Ein Plädoyer für Freisings kleine Fußgängerzone
Viele neue Erkenntnisse standen am Ende eines Abends, zu dem die Aktive City Freising gebeten hatte: die erste Plattform für alle von der Fußgängerzone Betroffenen, um über ihre Sorgen zu sprechen.
Freising – Handwerker, Apotheker, Ärzte, Geschäftsleute, Gastronomen, einige Stadträtinnen und Stadträte sowie Anwohner: Das Interesse an der Veranstaltung der Aktiven City Freising um Max-Josef Kirchmaier im Parkcafé war groß. Gut 70 Menschen waren am Montag der Einladung gefolgt, sich in einem offenen Dialog über das, was für die Innenstadt im Raum steht, auszutauschen. Alle betonten, wie sehr sie zu schätzen wüssten, dass Kirchmaier den Abend organisiert habe. Viele sagten, dass sie sich von der Stadt nicht gesehen, mit ihren Sorgen alleine gelassen fühlten. Und Sorgen gibt es zur Genüge, auch das wurde klar: Dass die Realisierung einer großen Fußgängerzone für einige sogar existenzbedrohend sein könnte, ist nach diesem Abend nicht mehr von der Hand zu weisen.
Der Istzustand
Der Aktive-City-Chef beleuchtete zunächst den Istzustand. Die Innenstadtkonzeption sei sehr gut gelungen, werde sehr gut angenommen. Menschenleere Sommernächte in Freisings guter Stube gehören seit der Moosachöffnung der Vergangenheit an. Die bevorstehende Fertigstellung des Kulturtempels Asam, der Dombergaufzug, das Dimu: All das trage zu einer lebendigen Innenstadt bei.

Und dann ging’s thematisch ans Eingemachte: das Verkehrskonzept. Im Dezember 2023 habe die Stadt umgesetzt, „was mit viel Schmerz und Liebe bis ins kleinste Detail nach einem Beschluss aus dem Jahr 2014 ausgearbeitet wurde“, so Kirchmaier: Die kleine Variante der Fußgängerzone vom Schiedereck bis zur Amtsgerichtsgasse. Die Vorteile seien spürbar: „Der Verkehr hat massiv abgenommen, Schaufahrten und Abkürzungsverkehr gibt es kaum noch.“
Die große Lösung
Und dennoch: Rücksichtslose Radfahrer, parkende Autos in der Begegnungszone und eine Polizei, die in der Innenstadt nicht oder kaum in Erscheinung trete hätten nun dazu geführt, dass einige Fraktionen (Grüne, Linke, ÖDP) den Antrag auf eine komplette Fußgängerzone von der Karlwirtskreuzung bis zur Heiliggeistgasse gestellt haben, sagte Kirchmaier. Betroffen davon: 285 Einzelhandelsgeschäfte, 72 Firmen und 125 medizinische Praxen. Darüber hinaus unzählige Privatwohnungen, 90 Prozent davon seien nur über die Fußgängerzone anfahrbar. „Damit ist klar, dass es eine Illusion ist, eine völlig verkehrsfreie Fußgängerzone zu bekommen.“
Die Sorgen
Kreishandwerksmeister Martin Reiter berichtete von Mails und Anrufen, die ihn seit der Einrichtung der Fußgängerzone täglich erreichen. Handwerksbetriebe bräuchten ihr Fahrzeug den ganzen Tag über freilich direkt vor der Baustelle, könnten ihr schweres Material „nicht zu Fuß oder mit dem Radl in die Innenstadt transportieren“. Der Handwerkerausweis bringe nichts, wenn man nur zu den Lieferzeiten einfahren dürfe. Ein Wasserschaden würde sich nämlich nicht an vorgeschriebene Anfahrtszeiten halten. Reiter berichtete von Handwerkern die am Asamgebäude arbeiten und mittlerweile 500 Euro an Strafzetteln überwiesen hätten.
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Ärzte und Therapeuten
Einige Ärzte und Apotheker meldeten sich zu Wort. Apotheken hätten einen gesetzlichen Auftrag, den sie zu erfüllen hätten – „und das wird mit den Lieferzeiten nicht machbar sein“. Ärzte und Physiotherapeuten können, so der Tenor, gehbehinderte Patienten nicht ausschließlich während der offiziellen Lieferzeiten in der Fußgängerzone behandeln. Das sei logistisch unmöglich. Hinzu komme, so eine Wortmeldung, „dass nicht nur Rentner Rentner zum Arzt bringen. Eine gewisse Flexibilität für Berufstätige ist absolut nicht mehr gegeben“.
Schwer zu beliefern
Ein Ladeninhaber, der täglich von verschiedenen Paketdiensten beliefert werde, beklagte, dass die es oft nicht bis 10.30 Uhr schaffen. „Und was machen die Läden, die erst um 11 Uhr öffnen?“ Kunden würden es sich zudem gut überlegen, ob sie sich „einen Grill oder eine Küchenmaschine in der Innenstadt kaufen und bis zum Parkplatz schleppen“ – oder lieber bequem online bestellen.

Die Inhaberin mehrerer Döner-Läden in der Innenstadt beklagte, dass – sollte ihr Lieferant im Stau stehen – es keine Lösung gibt. „Wenn unsere Lieferanten es nicht bis 10.30 Uhr schaffen, können sie nicht bis 18 Uhr warten – sie werden aber auch nicht die schweren Dönerspieße quer durch die Innenstadt tragen.“ Schon während der Bauphase seien deshalb mehrere langjährige Lieferanten abgesprungen. Ein Problem, von dem alle Gewerbetreibenden betroffen sind. Andreas Muschler sagte, wenn Arztpraxen die Innenstadt verlassen, werde das massive Auswirkungen für die Läden und Gastronomiebetriebe haben: Dann würde ein großer Teil der Kundschaft wegbrechen.
Schwer erreichbar
Wer im Ordnungsamt anrufe, bekomme die Aussage: „Beklagt euch bei den Stadträten, die haben’s verbockt“. Flexibilität sei Fehlanzeige – „meistens geht gar keiner ans Telefon“, wie mehrere Anwesende berichteten.
Und dann häuften sich die Fragen: „Wieso gibt man der kleinen Fußgängerzone nicht erst einmal eine Chance, bevor man über die große abstimmt?“ „Wieso fragt die Stadt nicht die, die es betrifft?“ „Wieso heißt es immer, in anderen Städten geht es auch, obwohl wir keine Parallelstraße für den Lieferverkehr haben und somit nicht vergleichbar sind?“
Die Bürgervertreter
Planungsreferent Hans Hölzl (FSM) sagte, seine Gruppierung sei gegen eine große Fußgängerzone, will der kleinen Lösung erst eine Chance geben, weswegen man den Antrag eines Ratsbegehrens gestellt habe: Die Bürger sollen entscheiden. Maria Lintl (ebenfalls FSM) ergänzte, die Probleme seien derart komplex, dass man sich fragen müsse, ob ein Ratsbegehren das richtige Instrument zur Entscheidungsfindung sei.
Wirtschaftsreferentin Teresa Degelmann (SPD) berichtete vom Antrag ihrer Fraktion, das Thema zurück an den Planungsausschuss zu verweisen, um allen Problemen ausreichend Raum zu geben. Sebastian Habermeyer (Grüne) erklärte, der Ruf nach einer großen Lösung wurde laut, „weil es so ja offenbar nicht funktioniert“ und abzuwarten nichts bringe. Jens Barschdorf (FDP) plädierte dafür, sich Zeit zu nehmen, den Status quo vernünftig durchzusetzen. Denn: „Die Probleme jetzt werden durch eine große Fußgängerzone nicht verschwinden.“
Rudi Schwaiger ging konkret auf den Vorwurf ein, die Begegnungszone sei „ein rechtsfreier Raum“, weil niveaugleich ausgebaut, weswegen die Polizei dort nicht kontrollieren würde: „Die Polizei kontrolliert nicht, weil sie nicht will – und nicht, weil sie nicht darf.“ Ziel dieser Zone, die von den beiden Stadttoren jeweils bis zur Fußgängerzone reicht, sei es, dass alle Rücksicht aufeinander nehmen. „Würde das funktionieren, müssten wir nicht über Ausnahmegenehmigungen reden.“ Jetzt gelte es, Kompromisse zu finden. Denn diejenigen, die die Innenstadt am Laufen halten, könnten einer großen Lösung wenig abgewinnen.
Ein Zuhörer brach am Ende eine Lanze für den Istzustand: „So wie es jetzt ist, ist es wunderschön und funktioniert weitgehend. Es ist ein Zustand, mit dem alle leben können. Die große Lösung könnte für Viele das Aus bedeuten.“ Das nahmen alle Entscheidungsträger aus dem Abend mit.