Melanie Lanzinger aus Walpertskirchen: „Fräulein Wildgrüns“ Gespür für Glück
Melanie Lanzinger (53) aus Walpertskirchen verliert als Jugendliche Bruder und Schwester. Inzwischen hat sie sich neu erfunden.
Walpertskirchen – Den Mut haben, sich neu zu erfinden und dem Glück eine Chance zu geben, das hat Melanie Lanzinger aus Walpertskirchen gewagt. Als Jugendliche wurde die heute 53-Jährige mit traumatischen Schicksalsschlägen konfrontiert. Sie verlor in kurzer Zeit ihre beiden Geschwister. Doch sie hat ihre Trauer ins Leben mit hineingenommen, sich Herausforderungen gestellt, immer wieder neue Entwicklungen in Gang gesetzt und unbekannte Wege beschritten. Beruflich scheute sie nicht vor einschneidenden Neuorientierungen zurück.
Die erfolgreiche Wirtschaftsfrau, die in der Welt zuhause war, kehrte der Liebe wegen 2019 in den Ort ihrer Kindheit nach Walpertskirchen zurück und hat als Kräuterpädagogin ihren eigenen Betrieb „Fräulein Wildgrün“ gegründet. Damit schloss sich für sie ein Kreis, der ihre Liebe zur Natur und ihre Kenntnisse aus der freien Wirtschaft vereinte.
Melanie Lanzinger wurde 1970 in Nordrhein-Westfalen geboren. Die Familie entschied sich, nach Bayern zu ziehen. So lebte die Vierjährige zunächst in Kirchasch und seit ihrem zwölften Lebensjahr in Walpertskirchen. „Ich war ein richtiges Landmädel und immer in der Natur unterwegs“, erzählt sie. Doch nur kurze Zeit später blieb für das junge Mädchen die Welt zum ersten Mal stehen: Die sechs Jahre ältere Schwester Elke starb im Alter von 18 Jahren an Krebs. Nur vier Jahre später erschütterte 1987 ein weiterer Todesfall die Familie: Ihr 15-jähriger Bruder Gerd kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Melanie Lanzinger war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt.

„Beide Geschwister so früh zu verlieren, das prägt das ganze Leben, auch zu sehen, wie die Eltern leiden. Das ist ein tiefer Einschnitt.“ Die fröhliche Familie gab es nicht mehr, das Leben war von Trauer überschattet. Doch irgendwie ging es weiter.
Die seelischen Belastungen machten sich auch in der Schule bemerkbar. Die Jugendliche wechselte vom Gymnasium auf die Realschule, schloss die Mittlere Reife ab und absolvierte in der Walpertskirchener Arztpraxis bei Dr. Stefan Gebhardt eine Ausbildung zur Arzthelferin. Doch ihr eigentliches Interesse fokussierte sich auf ökonomische Zusammenhänge: „Ich bin ein absoluter Wirtschaftsmensch – Marketing und Vertrieb, in dieser Richtung ging es weiter.“ Die junge Frau war in verschiedenen Firmen in München und im nahen Umfeld tätig und erwarb sich wirtschaftliches Know-how.
Das Jahr 1993 markierte wieder einen kompletten Neubeginn. Melanie Lanzinger siedelte mit ihren Eltern nach Florida um. Die Eltern wollten nach dem Verlust ihrer beiden anderen Kinder in eine ganz andere Welt. „Ich war die ,Übriggebliebene‘“, erzählt sie. Aus diesem Bewusstsein sei ein großes Verantwortungsgefühl für die Eltern erwachsen. „Sie waren so traurig.“ In jungen Jahren selbst Trauer und Verlust zu bewältigen und gleichzeitig für die Eltern da zu sein, diese herausfordernden Aufgabe stellte sich für sie.
Ihr Vater hatte in der neuen Heimat ein Geschäft gegründet. Er verkaufte Feriendomizile. Seine Tochter stieg mit ein, sie war für Marketing und den Sales-Bereich zuständig. Schnell lernte die junge Frau fließend Englisch zu sprechen und sich in der amerikanischen Geschäftswelt zurechtzufinden. „Wenn man da arbeitet, lernt man fürs Leben.“ In Amerika gehe es beruflich ganz schnell nach oben, aber auch genauso schnell nach unten: „Es ist eine harte Schule, aber ich habe viel gelernt.“
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Nach fünf Jahren, im Jahr 1998, fällte Melanie Lanzinger eine Berufsentscheidung, die auch privat von großer Tragweite war, weil damit die Loslösung von den Eltern erfolgte. Sie nahm die Stelle als Reservierungsleiterin in einem Hotel in Zell am See in Österreich an. Dort lernte sie ihren ersten Ehemann Michael kennen, der dort als Gast logierte. Das junge Paar zog nach Oesdorf in der Nähe von Paderborn. In dem idyllischen Dorf mit rund 800 Einwohnern richteten sich die beiden häuslich im „wunderschön gelegenen Eigenheim“ ein. 2001 kam Tochter Destiny zur Welt – „unser Wunschkind“. Melanie Lanzinger entschied sich, zuhause zu bleiben, um sich 14 Jahre lang hauptsächlich ihrer Tochter zu widmen: „Das Schönste, was mir widerfahren ist, ist meine Tochter Destiny. Es war sehr schön, dass ich diese Zeit in der Kindheit so intensiv erleben durfte“, sagt sie heute. Inzwischen ist Destiny 22 Jahre alt und absolviert ihr Masterstudium in Psychologie in München.
Den Kontakt zur Arbeitswelt hielt die junge Mutter damals mit Minijobs am Laufen, fertigte Übersetzungen an und blieb mit dem Marketingbereich in Verbindung. Jedoch kam die Ehe zu einem Ende, sodass sie sich 2014 „schweren Herzens“ von ihrem Mann trennte, doch die beiden seien immer noch innig befreundet, betont sie.
Jetzt rückte der Beruf wieder ins Zentrum. die damals 44-Jährige bildete sich zur Wirtschaftsfachwirtin weiter und erhielt schon bald sie ein attraktives Jobangebot. Ihr wurde von der Firma, für die sie immer wieder Texte übersetzt hatte, die Leitung des Vertriebsbüros angeboten. Das Aufgabenfeld erweiterte sich, und sie erhielt die Möglichkeit, in die Unternehmensberatung einzusteigen. In leitender Position war die Wirtschaftsexpertin letztlich zuständig für die Reorganisation von Firmenzukäufen in der Unternehmensgruppe und damit für Vertrieb und Personal. Zu dieser komplexen und verantwortungsvollen Leitungsaufgabe gehörten viele Geschäftsreisen – „ein großer Karriereschritt, hart erkämpft und erarbeitet“, sagt Lanzinger dazu. „Ich war auch stolz, das noch mal so geschafft zu haben.“ Ein Gefühl für Menschen zu haben, sie zu motivieren und gleichzeitig „den monetären Aspekt im Auge zu behalten“, diese Tätigkeit sei für sie der Traumberuf gewesen.

Doch dann stellte die Liebe neue Weichen. Im Dezember 2016 funkte es zwischen ihr und dem Walpertskirchener Hans Lanzinger. Als sie von ihrem Freund aus Jugendtagen zum Geburtstag eingeladen wurde, wurde daraus eine folgenreiche Begegnung: Die beiden verliebten sich ineinander.
Beruf oder Beziehung, das war nun die knifflige Gretchenfrage, da sich beides aufgrund des fordernden Jobs und der Distanz kaum hätte vereinbaren lassen. Sie setzte aufs private Glück: „Es war eine bewusste Entscheidung für die Liebe und für das Wissen, dass man sich immer neu erfinden muss.“
Drei Jahre später zog die Weitgereiste von Norddeutschland nach Walpertskirchen zu ihrem Hans und heiratete ihn. Es sei nicht einfach gewesen, alles zurückzulassen und von Oesdorf wegzugehen – „das Dorf, in dem ich gelebt habe, wo ich sehr glücklich war, viele Freunde hatte und wo meine Tochter aufgewachsen ist“. Sie vermisse immer noch vieles. Es sei keine leichte Entscheidung gewesen, „dorthin zurückzukehren, wo viel Schlimmes passiert ist“. Und mit dem Umzug ging es erneut um die berufliche Selbstfindung: „Ich habe mich ausprobiert.“
Bis 2021 war Melanie Lanzinger in der Verwaltung in Markt Schwaben tätig. Diese Stelle zur regionalen Wirtschaftsförderung habe sie alleine gestaltet. Doch auch andere Ideen nahmen mehr und mehr Gestalt an, zumal ihr neues Zuhause viel Raum für eigene Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Ein Hofcafé oder Hofladen sei eine der vielen Ideen gewesen. Doch dann führte der Weg Melanie Lanzinger dorthin, wo sie schon als Kind am liebsten ihre Zeit verbracht hatte – in die Natur. „Kräuterpädagogin, das wäre was“ – und prompt setzte sie diesen Plan in die Tat um.

Eine Ausbildung in Heilpflanzenkunde folgte. Außerdem erwirbt die Natur-Liebhaberin gerade Kenntnisse in Aromakunde und -therapie. Melanie und Hans Lanzinger bauten den Partyraum in eine Kräuterwerkstatt um, die unter dem Namen „Fräulein Wildgrün“ firmiert (siehe Kasten). Auch ein Lehrgarten mit selbst gezogenen Pflanzen gehört zur Ausstattung. Ab Anfang Juni sollen zudem Einkäufe bei „Fräulein Wildgrün“ möglich sein, um Mitbringsel und Geschenkkörbe rund um die Kräuterkunde zu erwerben.
Melanie Lanzinger möchte zeigen, welche Wunder die Natur bereit hält, welche Heilkräfte und Botschaften in den Wildpflanzen stecken. „Ich habe meine Bestimmung in der Natur gefunden und möchte das weitervermitteln, auch achtsam zu sein für das, was die Welt einem schenkt.“
Ihr ist es zudem ein Anliegen, den Zusammenhalt in der Gesellschaft mehr zu leben und der älteren Generation zuzuhören. Deshalb engagiert sie sich in der Seniorenarbeit. Privat heißt es für sie, jetzt neue Wurzeln zu schlagen. „Ich versuche langsam, aber sicher anzukommen, auch in der neuen Liebe zu Hans und in all dem, was wir uns so spät aufgebaut haben. Die Kinder meines Mannes sind mir ans Herz gewachsen. Es ist schön, eine neue Familie dazu zu bekommen.“
Serie „Mein Leben“
Viele Menschen blicken auf spannende Leben mit Brüchen, Schicksalsschlägen, Erfolgen oder positiven Wendungen zurück. In der Serie „Mein Leben“ stellen wir sie in loser Reihe vor. Kennen Sie jemanden, der (s)eine Geschichte zu erzählen hat? Dann wenden Sie sich per E-Mail an redaktion@erdinger-anzeiger.de oder rufen Sie unter Tel. (0 81 22) 412-134 an.
Kräuterwerkstatt
„Überall sprießen Kräuter, die uns in bunter Vielfalt durch die Jahreszeiten begleiten und unseren Alltag bereichern. Die Natur steckt voller Wunder. Sie beschenkt uns mit Wildpflanzen, die nicht nur kulinarisch begeistern, sondern auch mit ihren Heilkräften und Botschaften unser ‚grünes’ Bewusstsein wecken“, schreibt Kräuterpädagogin Melanie Lanzinger auf ihrer Homepage. Sie bietet in ihrer Kräuterwerkstatt „Fräulein Wildgrün“ in Walpertskirchen für Privatleute, Firmen, Schulen, Kindergärten und Senioren Workshops und Aktionen an. Ob Kräuterspaziergänge, gemeinsames Kochen, Neues aus der Naturapotheke oder Aromatherapie, das Angebotsspektrum ist breit gefächert. Ihre grundsätzliche Botschaft skizziert Lanzinger mit einem Goethe-Zitat: „Wenn die Natur dich unterweist, dann geht die Seelenkraft dir auf.“ Weitere Informationen stehen im Internet auf www.fraeulein-wildgruen.de.
vev