Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit haben Adipositas, also starkes Übergewicht. In Deutschland sind nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) rund 13 Millionen Menschen davon betroffen. Als adipös gilt eine Person, wenn ihr Body-Mass-Index (BMI) über 30 liegt. Der BMI errechnet sich aus dem Gewicht geteilt durch die Körpergröße zum Quadrat (kg/m2).
Doch wie aussagekräftig und genau ist der BMI überhaupt? Diese Frage haben Forscher in den vergangenen Jahren immer wieder aufgeworfen.
So hatten eine internationale Expertenkommission Anfang des Jahres in einem Beitrag für das Fachmagazin "The Lancet Diabetes & Endocrinology" vorgeschlagen, den Begriff Fettleibigkeit neu zu definieren – und dabei nicht nur den BMI, sondern auch anthropometrische Aspekte wie den Taillenumfang sowie das Taille-zu-Größe-Verhältnis zu berücksichtigen.
Demnach würde die neue Definition die Einstufung von Adipositas anhand eines der folgenden Kriterien ermöglichen:
- BMI über 30 plus ein erhöhter anthropometrischer Faktor wie etwa ein erhöhter Taillenumfang oder ein erhöhtes Taille-zu-Größe-Verhältnis
- BMI über 40 oder ein BMI unter 30 sowie zwei erhöhte anthropometrische Faktoren
Diese Parameter können zu einem umfassenderen Bild von ungesundem Körperfett beitragen, argumentieren die Experten.
Das neue Verständnis von Fettleibigkeit hätte allerdings weitaus mehr Folgen als nur eine abgeänderte Definition in den Fachbüchern. Wie eine neue Studie zeigt, würde es die Zahl der Betroffenen um fast 60 Prozent in die Höhe schnellen lassen.
Den Taillenumfang messen Sie, indem Sie ein Maßband rund zwei Zentimeter oberhalb des Bauchnabels anlegen – sozusagen an der "dicksten" Stelle. Beim Messen sollten Sie einige Punkte beachten:
- Stehen Sie dabei.
- Messen Sie Ihren Taillenumfang am besten vor dem Frühstück, unbekleidet und vor einem Spiegel.
- Das Maßband muss gerade um den Bauch herumführen.
- Atmen Sie entspannt und messen Sie in leicht ausgeatmetem Zustand.
Was die Werte bedeuten:
- Bei Frauen sind Werte von unter 80 Zentimetern ideal. Ab 88 Zentimetern liegt Adipositas vor.
- Bei Männern sind Werte von unter 94 Zentimetern ideal. Ab 102 Zentimetern liegt Adipositas vor.
Das Taillenumfang-Größe-Verhältnis ergibt sich aus dem Taillenumfang geteilt durch die Körpergröße in Zentimetern. Wenn ein 1,80 Meter großer Mann also einen Taillenumfang von 90 Zentimetern hat, lautet die Rechnung wie folgt:
90 Zentimeter/180 Zentimeter = 0,5
Was die Werte bedeuten:
- Für Frauen und Männer unter 40 Jahren ist ein Wert über 0,5 kritisch.
- In der Altersklasse der 40- bis 50-Jährigen verschiebt sich dieser Grenzwert jährlich um 0,01 nach oben. Das bedeutet, dass bei 41-Jährigen der Grenzwert bei 0,51 liegt, bei 42-Jährigen bei 0,52 etc.
- Bei über 50-jährigen Frauen und Männer sollte der Wert 0,6 nicht überschritten werden.
Harvard-Forscher: 60 Prozent mehr Betroffene durch neue Definition von Adipositas
Zu diesem Schluss kommen Forscher der Universität Harvard und des Massachusetts General Hospital nach der Untersuchung der Daten von 300.000 US-amerikanischen Erwachsenen. Sie hatten analysiert, welche Auswirkungen die neue Definition von Adipositas auf die Verbreitung dieser Krankheit hätten.
Während nach der alten Definition knapp 129.000 der 300.000 Studienteilnehmer Adipositas hatten, stieg die Zahl der Betroffenen unter Berücksichtigung der neuen Kriterien auf rund 206.000. Fast alle Fettleibigen galten somit auch per neuer Definition als adipös, 78.0000 Betroffene kamen noch hinzu. Interessant dabei: Von den 78.000 Betroffenen hatten mehr als 17.000 gemäß der alten Einordnung Normal- oder sogar Untergewicht.
Nur knapp 680, die nach der alten Definition fettleibig waren, galten nicht gemäß neuen Kriterien nicht mehr als adipös. Die entsprechenden Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "Jama Network Open".
Obwohl BMI gesund erscheint, haben Betroffene erhöhtes Risiko für Organschäden und Diabetes
"Der Anstieg wurde vollständig durch das Einschließen von Individuen mit nur anthropometrischem Übergewicht erreicht", schrieben die Forscher in ihrem Beitrag. Obwohl deren BMI gesund erschien, hatten diese Personen ein signifikant höheres Risiko für eine Fehlfunktion der Organe, Organschäden und Diabetes als nicht fettleibige Menschen – unter anderem aufgrund des versteckten viszeralen Bauchfetts.
Außerdem entdeckten die Wissenschaftler, dass laut neuer Kriterien die Studienteilnehmer, die einen BMI unter 30 und daher nur anthropometrische Fettleibigkeit hatten
- älter (60 vs. 54 Jahre) und häufiger männlich (49 Prozent vs. 35 Prozent) waren
- sowie öfter einen höheren Bildungsabschluss (45 vs. 35 Prozent) und ein höheres Einkommen über 150.000 Pfund (12 Prozent vs. 7 Prozent) hatten
als die Personen, die einen BMI über 30 plus anthropometrische Adipositas aufwiesen.
Adipositas ist auch unabhängig von BMI "Schlüsselfaktor" für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
"Diese Erkenntnisse stützen die neue Definition von Adipositas, indem sie Personen mit ausschließlich anthropometrischer Fettleibigkeit als Individuen mit einem erhöhten Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen identifizieren", schreiben die Forscher.
Adipositas sei auch unabhängig vom BMI ein "Schlüsselfaktor für kardiometabolische Erkrankungen", warnen die Wissenschaftler.
Das neue Verständnis von Fettleibigkeit erfordere daher eine intensive Beschäftigung mit den entsprechenden Risikofaktoren und Behandlungsmöglichkeiten. Diese wurden bislang eher im Zusammenhang mit der BMI-verbundenen Adipositas untersucht.
Was genau zum anthropometrischen Übergewicht führt und wie dieses therapiert werden kann, müsse nun eingehend erforscht werden. Dazu schließe auch die Effektivität verschiedener Lebensstiländerungen und medikamentöser Behandlungen ein.
Wie Sie Übergewicht und Fettleibigkeit vorbeugen können
Richtige Ernährung: Achten Sie auf genügend Eiweiß (zum Beispiel Hülsenfrüchte, Quark), gesunde Fette (Nüsse, Avocado, Lachs), Ballaststoffe (Vollkornbrot, Gemüse) und allgemein eine optimale Nährstoffzufuhr.
Regelmäßige Bewegung: Legen Sie im Alltag mehr Wege zu Fuß zurück und nehmen Sie eher die Treppe als den Aufzug. Egal ob zügiges Gehen oder entspanntes Fahrradfahren – 150 Minuten moderate Bewegung pro Woche sollten es laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein. Das sind rund 22 Minuten am Tag.
Muskelaufbau: Bauen Sie aktiv Muskeln auf. Diese verbrennen im Ruhezustand Energie, sodass der Grundumsatz höher ist und Sie mehr Kalorien verbrauchen.
Stressvermeidung: Das Stresshormon Cortisol kann zu Gewichtszunahme führen – unter anderem, weil es Heißhungerattacken fördert. Versuchen Sie nach Möglichkeit, Stresssituationen zu minimieren, etwa durch die Integration von Entspannungsübungen oder Yoga im Alltag.
Ausreichend Schlaf: Versuchen Sie, jede Nacht sieben bis acht Stunden zu schlafen. Schlafmangel kann den Stoffwechsel verlangsamen und die Psyche beeinträchtigen, was sich wiederum auf das gesamte Wohlbefinden auswirkt.