Miese Werte und Machtverlust - Am Rand der Selbstzerstörung steht die FDP jetzt vor großem Wähler-Dilemma
Wird jetzt alles wieder gut? So mancher in der FDP hofft, dass der Jahreswechsel die Querelen um Ampel-Aus und D-Day-Papier vergessen gemacht haben, dass sich die Wähler nun unvoreingenommen auf Programm und Wahlkampf der Liberalen einlassen und die Partei in den Umfragen zulegt.
Der Auftakt für diese erhoffte neue Zeitrechnung: die traditionelle Dreikönigskundgebung am Montag. Ist das realistisch?
„Opposition in der Regierung sowie D-Day-Szenarien haben sie an den Rand der Selbstzerstörung gebracht“, glaubt Wolfgang Schroeder, der an der Universität Kassel das politische System der Bundesrepublik lehrt.
„Befreien will ihr Vorsitzender sie aus dieser Lage durch eine neue disruptive Politik – ein ‚bisschen‘ Milei und Musk.“ Dabei sei das eine die Hoffnung, erfolgreich im Lager der AfD zu fischen, das andere der Widerstand der eigenen Basis dagegen.
„Die FDP bleibt weiter mit sich im Unreinen“, so Schroeder, „macht sich vielleicht sogar überflüssig; kann aber durchaus in den Bundestag einziehen.“ Der Politikwissenschaftler kommentiert: „So bleibt die FDP weiterhin die postmoderne, paradoxe Verkörperung gegenwärtiger Verhältnisse.“
Auch Emanuel Richter, der an der RWTH Aachen zu politischen Systemen forscht, sieht die FDP in einer „existenziellen Krise“: „Schon seit Längerem leidet ihre programmatische Glaubwürdigkeit.“ Angesichts wirtschaftlicher, finanzpolitischer, sicherheitspolitischer und sozialer Krisen fordere die Bevölkerung einen beherzteren Wohlfahrtsstaat und mehr staatliche Eingriffe – nicht weniger, wie es der FDP-Liberalismus vorsehe.
„Dann gibt es ein personelles Problem“, so Richter: „Immer schon beherrschte ein kleiner Kreis des Führungspersonals die Partei, insbesondere der Parteivorsitzende.“ Diese Personalisierung werde zum Risiko, denn Christian Lindner genieße nur ein mäßiges Ansehen in der Öffentlichkeit.
„Schließlich führt die innerparteiliche Hierarchie zum kommunikativen Debakel und Vertrauensverlust, wenn ein bedeutendes Strategiepapier unglaubwürdigerweise zum ‚Praktikanten-Papierchen‘ herabgestuft wird“, erklärt Richter.
„Um bei der kommenden Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, müsste die FDP also von ihrer Regulierungsfeindlichkeit abrücken, und ihr Führungspersonal müsste mit mehr kommunikativer Glaubwürdigkeit an die Öffentlichkeit treten.“
Einen Lichtblick sieht Oliver Lembcke, Demokratieforscher an der Ruhr-Universität Bochum, in der „Schwäche der anderen Parteien“: „Diese haben ebenso Probleme mit ihrem Personal. Nur ist der Eindruck, Lindner sei alternativlos, nach dem D-Day-Desaster eine besondere Bürde.“
Die Themenverschiebung durch Magdeburg offenbare zudem die programmatische Verengung, an der die Partei schon lange leide. „Auch deswegen hat sie im Osten kein Standing mehr.“ Entscheidend für das Abschneiden werde das Zutrauen sein: „Macht die FDP noch einen Unterschied? Der Veränderungswunsch ist in Teilen der Wählerschaft spürbar“, glaubt Lembcke.
„Ob die Liberalen trotz magerer Ampel-Bilanz diese auch erfolgreich ansprechen können, bleibt abzuwarten. Und sie müssen alsbald aus der Todeszone in den Umfragen herauskommen, andernfalls bekommen sie zusätzlich das Problem der ‚verschenkten Stimme‘.“
Forsa-Chef Manfred Güllner ist noch skeptischer: Die Entscheidung der Partei gegen Jamaika und für die Ampel 2017 habe nicht den Erwartungen ihrer mittelständischen Wähler entsprochen. „Nur noch ein Viertel ihrer einstigen Unterstützer wollen sie 2025 wegen ihrer Enttäuschung wieder wählen“, so Güllner.
Fast zwei Fünftel seien zur Union, mehr als ein Drittel zur AfD oder ins Lager der Nichtwähler gewandert. „Selbst wenn die FDP im Februar den Einzug in den Bundestag wieder schaffen würde, würde sie zum Regieren nicht mehr gebraucht. Da sie zudem nur noch Lindner, aber kein sonstiges überzeugendes Personal mehr anbietet, dürfte sie somit in der Bedeutungslosigkeit versinken“, so Güllner.
Von Stefanie Witte
Das Original zu diesem Beitrag "Miese Werte und Machtverlust: Kann die FDP das Ruder noch herumreißen?" stammt von Tagesspiegel.