokraten auch viele Politiker, die skeptisch sind und weiter keine Menschen nach Syrien zurückschicken wollen.

"Rechtlich können alle EU-Länder so handeln wie Österreich"

Neben den jeweiligen Ministerien in Deutschland und Österreich hat sich auch schon ein hohes Gericht mit dem Thema befasst. Der 32-Jährige, der aus Österreich abgeschoben wurde, zog nämlich vorab vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). 

Der verhängte zunächst einen Abschiebestopp, erneuerte den später aber nicht mehr. Die Richter entschieden einstimmig, dass dem Syrer in seiner Heimat kein nicht wiedergutzumachender Schaden drohe.

Das Gericht hat offiziell zwar nur den Einzelfall bewertet. Doch Experten sehen in dem Urteil eine größere Bedeutung. Walter Obwexer, Professor für Europarecht an der Universität Innsbruck, sagte dem ORF: "Daraus lässt sich indirekt ableiten, dass der EGMR ganz allgemein die Situation in Syrien als sicher genug ansieht, um Menschen, die kein Aufenthaltsrecht in der EU haben, zurückzubringen. Damit können rechtlich alle EU-Länder so handeln wie derzeit Österreich."

Erst mehr Entwicklungshilfe, dann Abschiebungen?

In der Union hat man die EGMR-Entscheidung aufmerksam verfolgt. Trotzdem gibt es in der Koalition Skepsis, ob es vor deutschen Gerichten Bestand hätte, würden künftig im großen Stil Syrer abgeschoben werden.

Teil einer Abmachung könnte es werden, dass man zunächst die Entwicklungshilfe für Syrien ausweitet. Dann könnte sich auch die Existenzgrundlage der Menschen vor Ort bilden, menschenrechtliche Bedenken könnte das abmildern. 

Allerdings müsste Deutschland viel Geld in die Hand nehmen, um die Lage spürbar zu verbessern. Denn die amerikanische Entwicklungshilfe-Agentur USAID ist mittlerweile aufgelöst. Aus den USA ist nicht mit Unterstützung zu rechnen.

Mit schneller Abschiebung aus Deutschland ist nicht zu rechnen

Österreich hat mit der Abschiebung nicht nur vor Gericht den Weg für europäische Partner geebnet. Innenminister Karner hat in direkten Gesprächen mit seinem syrischen Amtskollegen Anas Khattab den Grundstein für ein mögliches Rückführungsabkommen gelegt.

"Bei Vorbereitung und Durchführung der aktuellen Abschiebung nach Syrien hat die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Stellen gut funktioniert", heißt es aus dem österreichischen Innenministerium auf Anfrage von FOCUS online. 

Karner würde sich freuen, wenn andere EU-Staaten seinem Beispiel folgen würden. Man sei in enger Abstimmung mit ihnen, der Fokus liege auf der Abschiebung "von Straffälligen und Personen, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen". 

In der deutschen Regierungskoalition geht man allerdings nicht davon aus, dass man kurzfristig Österreichs Vorbild folgen wird, wie zu hören ist. Bis zur ersten Abschiebung könnte es noch dauern. Öffentlich erklärte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) kürzlich im Gespräch mit dem FOCUS: "Mit Syrien gibt es Kontakte zu einer Vereinbarung, um syrische Straftäter zurückzuführen. Die Ergebnisse dazu liegen noch nicht vor."