Klingbeil will die Steuern erhöhen - doch das bringt fast nichts

Lars Klingbeil (SPD) weiß, dass die Spar-Debatten nicht aufhören werden. Um den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr 2026 fertigstellen zu können, sagte die Koalition bereits unter anderem die Senkung der Stromsteuer ab. Eines der wenigen Wahlkampfversprechen, das alle im Bundestag vertretenen Parteien gegeben hatten, fiel durch, weil der Bundesrepublik das Geld fehlt. Entsprechend ernüchtert reagierte die Öffentlichkeit

Nun wird klar: Auch 2027 wird wieder viel Geld fehlen. Rund 30 Milliarden Euro sollen es laut übereinstimmenden Berichten sein. Damit erwartet Deutschland also die nächste unbequeme Debatte, wer die Kosten einer alternden Gesellschaft mit Jahrhundertprojekten von Aufrüstung bis Sanierung der Infrastruktur tragen soll. Bei wem soll die Politik sparen? Von wem mehr einnehmen?

Klingbeil hat diese Diskussion selbst angestoßen. Er fordert Steuererhöhungen. Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen sollten mehr beitragen, sagte der SPD-Chef und Vizekanzler Mitte August im ZDF. Details nannte er nicht. Doch ein Blick auf die Steuereinnahmen zeigt: Steuererhöhungen können die Finanzprobleme der Bundesrepublik kaum lösen. Mit einer unbequemen Ausnahme.

Diese Varianten stehen zur Wahl:

Ansatz 1: Einkommensmillionäre stärker besteuern

In dieser Woche sagte der SPD-Vize Alexander Schweitzer im Tagesspiegel: Multimillionäre und Milliardäre "stärker zu fordern, sollte politischer Konsens sein, auch zwischen SPD und CDU/CSU". 

Doch Klingbeils Finanzlücke schließt dieser Vorschlag kaum:

  • Das Statistische Bundesamt zählt knapp 35.000 Steuerpflichtige mit mindestens einer Million Euro Jahresverdienst.
  • Wichtig dabei: Gemeinsam veranlagte Ehepaare zählen als ein Steuerpflichtiger. Verdienen beide Partner je 500.000 Euro, zählen sie also als ein Steuerpflichtiger mit insgesamt einer Million Euro Einkommen. Diese Gruppe entspricht der wohl weitestmöglichen Definition "Superreicher".
  • Diese Bürger machen gerade mal 0,1 Prozent aller Steuerpflichtigen aus, tragen aber mit rund 35 Milliarden Euro Steuern knapp zehn Prozent des Gesamtaufkommens bei. Oder so viel, wie Klingbeils Haushaltsloch groß ist.
  • Um die Lücke im Haushalt 2027 zu schließen, müsste die Bundesregierung die Steuerbelastung dieser Gruppe verdoppeln. Dann aber würde ihr Steuersatz auf mehr als 70 Prozent steigen. Das könnte einige aus dem Land vertreiben - wodurch die Einnahmen wieder sinken.

Derart drastische Steigerungen fordert derzeit auch kein Politiker. Die im Raum stehenden Anhebungen - meist einige Prozentpunkte - schließen daher bestenfalls einen kleinen Teil der Finanzlücke

Ansatz 2: Steuerschlupflöcher schließen

Häufig wird die Annahme geäußert, vermögende Menschen nutzen besonders intensiv Steuerschlupflöcher und zahlten deshalb zu wenig Steuern. Die Statistik zeigt: Steuerpflichtige mit einem Verdienst von über einer Million Euro führen im Durchschnitt 36 Prozent ihres Einkommens als Einkommenssteuer an das Finanzamt ab. 

Das ist deutlich mehr als bei Normalverdienern: Die zahlen im Mittel nur zehn bis 20 Prozent ihres Gehalts an Einkommenssteuer. 

Offensichtlich drücken sich Einkommensmillionäre und andere Gutverdiener grundsätzlich also nicht deutlich mehr vor der Steuer als alle anderen; auch wenn es Ausnahmen geben mag. 

Natürlich kann die Politik einige Steuerschlupflöcher schließen. Vermögende Menschen halten ihre Vermögen oft in Firmen, Stiftungen und Holdings. Gewinne zählen dann als Einkommen der Firma, nicht der Person. Hier könnte der Staat ansetzen. Die oben genannten Zahlen legen aber nahe: Klingbeils Milliarden-Haushaltsloch könnten auch diese Maßnahmen bestenfalls verkleinern, nicht schließen.

Ansatz 3: Spitzensteuersatz erhöhen

Immer wieder ins Spiel gebracht wird eine Anhebung des Spitzensteuersatzes oder der sogenannten „Reichensteuer“. Heute liegt der Spitzensteuersatz bei 42 Prozent. Ab einem zu versteuernden Einkommen von 277.836 Euro greift die Reichensteuer von 45 Prozent.

Eine Erhöhung um drei Prozentpunkte bringt laut Berechnungen des Finanzministeriums kurzfristig Mehreinnahmen von drei bis 13 Milliarden Euro – abhängig davon, ob nur die Reichensteuer oder auch der Spitzensteuersatz angehoben wird. 

Doch die Summen täuschen: 

  • Bund, Länder und Kommunen teilen sich die Mehreinnahmen. Für keinen bleibt genug, um alle Probleme zu lösen.
  • Der Effekt schwindet rasch. Studien des Ifo-Instituts und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen, dass die Steuerbasis in den Folgejahren schrumpft, weil Unternehmen und Topverdiener ihre Steuerlast anpassen. Unter dem Strich bleiben nur ein paar Milliarden Euro mehr – zu wenig, um das 30-Milliarden-Loch im Bundeshaushalt dauerhaft zu schließen.

Hinzu kommt: Früher lag der Spitzensteuersatz zwar höher, wie Klingbeil betont. Er traf aber weniger Menschen: 1965 zahlten die Deutschen erst den Spitzensteuersatz, wenn sie brutto das 15-fache des Durchschnittseinkommens verdienten, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) errechnet. Im Laufe der Jahre ist dieser Wert gesunken. Heute zahlen die Deutschen schon den Spitzensteuersatz, wenn sie lediglich das 1,3-fache des Durchschnittseinkommens verdienen.

Dass Politiker dieser großen Wählergruppe die Steuern erhöhen wollen, erscheint unwahrscheinlich. Zumal in großen Städten das 1,3-fache Durchschnittseinkommen kaum zu einem ausschweifenden Lebensstil reicht. Viel Risiko, wenig Nutzen also.

4. Vermögenssteuer wiedereinführen

In ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 forderte die SPD eine Vermögenssteuer: zwei Prozent Steuern auf Vermögen ab 100 Millionen Euro. 

Rund neun Milliarden Euro brächte diese Steuer im Jahr ein, hat das DIW errechnet – allerdings ausschließlich den Ländern, nicht dem Bund. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer brächte höchstens drei bis vier Milliarden Euro zusätzlich.

Auch Steuern auf Vermögen lindern Klingbeils Finanzproblem allenfalls. Lösen können sie es nicht.

5. Mehrwertsteuer

Können die Gutverdiener das Problem nicht allein schultern, müsste eine breitere Lösung für alle her. Bert Rürup, SPD-Ökonom und Präsident das Handelsblatt Research Institute, bringt hier die Mehrwertsteuer ins Spiel

In Deutschland liegt die Mehrwertsteuer mit 19 Prozent (ermäßigt sieben Prozent) unter dem EU-Durchschnitt von 22 Prozent. Eine Anhebung schade der Wirtschaft weniger als höhere Einkommensteuern, argumentiert Rürup: Der Standortwettbewerb hänge nicht an Verbrauchssteuern. Ausweichreaktionen wie Kapitalflucht seien kaum möglich.

Ein Prozentpunkt mehr beim Regelsteuersatz brächten dem Staat laut Finanzministerium rund 16 Milliarden Euro Zusatzeinnahmen. Etwas mehr als die Hälfte davon ginge an den Bund, der Rest größtenteils an die Länder. 

Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Punkte auf 22 Prozent könnte das Haushaltsloch also stopfen – allerdings um den Preis höherer Lebenshaltungskosten für alle. Zwar gelten für Grundnahrungsmittel, Bücher und Nahverkehr reduzierte Sätze. Strom, Gas und viele Alltagsgüter würden aber sofort teurer. Eine unbeliebte Maßnahme, die Klingbeils Problem aber lösen würde. 

Am Ende helfen nur mehr Arbeiter

Dem Finanzminister, der Regierung um Kanzler Friedrich Merz (CDU) und der gesamten Bundesrepublik bleiben also drei Optionen, um die Lücke im Bundeshaushalt kurzfristig zu stopfen:

  1. Mehrwertsteuer deutlich anheben.
  2. Renten und andere Sozialleistungen drastisch kürzen, wie es Berater von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) fordern.Denn dann kann der Bundeszuschuss an die Rentenkasse sinken.
  3. Eine Mischung dieser Optionen, womöglich ergänzt um höhere Einkommenssteuersätze und eine Vermögenssteuer.

Langfristig lösen selbst diese Ansätze das Problem jedoch nicht. Bis 2036 gehen fast 20 Millionen Babyboomer in Rente. Für den Bund heißt das: mehr Kosten, weniger Einnahmen. Boomt nicht überraschend die Wirtschaft, drohen Deutschland dann also weitere Haushaltsdebatten. Daran ist keine Regierung schuld, sondern die Überalterung.  

Will Deutschland nicht jedes Jahr höhere Steuern und Sozialleistungen mit niedrigeren Renten abwägen, muss es das grundlegende Problem lösen: Das Land braucht mehr arbeitende Menschen. Verteilen wir die Last auf mehr Schultern, muss jeder Einzelne weniger tragen. Das Land braucht also mehr Kinder, mehr Migration, weniger Teilzeit, mehr Produktivität oder, wahrscheinlich, alles zusammen.

Solange die Zahl der Rentner aber weiter schneller wächst als die Zahl der Angestellten, verändern sich die Zahlen geringfügig. Das Grundproblem bleibt. Und damit auch stimmungsbelastende Diskussionen, wer auf wie viel verzichten soll. Mehr Wohnungen und bessere Bedingungen für Familien helfen also auch, die Steuern niedrig zu halten.