Der Ernst des Lebens beginnt für Jennifer "Jenny" Gotta früher als für andere Kinder: Noch vor ihrer Einschulung erhält sie die Diagnose Osteosarkom, ein bösartiger Knochentumor, im rechten Knie. Einer der Ärzte, die sie damals an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Frankfurt behandeln, informiert die geschockten Eltern darüber, dass die Überlebenschance ihrer Tochter höchstens zehn Prozent beträgt.
"Osteosarkome sind selten, gehören im Kindes- und Jugendalter aber zu den häufigsten bösartigen Knochentumoren", erklärt Thomas Lehrnbecher, der heute den Schwerpunkt Onkologie, Hämatologie und Hämostaseologie an jener Kinderklinik leitet – auch er kennt Jenny Gotta seit ihrem Behandlungsbeginn 2003. "Die Tumoren entstehen durch entartete Knochenzellen, sind hochaggressiv und breiten sich über die Blutbahn aus. Bei Jenny fanden wir bereits Metastasen in der Lunge – ein klassischer Verlauf."
Nach der Erholung direkt ein zweiter Knochentumor
Es folgt ein jahrelanger Überlebenskampf: zahlreiche Operationen, intensive Chemotherapien, zwei Rückfälle mit neuen Metastasen in der Lunge – und schließlich die Amputation des rechten Beins. Erst 2007 kommt die erlösende Nachricht: tumorfrei. Doch die Erleichterung währt nicht lange.
Zwei Jahre später tritt ein höchst seltener Fall ein: In Gottas linkem Oberschenkel wird ein weiteres Osteosarkom entdeckt. Die kräftezehrende Prozedur aus Operationen und Chemotherapien beginnt von vorn. Über einen Zeitraum von fünf Jahren ist sie Dauergast auf der Kinderkrebsstation.
Prägende Jahre auf der Kinderkrebsstation
Für die Eltern eine ständige Zeit der Angst – für Jenny nicht zwangsläufig. "Ich habe die Klinikaufenthalte nicht nur negativ erlebt", sagt sie rückblickend. "Die Mitarbeitenden auf der Station und der Verein Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt haben sehr viel getan, damit wir Kinder uns wohlfühlen."
Auch Lehrnbecher kennt diesen Effekt. "Die kleinen Patientinnen und Patienten genießen es oft, dass ihre Eltern rund um die Uhr bei ihnen sind. Außerdem gibt es Spiele, Ablenkung – und sie dürfen öfter mal ans Handy oder Tablet als Zuhause. Das ist sozusagen der Krankenhausbonus", sagt er schmunzelnd.
Jenny hat vor allem eins geprägt: der feste Glaube, dass es ihr nach dem Krankenhausaufenthalt wieder besser geht. "Diese Haltung habe ich tief verinnerlicht."
Aber nicht nur diese optimistische Einstellung hat Jenny zu ihrem späteren Berufsweg inspiriert, sondern auch ein ganz spezielles Erlebnis.
"Bei einer Nachsorgeuntersuchung bin ich einem Arzt begegnet, der mich länger nicht gesehen hatte. Er sagte: 'Was machst Du denn hier? Ich dachte, du wärst tot'. In dem Moment dachte ich: Echt jetzt? Das kann ich aber besser und habe beschlossen, Medizin zu studieren. Tiefere Einblicke in Krankheitsprozesse haben mich aufgrund der eigenen Erfahrungen ohnehin interessiert."
Mittlerweile ist sie selbst Ärztin – in der selben Klinik
Heute, mit 28 Jahren, arbeitet sie als Assistenzärztin an der Universitätsmedizin Frankfurt, ausgerechnet an der Klinik, in der sie selbst jahrelang um ihr Leben gerungen hat. Sie hat sich mit unerschütterlichem Optimismus und einer gehörigen Portion Ehrgeiz durchgekämpft.
"Ich glaube, viele hätten nicht gedacht, dass ich es so weit schaffe", sagt Jenny Gotta. Die sichtbare Beinprothese rechts und die Endoprothese aus Titan links – ein Implantat, das den Knochen ersetzt – sind für sie längst Alltag. "Ich bin mit den Prothesen aufgewachsen. Ich kenne es kaum anders und komme gut zurecht. Manchmal denke ich: Es hätte mich auch schlimmer treffen können."
Sich nicht über die Erkrankung definieren, das ist ihr Lebensmotto. Das zeigt sie nicht nur im weißen Kittel, sondern auch im Sport. 2019 gehörte sie zur deutschen paralympischen Ruder-Nationalmannschaft. Inzwischen hat sie den Sport gewechselt – der Arztberuf lässt für Leistungssport kaum Zeit. Jetzt ist sie auf dem Tennisplatz mit vollem Einsatz dabei und spielt sowohl auf nationalen als auch internationalen Turnieren.
"Das ist für uns alle etwas ganz Besonderes"
Auch ihre langjährigen Wegbegleiterinnen und -begleiter verfolgen Jennys Weg mit großer Freude. "Es macht uns stolz und glücklich, wenn wir unsere früheren Patientinnen und Patienten selbstbewusst ins Leben starten sehen", sagt Lehrnbecher.
In jedem Jahr organisiert der Verein Hilfe für krebskranke Kinder auf dem Gelände der Unimedizin ein Sommerfest für ehemalige Patientinnen und Patienten. Viele bringen inzwischen die eigenen Kinder mit.
"Wenn jemand wie Jenny Gotta sich dann noch solche Ziele steckt und sie erreicht, ist das für uns alle etwas ganz Besonderes", freut sich Lehrnbecher und spricht damit stellvertretend für die Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen pädiatrischen und onkologischen Fachdisziplinen an der Unimedizin, ohne die dieser Erfolg nicht möglich gewesen wäre.
Die Krebsangst bleibt – doch ebenso der Stolz
Jenny ist seit 17 Jahren tumorfrei. Die Angst, dass der Krebs zurückkehrt, bleibt – bei ihr ebenso wie bei ihrer Familie. "Aber genauso bleibt unser Stolz", sagt ihr Vater. Besonders freut er sich über die symbolträchtige Entscheidung seiner Tochter: Für ihre Promotion wählte Jenny Gotta ausgerechnet jenen Arzt zum Doktorvater, der ihr eine Überlebenschance von zehn Prozent prognostiziert hatte. "Er war auf Jennys Promotionsfeier sichtlich gerührt", erzählt ihr Vater. "Das war wirklich ein ganz besonderer Moment für uns alle."
Das Original zu diesem Beitrag "Keine Chance dem Krebs – Spiel, Satz und Sieg für Jenny G." stammt von der Universitätsmedizin Frankfurt.